Trotz einer seit zehn Jahren anhaltenden Wirtschaftserholung spürt man nichts von einer Überhitzung. Gleichzeitig lässt die Dynamik nach.
Der Aufschwung der Weltwirtschaft nach der Finanzkrise dauert nun schon zehn Jahre an. Derzeit befinden sich so wenige Länder in einer Rezession wie selten zuvor. Das Wachstum hat weniger Schwung als andere Expansionsphasen, dafür ausdauernd. Zwischendurch gab es nur einzelne Schwächephasen, insbesondere durch die Schuldenkrise in Europa, die 2012 stark negativ zu Buche schlug.
Vergangenes Jahr waren es nur 15 Länder, die in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen eine negative Wachstumsrate verzeichneten. So ist eine Rezession definiert. Dagegen schlitterten im Nachgang der Finanzkrise 2009 nahezu einhundert Volkswirtschaften in eine Rezession.
Prominentestes Mitglied des Rezessionsclubs letztes Jahr war Italien, wenn auch nur mit einem leichten Minus im zweiten Halbjahr 2018. Im ersten Quartal 2019 überraschte Italien allerdings mit einer positiven Wachstumsrate und fällt somit aus der Zählung für das laufende Jahr vorerst hinaus. Das Europa am nächsten gelegene Rezessionsland ist die Türkei, die seit Mitte 2018 eine schrumpfende Wirtschaftsleistung aufweist.
Die Zahl der Rezessionsländer ist sehr niedrig – und soll gar noch weiter sinken. Basierend auf den Prognosen des Internationalen Währungsfonds (IWF) werden dieses Jahr nur noch dreizehn Länder eine rückläufige Wirtschaftsaktivität aufweisen. Neben der Türkei sind Länder wie der Iran, Venezuela und Simbabwe auf der Liste. Keines davon ist Schwergewicht genug, um weltwirtschaftlich tiefe Spuren zu hinterlassen. Die offiziellen Prognosen des IWF vermitteln ein entspanntes Bild. Bis zum Jahr 2024 soll die Gesamtzahl gar auf nur noch fünf Länder in Rezession fallen, ein absolutes Rekordtief.
Das Beste liegt hinter uns
Zurücklehnen kann man sich jedoch nicht. Auch wenn ein Wirtschaftszyklus nicht an Altersschwäche stirbt, trauen viele Ökonomen der Lage nicht mehr angesichts des Reifegrads des Zyklus. Die Tatsache, dass sich seit Jahresbeginn sowohl das Fed als auch die Europäische Zentralbank deutlich zurückhaltender zeigen, was die künftige geldpolitische Ausrichtung betrifft, bestätigt viele Skeptiker in ihrer vorsichtigen Haltung zum Konjunkturausblick. Andererseits ruhen viele Hoffnungen auf der Bereitschaft der Notenbanken, dem Wachstum falls nötig unter die Arme zu greifen.
Bedenken zur Nachhaltigkeit der Wirtschaftsdynamik wurden schon vor dem Wiederaufflammen des Handelskonflikts zwischen den USA und China laut. Dieser Konflikt hat das konjunkturelle Bild stark verdüstert. Unsicherheiten rund um den Brexit bestehen schon seit längerer Zeit und halten an. Zusammengenommen sind dies die schwerwiegendsten Risikofaktoren, welche als ein mehr oder weniger grosser Abschlag auf die Wachstumsaussichten in die Prognosen einfliessen.
Somit herrscht Konsensus, dass der Höhepunkt des Zyklus hinter uns liegt. Dies gilt sowohl für die Industriestaaten als auch für die aufstrebenden Volkswirtschaften. Wachstumsprognosen werden insbesondere für die europäischen Volkswirtschaften nach unten revidiert. Auch wenn sich kein Ökonom aus dem Fenster lehnt und eine Rezession voraussagt.
War die Schweizer Wirtschaft im Jahr 2018 noch mit einer Rate von 2,5% im Vergleich zum Vorjahr gewachsen, hat sich die Konsensusmeinung für das laufende Jahr gemäss Bloomberg bei 1,1% eingestellt. Das Wachstum der Eurozone wird bei 1,2% erwartet. Die Prognose für die USA liegt derzeit bei 2,6% für 2019 nach einem starken ersten Quartal.
Ein etwas anderer Zyklus
Doch anders als in anderen Konjunkturzyklen sind keinerlei Überhitzungserscheinungen auszumachen. In vielen Volkswirtschaften der industrialisierten Welt sind die Arbeitsmärkte nahezu ausgetrocknet. In der Schweiz befindet sich die saisonal adjustierte Arbeitslosenquote auf einem tiefen Niveau von 2,4%, welches zuletzt im Jahr 2002 erreicht wurde. Normalerweise müsste dies zu satten Lohnsteigerungen führen, doch die Reallohnentwicklung ist enttäuschend.
Darüber hinaus fällt in diesem Zyklus der Inflationsdruck weg. In den grossen Wirtschaftsräumen befinden sich die Teuerungsraten unterhalb der Zielwerte der Notenbanken. Diese können es sich insofern erlauben, von einer Straffung der Geldpolitik abzusehen. Allerdings wird somit auch kein Raum geschaffen, um zu reagieren, wenn es denn gilt, die Wachstumsdynamik zu unterstützen.
Die Besonderheit des Konjunkturzyklus macht es noch schwieriger als sonst, einen potenziellen Auslöser für einen Abschwung zu identifizieren. Ängstliche Blicke richten sich immer wieder auf die Entwicklung der Finanzmärkte.
Der Aktienmarkt, so die weitverbreitete Ansicht, hat das Talent, eine Konjunkturwende vorwegzunehmen. Im März 2009 hatte der S&P 500 (SP500 2826.06 0.14%) zur Rally angesetzt mit sechs Monaten Vorlauf zu den realwirtschaftlichen Daten. Nach wie vor werden Korrekturphasen am Aktienmarkt eher als Einstiegsmöglichkeit genutzt. Ein anhaltender Ausverkauf zeichnet sich trotz teilweise hoher Bewertungen nicht ab. Dies sollte aber keine Entwarnung geben.
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