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21:15 Uhr - 05.09.2016

Im Stile von Ben Bernanke

Am Donnerstag entscheidet sich, ob EZB-Präsident Mario Draghi die geldpolitische Lockerung ausdehnt – wie damals der Fed-Vorsitzende.

(Bloomberg)  Da die Inflationsrate im Euroraum seit fast zwei Jahren nahe null liegt und der Brexit nun die Erholung in der Region zu untergraben droht, halten es Ökonomen für höchstwahrscheinlich, dass Präsident Mario Draghi die quantitative Lockerung der Europäischen Zentralbank ein zweites Mal ausdehnen wird. Das Anleihekaufprogramm würde dann länger laufen als bis zum bisherigen Endtermin im März 2017 und den derzeitige Zielumfang von 1,7 Bio. € übersteigen.

Mit diesem Beschluss rechnen mehr als 80 % der von Bloomberg befragten Volkswirte. Ein ähnlich hoher Anteil erwartet, dass die EZB ihre bisherigen Ankaufregeln anpasst, damit ihr nicht die zulässigen Anleihen ausgehen. Fast die Hälfte der Umfrageteilnehmer sagt solche Schritte für die Ratssitzung an diesem Donnerstag in Frankfurt voraus, und fast der ganze Rest prognostiziert eine Ankündigung bei den Treffen im Oktober oder Dezember.

Draghis Lage erinnert an die Situation von Ben Bernanke vor etwa vier Jahren. Der damalige Vorsitzende der Federal Reserve startete 2012 eine dritte Runde von Wertpapierkäufen, das so genannte QE3, und versprach, so lange wie nötig damit weiterzumachen. Der EZB-Chef sagte wiederholt, dass die Impulse fortgesetzt würden, bis die Inflation sich wieder nachhaltig dem Zielwert der Notenbank von knapp zwei % nähere – und es sieht danach aus, dass es länger brauchen wird als weitere sechs Monate.

«Die Voraussetzungen für eine Rücknahme der geldpolitischen Impulse werden im nächsten März wahrscheinlich nicht erfüllt sein», sagte Kristian Tödtmann, Volkswirt bei der DekaBank in Frankfurt. «Es hat keinen Zweck, diese Entscheidung aufzuschieben.»

Die Inflation in den 19 Euro-Mitgliedstaaten lag im August unverändert bei 0,2 %, während sich die Kernrate abschwächte. Die EZB legt am 8. September neue Projektionen vor, was oftmals mit einem Beschluss zur Änderung der Geldpolitik einherging.

Je mehr Ankäufe die EZB tätigt, desto grösser das Risiko, dass eine Verknappung der Vermögenswerte zu einem Engpass wird. Um das zu umgehen ist es nach Einschätzung der Ökonomen fast unausweichlich, dass eine QE-Verlängerung mit einer Veränderung der Ankaufregeln einhergeht, die sich die Zentralbank selbst auferlegt. Doch das wäre womöglich eine heikle Debatte im Rat, der die Parameter festsetzt, um Sorgen über Marktverzerrungen, monetäre Finanzierung und Risikoteilung zu vermeiden.

In der Umfrage wird als Nachjustierung erstens eine Erhöhung des Prozentanteils genannt, den die EZB an einer einzelnen Emission maximal erwerben darf. An zweiter Stelle steht die Aufhebung der Regelung, dass Wertpapiere mit einer Rendite unterhalb des Einlagensatzes von derzeit minus 0,4 % für das Kaufprogramm unzulässig sind. Eine Minderheit sagt, die Zentralbank könne davon Abstand nehmen, die nationalen QE-Allokationen mit dem Umfang der jeweiligen Volkswirtschaft zu verknüpfen, also nicht mehr den Kapitalschlüssel zu benutzen.

«Den Einlagensatz als Untergrenze aufzugeben wäre ein starker Schritt und politisch weniger schwierig durchzusetzen als ein Abweichen vom Kapitalschlüssel», sagte Holger Sandte, Chefökonom für Europa bei Nordea Markets in Kopenhagen. «Die EZB wird demnächst ihre QE-Parameter ändern müssen, aber sie werden wahrscheinlich bis Dezember warten, bevor einige der Ratsmitglieder tiefer in einen Bereich genommen werden, der ihnen unbehaglich ist.»

Die grosse Unbekannte der EZB-Politikgestaltung ist der Einfluss des Votums der Briten, aus der Europäischen Union auszutreten. Trotz düsterer Prognosen gibt es bislang kaum offenkundig negative Auswirkungen, weder auf die Volkswirtschaft des Euroraums noch auf Grossbritannien, ihren grössten Handelspartner.

Der Umfrage zufolge dürfte die EZB kaum Revisionen an ihren bisherigen Projektionen vornehmen, abgesehen von der Annahme für den Anstieg des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2017. Diese Schätzung, die derzeit bei 1,7 % liegt, wird nach Einschätzung von 37 der 50 Ökonomen verringert werden.

Die EZB rechnet ihrer aktuellen Prognose zufolge nicht vor 2018 mit einer Rückkehr des Preisauftriebs zum Zielwert. Das bedeutet, dass eine Beendigung des QE-Programms wahrscheinlich noch in weiter Ferne liegt. Ökonomen erwarten hier eine schrittweise Drosselung der Ankäufe wie bei der Fed.

«Mein Basisszenario ist, dass sie QE im September um sechs Monate verlängern werden», sagte Claus Vistesen, Chefökonom für den Euroraum bei Pantheon Macroeconomics Ltd. in Newcastle, England. «Alles andere wäre eine Enttäuschung und würde wahrscheinlich zu einer Verstimmung an den Märkten führen.»

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