Daniel Koller, Leiter Investment Management von BB Biotech, sieht dank hohem Wachstum und niedriger Bewertung mehr Potenzial in Biotech-Aktien.
Herr Koller, wie stufen Sie die Bewertung der Biotech-Titel ein?
Das Kurs-Gewinn-Verhältnis der grossen Biotech-Unternehmen steht auf rekordtiefem Niveau. Kleine und mittelgrosse Gesellschaften zu bewerten, ist etwas schwieriger, aber ich denke, sie sind immer noch günstig. Gleichzeitig stimmen die fundamentalen Voraussetzungen für weiteres Gewinnwachstum. Beides zusammen verspricht überdurchschnittliche Renditen.
Bereitet Ihnen die Nervosität, die kürzlich an den Aktienmärkten aufgetreten ist, keine Sorgen?
Klar, wenn der Markt korrigiert, hat das auch Auswirkungen auf den Biotech-Sektor. Interessanterweise haben aber vor allem die Aktien der grossen Biotech-Konzerne an Wert verloren. Bei den Small und den Mid Caps blieben die Kurse verhältnismässig stabil.
Das erstaunt. Je riskanter die Aktien, desto schneller stossen Anleger sie bei einem Kurseinbruch in der Regel ab.
Die kleinen und die mittelgrossen Biotech-Unternehmen haben in den letzten Jahren gezeigt, dass sie innovativer sein können als ihre grossen Vorbilder. Es gibt Studien, die besagen, dass Forschungsprojekte der Pharmagrosskonzerne eine Rendite von nur noch 3 bis 4% erzielen. Falls diese Zahlen stimmen, müssten streng genommen sämtliche Investitionen in die Entwicklung gestoppt werden. Anleger fassen deshalb immer mehr Vertrauen in die Small und die Mid Caps, wo die erwartete Rendite deutlich höher ist.
Wo sind die kleinen und die mittelgrossen Unternehmen dann besser als die grossen Konzerne?
Es gibt diverse Gebiete, in denen die grossen Konzerne nicht vertreten sind. Beispielsweise gibt es Therapien, mit denen sich Gene ausschalten lassen, die für Krankheiten verantwortlich sind. In diesem Bereich stark sind die Gesellschaften Ionis und Alnylam. Dann gibt es Therapien, die quasi das Gegenteil sind. Sie stimulieren inaktive, aber wichtige Gene, damit sie gegen Krankheiten arbeiten. Die Erfinder und Entwickler dieses Ansatzes sind alles private Biotechnologieunternehmen. Solche zukunftsträchtigen Technologien sucht man sowohl bei den grossen Biotech- als auch den Pharmakonzernen vergeblich.
Warum sind diese Technologien so zukunftsträchtig?
Weil man damit potenziell eine ganze Reihe von Krankheiten behandeln kann, die mit den bisherigen Ansätzen nicht angegangen werden können. Früher haben Investoren Technologieplattformgesellschaften eher belächelt, auch wir. Heute tun wir dies nicht mehr. Diese Unternehmen haben den Vorteil, dass sie nicht nur von einem Produkt abhängig sind. Sie verfügen über die Möglichkeit, sich durch Innovation über viele Jahre hinweg zu erneuern und folglich auch zu vergrössern.
Es gibt jedoch nicht unendlich viele neue technologische Ansätze. Das bedeutet, alle springen auf den gleichen Zug auf?
Monopolstellungen, wie wir sie noch zur Jahrtausendwende bei gewissen Pharmagrosskonzernen erlebt haben, gibt es heute kaum mehr. Big Pharma ist deshalb auch längst nicht mehr der sichere Hafen von einst. Die Volatilität hat wegen der zunehmenden Abhängigkeit von einzelnen Studien deutlich zugenommen. Das Ziel einer Biotech-Gesellschaft oder generell eines Pharmaunternehmens ist heute viel mehr, zu den Top-Spielern auf einem Gebiet zu gehören. Die Strategie heisst also Verdrängung.
In der Onkologie tummelt sich fast die ganze Arzneimittelbranche. Wird es dort ungemütlich für die involvierten Unternehmen?
Ich behaupte nicht, dass der gesamte Onkologiebereich unter Druck kommen wird. Aber in der Immunoonkologie wird es wahrscheinlich tatsächlich viele Verlierer geben. Es wird allein schon deswegen zu einer Konsolidierung kommen müssen, weil die Wirksamkeit mit einer Kombination von mehreren Medikamenten erhöht werden kann. Wenn nun aber die wirksamste Kombination aus den Präparaten von mehreren Unternehmen besteht, stellt sich die Frage nach der Gewinnverteilung.
Dann müssen die grossen Konzerne zukaufen?
Absolut, und das nicht nur in der Onkologie. Spannend ist, dass dies bisher in erster Linie von den grossen Biotech-Konzernen erkannt wurde und aggressiv umgesetzt wird. Von einigen Vertretern von Big Pharma höre ich immer wieder, die Bewertungen kleiner und mittelgrosser Unternehmen seien derzeit zu hoch. Ich bin da anderer Meinung. Je länger diese Gesellschaften attraktive Wirkstoffe oder Plattformen weiterentwickeln, desto teurer werden sie, wenn man zuwartet.
Wen sehen Sie als potenziellen Käufer von kleineren Biotech-Unternehmen?
Dazu zählen zum einen die grossen Biotech-Konzerne, also beispielsweise Amgen (AMGN 182.45 0.01%) oder Gilead (GILD 79.4 -1.6%). Aber auch die grossen Pharmaunternehmen müssen wohl oder übel auf den Zug aufspringen. Sanofi hat in diesem Jahr bereits gekauft. Novo Nordisk hat klar die Absicht bekundet, via Akquisitionen zu wachsen.
Welche Gesellschaften erachten Sie als die heissesten Übernahmeziele?
Das sind mehr oder weniger alle Unternehmen, die ein Produkt auf dem Markt oder zumindest im Zulassungsprozess haben. Hinzu kommen die bereits erwähnten Technologieplattformgesellschaften. Wir erachten Übernahmen als einen der Kurstreiber der kommenden Jahre. Oft gerät in Vergessenheit, dass grössere Akquisitionen den ganzen Sektor positiv beeinflussen. Kauft Celgene beispielsweise Juno Therapeutics (JUNO 86.56 -0.09%) für 9 Mrd. $, fliesst ein Grossteil dieses Geldes wieder in andere Biotech-Titel.
Kommt es in den USA zu Preisdruck, leiden alle – ob gross oder klein. Wie gehen Sie mit diesem Risiko um?
Donald Trump wird für seine Wähler in Tweets wohl weiterhin die zu hohen Preise anprangern. Ich denke jedoch, dass das US-Gesundheitssystem eher optimiert als revolutioniert wird. Ausserdem stimmen mich die Änderungsvorschläge des Weissen Hauses für das Gesundheitssystem eher optimistisch für die innovativen Arzneimittelhersteller.
Können Sie Beispiele nennen?
Da gibt es zum Beispiel den Vorschlag mit dem Selbstbehalt bei Medikamentenkosten. Je höher er ist, desto negativer sieht die Allgemeinheit die Industrie. Nun will das Weisse Haus diesen Selbstbehalt jedoch reduzieren.
Zur Diskussion stehen in den USA aber auch Fehlanreize bei Medicaid. Ärzte und Spitäler erhalten bei injizierbaren Medikamenten 6% auf den Listenpreis. Das soll geändert werden, was letztlich auf den Preis drücken würde.
Ja, klar. Unser Ziel sind jedoch Investitionen in Unternehmen mit einem hohen Innovationsgrad. Fällt der Anreiz durch Medicaid weg, konzentrieren sich die Ärzte noch mehr auf das beste Medikament für den Patienten. Ich bin mir sicher, dass Unternehmen mit innovativen Präparaten in einem solchen Umfeld letztlich sogar zu den Gewinnern zählen werden.
Gibt es Therapiefelder, die Sie als besonders spannend erachten?
Die Neurologie ist ein sehr spannendes Gebiet. Sage Therapeutics hat beispielsweise ein Medikament gegen schwere Depression in der Pipeline. Das ist ein riesiger Markt. Früher waren solche Märkte den grossen Konzernen überlassen. Heute ist das nicht mehr immer so.
Warum partizipieren heute auch kleine Unternehmen an grossen Therapiefeldern?
Die klinischen Studien lassen sich heute durch externe Spezialisten durchführen. Zudem ist es derzeit für kleinere Unternehmen einfacher, Kapital für riskantere Projekte zu erhalten.
Ein Grossteil der innovativen kotierten Unternehmen stammt aus den USA. Warum ist das so?
In den USA ist einfach viel mehr Risikokapital vorhanden, und es wird viel mehr Geld in die Entwicklung von Medikamenten investiert als in Europa. Da können viele europäischen Start-ups nicht mithalten. Es gibt sehr gute Unternehmen auf unserem Kontinent. Aber es ist ein hartes Pflaster, wenn man mit weniger Mitteln in direkter Konkurrenz zu US-Gesellschaften steht.
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