Grosse Investoren bestimmen vielfach über die Zusammensetzung des Verwaltungsrats. Das liegt am Wahlsystem.
Schon die erste Aktiengesellschaft, die Niederländische Ostindien-Kompanie (Vereenigde Oostindische Compagnie, VOC), eine 1602 gegründete kriegstreibende Handelsgesellschaft, hatte eine Art Verwaltungsrat (VR), der darüber wachen sollte, dass die von den Investoren zur Verfügung gestellten Mittel gewinnbringend eingesetzt werden. Da sich dieser VR selbstherrlich benahm, ging es schon damals bald auch um Einfluss der verschiedenen Anteilseigner im Gremium. Die Möglichkeit, über die Zusammensetzung des VR mitzubestimmen, ist eines der wichtigsten Aktionärsrechte. Aktionäre, die beispielsweise die strategische Ausrichtung des Unternehmens ändern möchten, können dies nur indirekt durch eigene Vertreter im VR erreichen.
In der Schweiz wird gewöhnlich ein vom VR vorgeschlagener Kandidat gewählt. Grossaktionäre nehmen über eigene Vertreter im Gremium Einfluss. Und auch die unabhängigen Verwaltungsräte sind vom Goodwill der Grossaktionäre abhängig. Kandidaten von Minderheitsaktionären sind ohne Unterstützung der amtierenden Verwaltungsräte in der Regel chancenlos.
Aktionärsanträge chancenlos
Dabei hätte die Wahl der in den letzten Jahren auf Aktionärsanträge vorgeschlagenen Kandidaten bei Gategroup (mittlerweile in chinesischen Händen) und GAM (GAM 8.475 -2.19%) (weiterhin in der Krise) kaum geschadet. Die Abwahl eines Mitglieds ist selten. Verwaltungsräte werden im Schnitt mit über 95% Ja-Stimmen wiedergewählt. Ja-Stimmen unter 90% sind unüblich und bereits ein Zeichen für die Unzufriedenheit der Aktionäre.
Es ist wünschenswert, wenn Kapital im VR vertreten ist. Was kann aber getan werden, damit Minderheitsaktionäre bei der VR-Wahl mehr Einfluss erlangen?
Obwohl die Präsenz an der Generalversammlung (GV) in den letzten Jahren zugenommen hat, sind bei Unternehmen ohne Grossaktionäre durchschnittlich nur etwas mehr als die Hälfte des Kapitals vertreten. Bei Meyer Burger (MBTN 0.565 1.07%), wo der Vergütungsbericht abgelehnt wurde, waren nur etwa 26% an der GV. Gut 30% der Aktionäre bei diesen Unternehmen lassen sich zudem nicht im Aktienregister eintragen und verzichten so auf ihre Stimmrechte. Bei Lonza (LONN 310.5 -0.32%), UBS (UBSG 15.34 -0.78%), Swiss Life (SLHN 348 -0.74%), Credit Suisse (CSGN 14.71 -1.04%) oder Nestlé (NESN 81.48 0.27%) beträgt der Dispobestand über 40%. Unternehmen müssten ein Interesse daran haben, dass möglichst viele Aktionäre an der GV teilnehmen. Dies könnte durch Statutenänderungen verbessert werden (z.B. Zulassung von Nominees ohne Ausnahmen, Abschaffung von Stimmrechtsbeschränkungen).
Bei der VR-Wahl sieht das Obligationenrecht (OR) einen Mehrheitsentscheid vor (absolute Mehrheit der vertretenen Aktienstimmen). 50% plus eine Stimme reichen damit für die Wahl. Aufgrund der beschriebenen Konstellation (tiefe GV-Präsenz, hoher Dispobestand) können Grossaktionäre typischerweise alle VR-Mitglieder bestimmen. In den USA wurden Verwaltungsräte lange mit der relativen Mehrheit der Stimmen gewählt («plurality vote» ist etwa in Delaware das Standardwahlverfahren). Dabei gewinnt derjenige Kandidat mit den meisten Stimmen. Da für jeden freien Sitz meistens nur ein Kandidat aufgestellt wird, wird also jeder Kandidat, hat er auch nur eine Stimme erhalten, gewählt. Diese Pluralitätswahl ist nur sinnvoll, wenn mehr Kandidaten als Sitze zur Verfügung stehen (zum Beispiel bei einer Limitierung der VR-Grösse oder bei Wahlen des Präsidenten). Damit hätten Aktionäre eine Auswahl, was grundsätzlich zu begrüssen ist. Wenn weibliche, männliche, junge und alte Kandidaten zur Auswahl stünden, könnten die Aktionäre ihre Präferenzen bezüglich Diversität besser kundtun.
Unter Aktionärsdruck haben in den USA in den letzten Jahren viele Unternehmen den Wahlmodus zur absoluten Mehrheitswahl wie in der Schweiz geändert. Dies zur Verhinderung von Verwaltungsräten, hinter denen keine Mehrheit steht. Ein Wahlsystem, das die Einsitznahme von Vertretern der Minderheitsaktionäre erleichtern soll, ist das «Cumulative Voting»-System. In Taiwan ist es das Standardwahlverfahren und stellt eine Ausnahme dar. Bei diesem Verfahren hat jeder Aktionär Stimmen entsprechend seinem Aktienanteil und der Anzahl (offener) Sitze. Dabei können Aktionäre alle Stimmrechte auf einem Kandidaten bündeln. Damit steigt die Chance, dass der bevorzugte Kandidat einen Sitz erlangen kann.
Hat ein Aktionär beispielsweise hundert Stimmen und gibt es zehn Sitze, kann er tausend Stimmen auf einen Kandidaten setzen. Daneben ist es auch vorstellbar, dass Verwaltungsräte von einer Mehrheit der Minderheitsaktionäre gewählt werden müssten. Bei SGS (SGSN 2563 0.04%) wurden dieses Jahr Verwaltungsräte mit nur zwei Drittel der Stimmen gewählt, obwohl die beiden Grossaktionäre GBL und von Finck zusammen über 30% der Stimmen halten.
Ausserdem hat die Blockchain-Technologie das Potenzial, den Informationsaustausch zwischen Unternehmen und Aktionariat zu verbessern, die Komplexität des Stimmprozesses zu vereinfachen (etwa durch Umgehung von Intermediären), die Transaktionskosten zu senken und die Stimmresultate transparenter zu machen. Vielleicht wird es dadurch sogar möglich sein, die Versicherten bei Pensionskassen oder die Fondsbesitzer direkt abstimmen zu lassen. Die Nutzung dieser Technologie kann also die Aktionärsdemokratie erheblich stärken.
Verschiedene Lösungen
Minderheitsaktionäre können geschützt werden, indem sie im VR als von Grossaktionären unabhängige Verwaltungsräte repräsentiert sind. Das kann auf verschiedenen Wegen erreicht werden. Die Stimmrechtswahrnehmung muss durch Statutenänderungen erleichtert werden, sodass die Meinung eines grösseren Aktionärskreises an der GV reflektiert wird. Ausserdem gibt es verschiedene Wahlmodi, die den Einfluss der Minderheitsaktionäre verbessern können. Zu denken ist dabei insbesondere an die «kumulierte Stimmabgabe» oder die «Mehrheit-der-Minderheit»-Regel. Die Digitalisierung muss sodann auch die GV erreichen. Der ganze Abstimmungsprozess muss durch die Blockchain-Technologie erheblich verbessert werden. Dies kann dazu führen, dass nicht nur grosse Player wie Blackrock beim VR Gehör finden, und dass eine echte Aktionärsdemokratie entstehen kann.
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