Die Vorlage bringt einen kostspieligen Ausbau der AHV statt die beabsichtigte und dringend notwendige Sanierung der Altersvorsorge.
Trotz jahrelanger Arbeit in der Verwaltung und epischen Diskussionen im Parlament verfehlt die Abstimmungsvorlage zur Altersvorsorge 2020 ihr Hauptziel. Zerrieben zwischen divergierenden politischen Interessen gelingt die Sanierung der ersten und der zweiten Säule nicht. Stattdessen wird ein Ausbau der AHV verankert, der auf Dauer nicht finanziert ist. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Vorlage, über die am 24. September abgestimmt wird.
Ist die Altersvorsorge ein Sanierungsfall?
Ja. In diesem Punkt herrscht Einigkeit. Die erste Säule AHV wie auch die zweite, die berufliche Vorsorge (BVG), sind instabil geworden, die Finanzen laufen langsam, aber sicher aus dem Ruder. Ohne Gegenmassnahmen in nützlicher Frist droht der Kollaps der Sozialwerke. Die Probleme haben vor allem zwei Ursachen: die Alterung der Bevölkerung sowie die in den vergangenen Jahren gesunkenen Zinsen an den Kapitalmärkten.
Welche Rolle spielt die Demografie?
Die Alterung der Bevölkerung hat in der AHV dazu geführt, dass das Umlageergebnis, also grob der Saldo zwischen den AHV-Prämien und den ausgezahlten Renten, negativ geworden ist. Letztmals wurde 2013 ein marginaler Überschuss von 14 Mio. Fr. realisiert. Seither ist das Defizit stetig gewachsen, 2016 erreichte es 508 Mio. Fr. Parallel dazu sinkt der Ertrag aus den Anlagen des AHV-Fonds, er reicht nicht mehr lange zur Kompensation des negativen Umlageergebnisses. In der zweiten Säule bewirkt die Alterung, dass das individuell angesparte Geld für mehr verbleibende Lebensjahre reichen muss.
Was genau ist der Umwandlungssatz?
Er bestimmt, in welchem Verhältnis die angesparten Kapitalien in der Pensionskasse in eine Rente umgewandelt werden. Der Satz richtet sich nach der durchschnittlichen Lebenserwartung sowie den Kapitalmarktzinsen. Der geltende Satz von 6,8% ist aufgrund der veränderten Gegebenheiten viel zu hoch. Ein der Lebenserwartung sowie den Kapitalmarktzinsen angepasster Satz würde deutlich unter 6% liegen. Ist er zu hoch, müssen die Pensionskassen Renten ausschütten, die nicht finanziert sind. Daraus resultiert eine massive Umverteilung von den erwerbstätigen Generationen zu den Rentnern.
Welches sind die wichtigsten Massnahmen der Vorlage?
Bundesrat und Parlament wollen die zwei Säulen in einem umfassenden Paket sanieren und so die Renten sichern. Einige Punkte der Revision sind weitgehend unbestritten: Das Rentenalter der Frauen wird schrittweise angepasst. Ab 2021 gilt für beide Geschlechter das Rentenalter 65. Gleichzeitig soll eine Flexibilisierung des Referenzalters zwischen 62 und 70 Jahren ermöglicht werden. Ein frühzeitiger Rentenbezug hat dabei einen Abschlag zur Folge, ein späterer entsprechend eine höhere Rente.
Im BVG soll der Umwandlungssatz von 6,8 auf 6% gesenkt werden. Die Senkung wird schrittweise um je 0,2 Prozentpunkte pro Jahr vorgenommen. Die erste Anpassung folgt ein Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes, also 2019.
Ist mit Renteneinbussen zu rechnen?
Die Senkung des Umwandlungssatzes hat für die Versicherten grundsätzlich Renteneinbussen zur Folge. Sie sollen zunächst innerhalb des BVG kompensiert werden, und zwar über eine Senkung und Flexibilisierung des Koordinationsabzugs sowie eine Anpassung der Altersgutschriften. Das führt zu höheren Beiträgen der Versicherten, also von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Zudem kommt die Übergangsgeneration (45 Jahre oder älter ein Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes) in den Genuss von Zuschüssen aus dem Sicherheitsfonds.
Diese Massnahmen genügen jedoch nicht, um die Einbussen wettzumachen. Deshalb hat das Parlament, auf Betreiben von SP und CVP, äusserst knapp eine zusätzliche Kompensation über die AHV beschlossen. Sie umfasst eine pauschale Rentenerhöhung um 70 Fr. für alle Neurentner sowie eine Erhöhung des Plafonds für Ehepaare von heute 150 auf neu 155% der Maximalrente – die AHV-Leistungen werden damit ausgebaut.
Warum ist die Vorlage so umstritten?
Die Kontroverse entzündet sich im Wesentlichen an der vorgesehenen pauschalen und teuren AHV-Rentenerhöhung. Zunächst verbindet sie, völlig systemwidrig, die erste und die zweite Säule der Altersvorsorge. Und sie bringt einen Ausbau nach dem Giesskannenprinzip – alle Neurentner profitieren davon, auch diejenigen, die es gar nicht nötig haben. Schliesslich entsteht in der Altersvorsorge eine Zweiklassengesellschaft: Die Neurentner profitieren, während die bestehenden Rentner nicht nur leer ausgehen, sie werden über die im Rahmen der Vorlage erhöhte Mehrwertsteuer zusätzlich zur Kasse gebeten.
Was kostet die Altersvorsorge 2020?
Die Erhöhung des Rentenalters der Frauen um ein Jahr bringt jährlich eine Einsparung von rund 1,2 Mrd. Fr. Diese wird allerdings mehr als kompensiert durch die pauschale Rentenerhöhung von 70 Fr. und den höheren Ehepaarplafond. Sie wird finanziert über einen zusätzlichen Lohnbeitrag von 0,3%, entsprechend 1,4 Mrd. Fr. Dieser Betrag reicht längerfristig allerdings nicht aus. Schon um das Jahr 2030 übersteigen die zusätzlichen Kosten die höheren Einnahmen wegen der wachsenden Rentnerzahlen deutlich. Als weitere Massnahme wird die Mehrwertsteuer in zwei Schritten um insgesamt 0,6 Prozentpunkte erhöht, entsprechend einem Betrag von rund 2,1 Mrd. Fr.
Weiter fallen im BVG Kosten von rund 1,6 Mrd. Fr. an. Schliesslich soll das seit 1999 erhobene Demografieprozent der Mehrwertsteuer künftig voll an die AHV gehen. Bislang behielt der Bund 17% davon zurück. Das macht für die Bundeskasse Mehrkosten von gut 600 Mio. Fr. aus. Es ergeben sich, auf das Jahr 2030 gerechnet, Gesamtkosten zwischen 5,5 und 6 Mrd. Fr.
Ist die Altersvorsorge damit saniert?
Nein. Gemäss den Hochrechnungen des Bundesamtes für Sozialversicherungen ist die Altersvorsorge trotz dem immensen Aufwand damit nicht saniert. Schon 2035 klafft im Umlageergebnis wieder ein Fehlbetrag von 6,9 Mrd. Fr. Ein Blick in die noch weitere Zukunft lässt Böses erahnen: Im Umlageergebnis dürfte 2045 ein Loch von rund 12 Mrd. Fr. entstehen. Der AHV-Fonds steht mit 22 Mrd. Fr. in der Kreide. Und es könnte noch schlimmer kommen: Hinter diesen Zahlen steht die Annahme eines – gemessen an allen Erfahrungen und Plausibilitäten unrealistischen – Lohnwachstums von 1,9% pro Jahr ab 2021. Wird diese Rate nicht erreicht, werden die finanziellen Löcher noch deutlich grösser.
Die finanzielle Sicherung und Sanierung der Altersvorsorge gelingt mit diesem Paket nicht. Genau genommen muss am Tag nach einer allfälligen Annahme die nächste Revision eingeleitet werden. Da wird gezwungenermassen eine Anpassung des Rentenalters nach oben in Zentrum stehen müssen. Ohne diese strukturelle Massnahme lässt sich die Altersvorsorge längerfristig nicht ins Lot bringen. Das haben andere europäische Länder zum Teil schon längst erkannt und entsprechend gehandelt.
Worüber hat der Stimmbürger genau zu befinden?
Am 24. September gelangen zwei Vorlagen zur Abstimmung: Der Bundesbeschluss über die Erhöhung der Mehrwertsteuer untersteht dem obligatorischen Referendum, es handelt sich um eine Änderung der Bundesverfassung. Es braucht das Mehr von Volk und Ständen. Zudem steht das Bundesgesetz über die Reform der Altersvorsorge zur Debatte. Dagegen ist das Referendum ergriffen worden. Die zwei Vorlagen sind miteinander verknüpft. Wird eine abgelehnt, scheitert die ganze Reform.
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