Zurück zur Übersicht
12:46 Uhr - 17.05.2016

Jin Liqun: Ein Charmeur als Gesicht Chinas

Jin Liqun ist der Präsident der jungen chinesisch dominierten Entwicklungsbank AIIB. Er muss Kritiker besänftigen, die Angst vor dem Einfluss der Volksrepublik haben.

Eloquentes Englisch, eine humorvolle Art und Erfahrung in internationalen Organisationen – China hätte kaum jemand besseren als Jin Liqun für das Präsidentenamt der neu gegründeten Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) auswählen können. Denn die AIIB steht als Vehikel chinesischer Interessen unter scharfer Beobachtung.

Das Projekt «One Road, One Belt», oder neue Seidenstrasse, soll Europa und Ostasien per Strasse, Bahn und See verbinden. Es geht die Angst um, dass China so seine Macht in der Region ausweitet. Auch wird befürchtet, der Plan sei zur Schaffung von Absatzmärkten für die Industrie Chinas gedacht.

Die Geopolitik zeigt sich im Fehlen zweier wichtiger Staaten unter den 57 Gründungsländern der AIIB. Es finden sich Industrieländer, auch die Schweiz, es fehlen aber Japan und die USA. Diese beiden Länder sehen die AIIB als Konkurrenz: Sie dominieren zusammen mit Europa die Weltbank und die Asiatische Entwicklungsbank (ADB). Als sich die Briten der AIIB anschlossen, reagierte die US-Regierung gereizt.

Statt Konfrontation zelebriert man aber zumindest öffentlich nun den Schulterschluss. Beim ADB-Jahrestreffen Anfang Monat wurde die erste Kooperation von ADB und AIIB bekannt gegeben. Jin – bis 2008 selbst Vizepräsident der ADB – nahm dort Kritikern den Wind aus den Segeln: «Wir können mit unseren begrenzten Ressourcen etablierte Institutionen nicht stürzen.»

Der Bedarf an Infrastrukturprojekten sei riesig verglichen mit den Mitteln der Entwicklungsbanken. Als ehemaliger ADB- und Weltbank-Angestellter fühle er sich «beleidigt», wenn die etablierten Organisationen als überflüssig abgekanzelt würden. Chinesen sollen von der AIIB nicht bevorzugt werden. Man wähle Mitarbeiter nicht nach Nationalität aus, und Lieferanten würden nach Preis und Qualität bestimmt.

Die kosmopolitische Art des heutigen Jin lässt seine Karriere über Umwege nicht erahnen. Während der Kulturrevolution musste der Shakespeare-Liebhaber drei Jahre Reis pflanzen und konnte sich nur nachts in die englische Literatur einlesen. Erst im Alter von 29 durfte er sein Anglistikstudium beginnen. Danach wurde er zur Weltbank entsandt, obwohl er Ökonomie nur aus der Lektüre von Karl Marx kannte.

Der 67-jährige Jin steht nun unter Kritik wegen Verfehlungen in seiner ADB-Zeit. Doch das wird ihn kaum behindern. Er gibt Chinas Interessen ein charmantes Gesicht. Das kann beim Austarieren eines neuen Gleichgewichts zwischen Ost und West helfen.

Hat Ihnen der Artikel gefallen? Lösen Sie für 4 Wochen ein FuW-Testabo und lesen Sie auf www.fuw.ch Artikel, die nur unseren Abonnenten zugänglich sind.

Seite empfehlen



Kopieren Sie den Link [ctrl + c] und fügen Sie ihn in ein E-Mail ein [ctrl + v]. Aus Sicherheitsgründen ist kein Versand von E-Mails direkt vom VZ Finanzportal möglich.