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18:14 Uhr - 07.07.2015

«Die EZB muss Liquidität bereitstellen. Punkt.»

Der Ökonom Paul De Grauwe wirft der Europäischen Zentralbank vor, sich zum Werkzeug der Politiker zu machen. Griechenland werde aus dem Euro gedrängt, sagt er im Interview mit «Finanz und Wirtschaft».

Klare Aussagen macht der bekannte belgische Währungsökonom Paul De Grauwe, er lehrt an der London School of Economics (LSE). Die Europäische Zentralbank (EZB) habe das Mandat, mit genügend Liquidität Finanzstabilität zu gewährleisten. Wenn sie das nicht tue, wie in Griechenland, gebe sie ein geldpolitisches Werkzeug den Politikern in die Hand. Griechenland habe nach der letzten Restrukturierung einen nachhaltigen Schuldenstand, erklärte De Grauwe kürzlich in einem Aufsatz. Daher brauche das Land keinen Schuldenschnitt, sondern ein Ende der Sparmassnahmen, um genug wachsen zu können.

Zur PersonDer belgische Ökonom Paul De Grauwe warnte schon vor den Nachteilen einer Währungsunion, als der Euro noch in weiter Ferne lag. Schon in seinem 1992 erstmals aufgelegten Lehrbuch «The Economics of Monetary Union» hat der Professor an der renommierten London School of Economics die ökonomischen Kosten und Probleme eines Währungsraums aus verschiedenen Ländern aufgezeigt. Zur Bekämpfung der Eurokrise fordert er die EZB auf, Krisenländer der Eurozone besser zu schützen. Neben seiner akademischen Karriere beriet er die EU-Kommission und war Mitglied des belgischen Senats und des Abgeordnetenhauses für die liberale VLD. Er erhielt die Ehrendoktorwürde der Universität St. Gallen.Herr De Grauwe, was ist Ihr Rat an die Gläubiger Griechenlands?
Die Gläubiger müssen zur Besinnung kommen und ihr Bedürfnis ablegen, das Land zu bestrafen. Wenn sie über ein neues Abkommen reden, müssen sie die Sparmassnahmen abmildern. Griechenland hat über die vergangenen fünf Jahre ein Austeritätsprogramm implementiert. Das hat zu einem Kollaps der Wirtschaft und zu hoher Arbeitslosigkeit geführt. Dies hat eine radikale Regierung hervorgebracht – in solch einer Situation wählen die Leute extremistische Parteien. Die Gläubiger müssen also ihren Sparansatz aufgeben, da er nirgendwohin führt. Das würde Griechenland eine Atempause geben und ein Abkommen ermöglichen.

Was sollte die EZB tun?
Die EZB muss natürlich Liquidität für die Banken bereitstellen. Sie versagt bei der Erfüllung ihres Mandats, Finanzstabilität zu erhalten. Es liegt überhaupt nicht im Mandat der EZB, politische Bedingungen aufzuerlegen.

Aber die EZB würde Staatsfinanzierung leisten, wenn sie unbegrenzt Liquidität zur Verfügung stellte.
Überhaupt nicht. Wenn das Bankensystem kollabiert, muss die EZB Liquidität bereitstellen. Punkt. Sie kann nicht einen Bankenkollaps erlauben, wie er im Moment in Griechenland stattfindet. Die EZB scheitert daran, die Stabilität des Bankensystems aufrechtzuerhalten. Das hat nichts mit Staatsfinanzierung zu tun.

Und Liquidität muss gewährleistet werden, egal, was die griechische Regierung tut?
Natürlich. Die griechischen Banken, Bankkunden und Kontoinhaber sind nicht für das Verhalten der griechischen Regierung verantwortlich. Die Bereitstellung von Liquidität ist klar in der Verantwortung der Zentralbank als letzter Finanzierungsinstanz, Lender of Last Resort. Die EZB lässt nun zu, dass die Finanzierung der Banken zum Druckmittel gegen die griechische Regierung verwendet wird. Die Zentralbank erlaubt Politikern, ein geldpolitisches Instrument als politisches Werkzeug zu benutzen. Wo ist da die Unabhängigkeit der EZB? Es gibt keine Unabhängigkeit.

Deutschland ist besorgt über die grossen Verbindlichkeiten der griechischen Notenbank gegenüber den anderen Euro-Zentralbanken, die Target-2-Bilanz.
Die Target-2-Bilanzen sind nur Anzeichen einer Bankenkrise. Das Problem ist, dass es die Angst vor dem Grexit gibt, und das führt zur Bankenkrise. Da muss man den Kausalzusammenhang richtigstellen: Die Grexit-Angst spiegelt sich in den Target-2-Bilanzen. Manche Leute sind komplett traumatisiert von der Angst vor diesen Bilanzen. Es ist eine Phobie, die in Deutschland von manchen Leuten geschürt wird, die ich nicht nennen werde.

Die Gläubiger sind mit dem Fortschritt Griechenlands nicht zufrieden. Wie schätzen Sie die Situation ein?
Die Gläubiger werden nie zufriedengestellt sein. Griechenland hat mehr als 200’000 Beamte entlassen. Niemand sonst hat so etwas getan. Es wurden Pensionsreformen unternommen. Wahrscheinlich muss man noch mehr tun, aber es gibt Fortschritte. Und das Land hat die weitreichendsten Sparmassnahmen aller Euroländer unternommen. Es nun zu zwingen, noch mehr zu sparen, zerstört das Land. Die Austeritätsmassnahmen machen es erst möglich, dass extremistische Kräfte an die Macht kommen. Der Sieg von Syriza ist eine Folge des Vorgehens der Gläubigerländer. Die Gläubiger sollten sich nicht darüber beklagen, dass nun eine radikale Linksregierung an der Macht ist. Das ist eine Folge der gescheiterten Politik der Vergangenheit.

Es scheint, dass die Position der Gläubiger härter geworden ist. Ist es nicht schwieriger, nun eine Einigung zu finden?
Die Gläubiger haben alles getan, um Griechenland aus der Eurozone zu stossen. Sie wollen es so machen, dass die Griechen darüber selbst entscheiden. Rechtlich gibt es keinen Weg, ein Land aus dem Euro zu schicken. Aber faktisch hat die EZB dafür das Instrument, indem sie den Banken keine Liquidität mehr bereitstellt. Die Griechen werden keine Alternative haben, wenn die EZB das Bankensystem kollabieren lässt. Keine Regierung mit ein wenig Verantwortungsgefühl wird das Bankensystem kollabieren lassen und einen grossen Teil der Wirtschaft mit sich reissen. Das wird Griechenland aus dem Euro zwingen. Und die Gläubiger können sagen: Es war doch eure Entscheidung! Wir wollten euch drin lassen. Diese Strategie wird nun von den Gläubigern verfolgt.

Sie haben geschrieben, Griechenland sei solvent, aber illiquide. Was heisst das?
Der Schuldenstand Griechenlands liegt heute bei 180% der Wirtschaftsleistung. Aber wenn man sich die Schuldenrestrukturierung der letzten Jahre anschaut, wird man sehen, dass die Zinsen, die der griechische Staat für seine Schulden aufbringen muss, stark zurückgegangen sind. Die Laufzeit der Schulden hat sich verdoppelt. Berechnet man den Nettobarwert von Zinszahlungen und Rückzahlungen der Schulden, ergibt sich ein Schuldenstand von nur der Hälfte der 180%. Daraus schliesse ich, dass Griechenland einen nachhaltig tragbaren Schuldenstand hat. Das Problem Griechenlands heute ist nicht so sehr der Schuldenstand. Die restrukturierten Schulden sind tragbar, wenn die griechische Wirtschaft wachsen kann. Aber die Wirtschaft kann nicht wachsen, da keine Liquidität zur Verfügung gestellt wird. Die Wirtschaft kollabiert. Wird keine Liquidität bereitgestellt, sind auch die restrukturierten Schulden nicht tragbar. Wird den Banken und dem Markt für griechische Staatsanleihen wieder Liquidität bereitgestellt, kann Griechenland wachsen.

Braucht Griechenland keinen Schuldenschnitt?
Ein Schuldenschnitt, Haircut, ist nicht notwendig. Man will das vielleicht tun, aber sich darauf zu fokussieren, macht es schwerer, zu einer Einigung zu kommen. Die Gläubiger wollen ja Griechenland keinen Schuldenerlass gewähren. Die Griechen sollten sich daher auf anderes fokussieren: Es muss genug Liquidität für Banken und Staat bereitgestellt werden, um aus der jetzigen Situation zu kommen.

Wäre es nicht notwendig, neue Gelder für Investitionen bereitzustellen?
Das würde vielleicht helfen, aber es ist nicht notwendig. Griechenland kann wachsen. Für einen tragfähigen Schuldenstand wäre eine nominale Wachstumsrate – das heisst einschliesslich der Inflation – von 2% notwendig. Das ist nicht besonders schwer zu erreichen. Aber man muss dem Land die Möglichkeit geben zu wachsen und Inflation zu haben. Heute sind die Preise in Griechenland immer noch am Fallen. Man muss das Land aus der Deflation bringen.

Was wäre die Folge des Grexit für den Euro?
Es wäre dann klar, dass die Eurozone keine permanente Einrichtung ist. Wenn es daher eine neue Rezession oder Krisen gibt, hätten die Länder die Möglichkeit, auszusteigen. Das würde die Währungsunion destabilisieren. Es würde die Eurozone strukturell verändern und zu einer befristeten Vereinbarung machen. Sie wäre fragiler. Sobald Länder in Probleme geraten, würde es spekulative Bewegung von Geldern oder Attacken geben, die das System destabilisieren. Aber die Leute scheinen sich darüber keine Sorgen zu machen. Politiker sorgen sich nur um die nächste Woche. Sie kümmern sich nicht um die langfristigen Folgen eins solchen Schritts.

Was wird in den nächsten Wochen geschehen?
Das ist sehr schwer zu sagen. Griechenland wird vielleicht aus dem Euro gestossen. Dann müsste das Land mit einer Parallelwährung experimentieren und dann zu einer neuen Währung wechseln. Ein schlimmes Ergebnis wäre, wenn eine Einigung getroffen wird, die die jetzige Situation nur verlängert. Kein Problem würde dann gelöst. Auch das ist möglich.

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