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18:50 Uhr - 12.06.2015

Die Panik von 1792

Die Vereinigten Staaten von Amerika sind noch jung, als die erste Finanzkrise die Nation erschüttert. Alexander Hamilton verhindert ein Desaster.

FuW-Serie«Finanz und Wirtschaft» stellt die grössten Spekulationsblasen der Geschichte vor – in welchem Kontext sie entstanden sind, was die unmittelbaren Konsequenzen waren und welche Bedeutung ihnen heute noch zukommt.

Lesen Sie hier weitere Beiträge der Serie:

Einleitung: Den Letzten beissen die Hunde
1. Folge: Die niederländische Tulpenmanie
2. Folge: Die Londoner Technologieblase von 1694
3. Folge: Die Mississippi-Blase von 1720
4. Folge: Die South Sea Bubble von 1720
5. Folge: Die bengalische Blase von 1769
Das Finanzsystem der Vereinigten Staaten von Amerika steckt noch in den Kinderschuhen, als es vom ersten Börsencrash erschüttert wird. Im März 1792 brechen die Preise an den Aktien- und den Bondmärkten ein und senden eine Schockwelle durch die junge Nation. Der Sturm droht die finanziellen und wirtschaftlichen Errungenschaften der vergangenen Jahre zu vernichten.

Finanzminister Alexander Hamilton ist sich der Gefahr bewusst. Er hat die Mississippi-Blase in Frankreich sorgfältig studiert. Als diese 1720 platzte, wurde die französische Wirtschaft um Jahrzehnte zurückgeworfen. Hamilton setzt deshalb alles daran, nicht die gleichen Fehler zu machen. Sein Vorhaben gelingt: Das Platzen der Spekulationsblase in New York und Philadelphia hinterlässt dank der beherzten Aktionen von Hamilton kaum Spuren in der amerikanischen Wirtschaft. Damit legt er das Fundament für eine erfolgreiche Zukunft der USA.

1. Die erste Notenbank

Das junge Land hat turbulente Zeiten hinter sich. Im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (1775–1783) erkämpfen sich die Vereinigten Staaten die Loslösung von Grossbritannien. George Washington wird 1789 zum ersten Präsidenten gewählt und ernennt Alexander Hamilton zum Finanzminister. Der New Yorker hat eine klare Vision für die Staats- und Wirtschaftsordnung. Unter seiner Anleitung werden die Kriegsschulden der einzelnen Bundesstaaten auf den Zentralstaat übertragen, und das Schatzamt emittiert Staatsanleihen (Treasuries). Es entstehen die Grundlagen eines modernen Finanzsystems. Die wichtigsten Börsenplätze sind die Hauptstadt Philadelphia, New York und Boston.

Hamilton will zudem eine Notenbank gründen. In hitzigen Debatten muss er seine Idee im Kongress verteidigen. Doch der Finanzminister setzt sich durch: Im Februar 1791 genehmigt George Washington die Gründung der Bank of the United States (BUS) und erteilt ihr eine Bewilligung für zwanzig Jahre. Hamilton ist Verfechter einer unabhängigen Zentralbank, sie untersteht daher nicht der Kontrolle des US-Finanzministeriums.

Die BUS wird mit 10 Mio. $ kapitalisiert, wovon nur 20% aus Staatsmitteln stammen. Das restliche Kapital wird in Aktien emittiert und unter Privatinvestoren platziert. Der Ausgabepreis beträgt 400 $ je Titel. Allerdings reicht eine Anzahlung von 25 $ – ein sogenannter Scrip –, um sich das Bezugsrecht zu sichern. Die Abzahlung wird in halbjährlichen Raten geleistet, drei Viertel des Betrags müssen in Form von Staatsanleihen beglichen werden.

Person der StundeAlexander Hamilton (1757 – 1804)

Alexander Hamilton gilt als einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten von Amerika: Am 17. September 1787 unterzeichnet er an der Philadelphia Convention mit 38 weiteren Delegierten die Verfassung der jungen Nation. Hamilton wird 1757 als uneheliches Kind auf der Karibikinsel Nevis geboren, die damals eine britische Kolonie ist.

Im Alter von fünfzehn Jahren zieht er nach Boston und später nach New York, wo er sich 1774 am King’s College, der heutigen Columbia Universität, immatrikuliert. Als der amerikanische Unabhängigkeitskrieg (1775–1783) ausbricht, meldet er sich freiwillig zur Armee. Er legt eine steile Karriere zurück und wird Stabschef von General George Washington, der die revolutionären Streitkräfte anführt.

Nach dem Krieg erwirbt Hamilton das Anwaltspatent. Zudem ist er 1784 einer der Mitbegründer der Bank of New York, der ältesten Bank der Vereinigten Staaten. Von 1789 bis 1795 gehört er als erster US-Schatzsekretär dem Kabinett von Washington an. Bei einem Duell mit Aaron Burr, dem Vizepräsidenten von Thomas Jefferson, wird Hamilton 1804 tödlich verletzt und stirbt am Folgetag. Sein Portrait ziert heute die Zehn-Dollar-Note.
Bild: ZVG
2. Der Mini-Boom von 1791

Das Interesse an den Aktien ist riesig. Im Juli 1791 startet die Zeichnungsfrist, die Emission ist massiv überzeichnet. Der Markt wird von einer Spekulationswelle erfasst. Bis Mitte August klettern die Scrip-Preise auf über 300 $. Auch die Notierungen für Treasuries schiessen nach oben.

Doch genauso schnell, wie sich die Blase bildet, geht ihr die Luft aus. Innerhalb weniger Tage brechen die Preise am Aktien- und am Bondmarkt zusammen. Hamilton schreitet ein. Weil die Zentralbank das Geschäft noch nicht aufgenommen hat, wendet er sich an  William Seton,  den Schatzmeister der Bank of New York (BoNY). Er weist ihn an, Staatsanleihen aufzukaufen, um die Märkte zu stützen. Die Mittel dazu stammen aus einem staatlichen Fonds. Die Strategie ist erfolgreich, im September ist die Mini-Panik vorbei. Doch das glimpfliche Ende wiegt Anleger in Sicherheit: Wenig später folgt der nächste, weit grössere Boom.

3. Chance für Spekulanten

Im Dezember 1791 startet die Bank of the United States ihre Geschäftstätigkeit. Mit ihren Aktivitäten legt sie den Grundstein für die nächste Blase. Die unerfahrene Notenbank verfolgt eine zu expansive Kreditpolitik und flutet den Markt mit Liquidität. Das Volumen der Darlehen, die damals hauptsächlich in Form von Banknoten vergeben werden, explodiert. Ende Januar 1792 sind über sechsmal mehr Noten im Umlauf als im Vormonat.

Schnell findet die Geldflut den Weg an die Börsen: Spekulanten zapfen die neue Kreditquelle an. Zudem finanzieren Anleger mit Darlehen den Kauf von Staatsanleihen, die sie zur Abzahlung der BUS-Aktien benötigen.

Eine Gruppe angesehener Banker aus New York wittert darin ein lukratives Geschäft. Führender Kopf ist William Duer, ein ehemaliger Mitarbeiter des Finanzministeriums. Weil die Termine der Ratenzahlungen für die BUS-Aktien bekannt sind, ist absehbar, wann die Nachfrage nach Staatsanleihen steigen wird. Duer kauft die Bonds im Vorfeld in grossem Stil auf, um sie zu höheren Preisen an die Aktionäre zu verkaufen. Er verschuldet sich massiv, um seinen Plan in die Tat umzusetzen. Die Notierungen der Staatsanleihen steigen bis Frühjahr 1792 kräftig.

Spekulationen dominieren auch den Aktienmarkt. Die Aussicht auf unendlich sprudelnde Geldquellen heizt den Glauben an stetig steigende Aktienkurse an und beflügelt die Fantasie der Investoren. Hamilton beobachtet die Übertreibungen in New York mit Sorge. Am 18. Januar schreibt er an Seton: «Diese exzessive Spekulation schadet der Regierung und dem gesamten Kreditsystem. Ich hoffe, die BoNY lässt sich nicht auf eine Zusammenarbeit mit diesen Monstern ein.»

4. Der Kreditfluss versiegt

Anfang 1792 wird eine weitere Schattenseite der lockeren Kreditvergabe deutlich: Der massive Anstieg der Noten im Umlauf führt zu einem Verlust des Vertrauens in das Geld. Hamilton sieht das Ziel, eine stabile Papierwährung zu etablieren, in Gefahr und fürchtet einen Ansturm auf die Goldreserven der Banken. Im Februar schreibt er an Seton: «Das ausstehende Kreditvolumen ist gemessen an den Reserven zu gross. Es muss graduell abgebaut werden, ansonsten droht der Zusammenbruch.» Die Banken folgen den Anweisungen des Finanzministers prompt: Im Februar drehen verschiedene Institute den Geldhahn abrupt zu.

Der plötzliche Kurswechsel bringt Investoren in Bedrängnis. An den Finanzmärkten geraten die Preise ins Rutschen. Es fehlt die Liquidität, um die Kurse weiter anzutreiben. Gleichzeitig müssen Anleger ihre Wertpapiere verkaufen, um Schulden zu begleichen.

Die Korrektur fordert ein prominentes Opfer: William Duer erklärt am 9. März seinen Bankrott und stellt alle Zahlungen ein. Die Pleite löst eine Kettenreaktion aus. Die ausstehenden Schulden von Duer sind so immens, dass weitere Investoren Konkurs anmelden müssen. In New York brechen die Preise für Staatsanleihen 25% ein. Aktien der BUS verlieren bis zu 30%. Panik macht sich an den Finanzmärkten breit und löst eine Schockwelle aus, die auch Philadelphia erfasst.

5. Hamilton meistert Krise

Nun schlägt Hamiltons grosse Stunde. In enger Kooperation mit Seton veranlasst der Finanzminister, dass die Bank of New York die Liquidität des Finanzsystems sicherstellt. Er versorgt die Bank wie bereits im Jahr zuvor mit Mitteln aus dem Staatsfonds, damit sie mit Offenmarkttransaktionen die Preise stützt. Zudem fordert er Seton auf, weiterhin Kredite gegen hochwertige Sicherheiten – etwa Staatsanleihen – zu vergeben und im Gegenzug einen etwas höheren Zins als in gewöhnlichen Zeiten zu verlangen. Um die Sicherheit der BoNY zu garantieren, bürgt das Schatzamt für einen Teil der Darlehen. Die Kombination verschiedener Massnahmen sorgt dafür, dass sich die Situation an den Finanzmärkten bis Mitte April beruhigt.

Hamilton erfindet in der Krise die Funktion des Lender of Last Resort, um einen Wirtschaftskollaps zu verhindern. Es ist das erste Mal, dass eine Zentralbank als letzte Zuflucht für Banken auftritt und damit die Kreditvergabe sicherstellt. Zu Papier gebracht werden diese Verhaltensregeln für Zentralbanken in Krisenzeiten erst rund neunzig Jahre später vom britischen Ökonomen Walter Bagehot.

Für die Bank of the United States hat die Panik von 1792 ein Nachspiel. Als ihre Geschäftsbewilligung 1811 verlängert werden muss, verweisen ihre Kritiker auf die Finanzkrise. Hamilton, 1804 verstorben, kann seine Schöpfung nicht mehr verteidigen. Der Senat entscheidet schliesslich gegen eine Erneuerung der Lizenz. Die erste amerikanische Nationalbank schliesst ihre Pforten.

Die Anatomie der SpekulationsblaseDas fünfstufige Modell der Ökonomen Hyman Minsky und Charles Kindleberger beschreibt den idealtypischen Verlauf von Spekulationsblasen.
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