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00:59 Uhr - 03.12.2015

Yellen hält Plädoyer für eine Zinserhöhung

Die Chefin der US-Notenbank gibt einen optimistischen Konjunkturausblick ab und signalisiert einen möglichen Zinsschritt am 16. Dezember.

«Ich erwarte, dass wir uns alle auf diesen Tag freuen werden», schloss Janet Yellen am Mittwoch eine ausführliche Rede in Washington. Die Chefin des Federal Reserve spielte damit auf die erste Zinserhöhung an. Das mit Spannung erwartete Ereignis werde ein Beleg dafür sein, wie gut sich die amerikanische Wirtschaft von der Finanzkrise und der schweren Rezession erholt habe.

Die grosse Frage an den Finanzmärkten ist, ob es an der kommenden Sitzung vom 15. und 16. Dezember endlich soweit ist. Die meisten Investoren rechnen damit, dass Yellen dann den ersten Zinsschritt ankündigen wird. Entsprechend genau wurde ihr Referat an Wallstreet auf neue Hinweise zum Zeitplan der US-Notenbank analysiert.

«Insgesamt stimmen die wirtschaftlichen und finanziellen Informationen seit unserem letzten Treffen im Oktober mit unseren Erwartungen einer kontinuierlichen Verbesserung am Arbeitsmarkt überein», sagte die Fed-Präsidentin vor dem Economic Club. «Das Wirtschaftswachstum über die nächsten ein, zwei Jahre wird wahrscheinlich ausreichen, damit sich die Lage am Arbeitsmarkt weiter aufhellt», fügte sie hinzu.

Jobzahlen sind entscheidend

Trotz dieser optimistischen Einschätzung bemühte sich Yellen, dem Zinsentscheid in knapp zwei Wochen nicht vorzugreifen. «Von heute bis zur nächsten Sitzung werden wir zusätzliche Daten erhalten, die den Ausblick für die Wirtschaft beeinflussen werden», relativierte sie.

Wichtig ist vor allem der monatliche Bericht zum Jobsektor am Freitag. Ökonomen prognostizieren, dass im November rund 200’000 Stellen hinzu gekommen sind und die Arbeitslosenquote auf 5% verharrt ist. Grosse Bedeutung wird auch der Lohnentwicklung zukommen. Zieht sie nach dem überraschend deutlichen Anstieg im Oktober weiter an, könnten das die Währungshüter als Zeichen für zunehmende Inflation deuten.

«Eine anhaltende Verbesserung am Arbeitsmarkt hilft dabei, unsere Zuversicht zu festigen, dass sich die Inflation mittelfristig auf unser Ziel von 2% bewegen wird», sagte Yellen. Das, auch in der Hoffnung, dass sich der negative Effekt auf die Teuerung durch den starken Dollar und durch die tiefen Energiepreise abschwächen werde.

China nur noch ein Randthema

Eine Entspannung sieht die Chefin der mächtigsten Zentralbank in der globalen Grosswetterlage. Das Fed verfolge zwar weiterhin alle Entwicklungen im Ausland, die für die US-Wirtschaft problematisch sein könnten. «Diese Risiken haben seit dem Spätsommer jedoch abgenommen», stellte Yellen fest. Sorgen um China hatten damals zu heftigen Turbulenzen an den Märkten geführt.

Einen freundlichen Grundton schlägt auch der neuste Konjunkturbericht an, den das Federal Reserve kurz nach Yellens Referat veröffentlichte. Gemäss dem sogenannten Beige Book verzeichneten acht der insgesamt zwölf US-Notenbankdistrikte «moderates» Wachstum. Der Bezirk Minneapolis erlebte eine «mässige» Expansion, während die Bedingungen in der Region von Kansas City «beständig» blieben. Die Distriktnotenbanken New York und Boston meldeten eine leichte Wachstumsverlangsamung.

«Die Konsumausgaben sind in fast allen Distrikten gestiegen», heisst es im Beige Book. Berücksichtigt wurde darin die Konjunkturentwicklung bis zum 20. November. Nach Branchen ist es besonders gut im Verkauf von Autos und Trucks gelaufen, der von tieferen Spritpreisen profitiert. Aufwärts ging es zudem im Häusermarkt, wogegen sich im Industriesektor ein «gemischtes Bild» zeigte.

Ölpreis fällt unter 40 $

An Wallstreet wurden die Nachrichten mehrheitlich als Bestätigung dafür erachtet, dass die US-Notenbank an der kommenden Sitzung ernst machen wird. «Wir interpretieren die Rede von Janet Yellen als übereinstimmend mit unserer Prognose für einen Zinsschritt im Dezember und mit einem graduellen Pfad von Zinserhöhungen danach», meinen beispielsweise die Ökonomen der Bank Barclays.

Die Reaktion an den Finanzmärkten fiel zunächst verhalten aus. Während aus dem Federal Reserve keine grösseren Überraschungen kamen, sorgte der Einbruch des Ölpreises für Nervosität. Gemäss der Energiebehörde EIA sind die US-Lagerbestände in der Berichtswoche überraschend gestiegen, was viele Trader auf dem falschen Fuss erwischte. Der Preis für ein Fass der Referenzsorte WTI sackte über 4% ab und notierte zu Handelsschluss unter 40 $.

An den Börsen in New York endete der S&P 500 die Sitzung 1,1% im Minus auf 2079,51. Das Blue-Chip-Barometer Dow Jones Industrial sank 0,9% auf 17’729,7. Am Bondmarkt tendierte die Rendite auf zehnjährige Treasuries 3 Basispunkte fester auf 2,18%. Der Dollar verspürte gegenüber den meisten wichtigen Weltwährungen Auftrieb. Zum Franken handelte er allerdings tiefer auf weniger als 1.02 $/Fr.

Yellen hat bereits am Donnerstag einen weiteren Auftritt. Um 16 Uhr Schweizer Zeit wird sie vor dem amerikanischen Kongress erneut zum Ausblick für die Wirtschaft Stellung nehmen. Investoren werden den Fokus jedoch in erster Linie auf die Europäische Zentralbank richten. Es wird erwartet, dass EZB-Chef Mario Draghi eine weitere Lockerungsmassnahme ankündigen wird. Europa bewegt sich damit geldpolitisch exakt in die Gegenrichtung zu den USA.

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