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16:39 Uhr - 13.09.2016

Dätwyler-CEO Hälg: «Erwarten weitere Aufträge von Nespresso»

Paul Hälg sagt, weshalb er zuversichtlich ist, den wichtigen Nestlé-Auftrag auszuweiten. Zudem äussert er sich zur verpassten Übernahme von Premier Farnell.

Zur PersonDer an der ETH Zürich als Chemiker ausgebildete Paul Hälg (61) hat einen breiten Leistungsausweis im Aufbau und in der Führung global positionierter Industriezulieferer. Zwischen 1986 und 2001 bekleidete er Führungsfunktionen (zuletzt als CEO) bei Gurit-Essex, einer Tochter der Gurit-Heberlein-Gruppe. Danach baute er den Geschäftsbereich Klebstoffe von Forbo aus. Im Sommer 2004 schliesslich stiess der St. Galler als CEO zu Dätwyler. Hälg stutzte das damalige Konglomerat von fünf auf zwei Divisionen, steigerte die Betriebsgewinnmarge und reduzierte die Abhängigkeit vom Franken. Auf Anfang 2017 gibt er den CEO-Posten ab und übernimmt das Präsidium des Verwaltungsrats. Die Anforderungen dieses Amts kennt Hälg bestens, ist er doch seit 2012 VR-Präsident von Sika. Dort setzt er sich an vorderster Front gegen die Übernahme des Bauchemieherstellers durch den französischen Konzern Saint-Gobain zur Wehr. Mitte Juni setzte Dätwyler (DAE 139.5 0.5%) zum grossen Sprung an. Das Urner Unternehmen lancierte ein Kaufangebot von 850 Mio. Fr. an den britischen Elektronikteilehändler Premier Farnell – und wurde überraschend überboten. «Das Scheitern der Übernahme war sicher eine Enttäuschung», sagt CEO Paul Hälg. Aber das heisst noch lange nicht, dass das Management nun Trübsal bläst, wie im Gespräch deutlich wird. Zu Sika (SIK 4652 0.65%), deren VR-Präsident Hälg auch ist, will er sich im Rahmen dieses Interviews nicht äussern.

Herr Hälg, Sie wurden beim Versuch, die britische Premier Farnell zu übernehmen, vom US-Konkurrenten Avnet ausgestochen. Haben Sie eine einmalige Chance verpasst?
In gewisser Hinsicht, ja. Grosse Übernahmeziele im Elektronik-Online-Handel sind eine Seltenheit. Der Kauf hätte strategisch sehr gut gepasst. Auf einen Schlag hätten wir sämtliche Geschäftseinheiten in eine führende Position katapultiert.

Was hätten Sie anders machen sollen?
Nicht sehr viel. Das Timing war richtig. Das Risiko des Brexit spielte für uns keine entscheidende Rolle. Im Prozess haben wir uns überlegt, ob es Gegenofferten geben würde, und haben die entsprechenden Unternehmen im Auge behalten.

Auch den US-Konzern Avnet, der dann zum Zug kam?
Ja, auch ihn. Nach einem CEO-Wechsel am 11. Juni rechneten wir allerdings nicht mehr mit einer Avance von dieser Seite.

Haben Sie oder die Investmentbank die Hausaufgaben nicht ganz gemacht?
Das würde ich nicht sagen. Wir haben uns gut vorbereitet. Unser Angebot von 50% über dem Börsenkurs von Premier Farnell war auch in Berücksichtigung möglicher anderer Offerten entstanden. Konkret hatten aber weder wir noch das Zielunternehmen Hinweise auf eine andere Offerte. Deshalb waren wir in der Planung schon weit fortgeschritten.

Aber hätte sich ein noch höheres Angebot Dätwylers langfristig nicht doch gerechnet?
Unser erster Preis war bereits recht stolz gewesen, im Rahmen dessen, was für ein Distributionsgeschäft bezahlt wird. Zudem hätten wir mit einem deutlich höheren Angebot den Weiterausbau unseres Dichtungsgeschäfts in Frage gestellt. Aus einer Gesamtsicht wäre es nicht geschickt gewesen, alle Ressourcen auf eine Division zu konzentrieren. In einem solchen Moment prüft man immer die nächstbesten strategische Alternativen. Die hatte Avnet als fokussiertes Unternehmen nicht. In einem Bieterkampf hätte der US-Konzern eher nachgelegt.

Können Sie jetzt ein anderes Übernahmeprojekt aus der Schublade ziehen?
Unser neues Zentrallager und das moderne IT-System sind seit Anfang Jahr in Betrieb, müssen aber noch optimiert werden. Die Plattform für Wachstum ist vorhanden. Wir haben stets auch andere Akquisitionsmöglichkeiten ausgelotet. Diese Vorarbeiten sind nicht verloren. Der Markt für elektronische Distribution ist immer noch sehr fragmentiert. Da gibt es einige Unternehmen in der Grösse von 100 Mio. € Umsatz und viele kleinere mit 30 bis 50 Mio. €. Vielleicht nicht mehr dieses Jahr, aber Anfang 2017 könnten wir mit einer Akquisition aufwarten.

Ist es unbedingt nötig, dass Technical Components auf 1 Mrd. Fr. Umsatz wächst?
Grösse bedeutet grössere Bekanntheit der Marke. Für die Kunden ist es zudem wichtig, ein möglichst breites Sortiment von Schaltern, Messgeräten, Sensoren, Antrieben usw. in einem einzigen Shop vorzufinden. Ein breites Sortiment kann man sich aufgrund des grossen Anteils Fixkosten nur mit einem gewissen Umsatz leisten. Sonst wird das Lager zu wenig oft umgeschlagen beziehungsweise zu viel Kapital gebunden.

Ist auch ein Verkauf von Technical Components eine Option? Schliesslich hat gerade die Übernahme von Premier Farnell gezeigt, dass derzeit gute Preise zu lösen sind.
Das ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Thema. Wir überprüfen ständig unser Portfolio, sind aber nicht unter Zeitdruck. Gelangen wir zum Schluss, nicht der beste Eigner zu sein, agieren wir. Das haben wir in der Vergangenheit immer wieder bewiesen. Mit den Projekten, die wir verfolgen, können wir den nötigen Umsatz von 1 Mrd. Fr. erreichen. Je besser wir operativ dastehen, desto attraktiver werden wir. Der Trend weg vom traditionellen Handel hin zum Internet wird lange anhalten.

Ist das Ziel, im Handel mit Elektronikteilen 2017 eine deutlich höhere Betriebsgewinnmarge von mindestens 10% zu erwirtschaften, wirklich realistisch?
Um es zumindest annähernd zu erreichen, muss sich wie gesagt der Umsatz dynamischer entwickeln. Das sollte mit einer verstärkten Ausrichtung auf das Segment Unterhalt, Wartung und Reparatur sowie der Einführung neuer Produkte möglich sein. Zudem muss sich die Effizienz des neuen Zentrallagers noch verbessern. Massnahmen sind eingeleitet.

In der Division Sealing Solutions fertigt Dätwyler Dichtungen vorwiegend für die Pharma-, die Konsumgüter- und die Autoindustrie. Verlagert sich der Schwerpunkt der Akquisitionsstrategie nun zu diesem Bereich?
Davon ist auszugehen. Grössere Projekte, die wir zeitlich zurückgestellt haben, können wir nun vorziehen. Der Ausbau von Sealing Solutions dürfte nun rascher vorwärtsgehen als zuletzt geplant. Mit der kürzlich kommunizierten Akquisition der deutschen Ott erwirbt Dätwyler beispielsweise neue Technologie- und Materialkompetenz, die uns den Eintritt in neue Marktnischen ermöglichen sollte.

Die Division hat im ersten Semester eine hohe operative Marge von 19% erwirtschaftet. Wird diese mit Zukäufen nicht zwangsläufig verwässert?
Das versuchen wir zu vermeiden. Wir peilen Ziele mit einer Marge von mindestens 15% an und gehen davon aus, nach Synergien auf den aktuellen Durchschnitt zu gelangen. Der Grund für die hohe Marge liegt darin, dass wir uns stets auf systemkritische Anwendungen mit hoher Stückzahl konzentrieren, die preislich für den Kunden keine entscheidende Rolle spielen.

Wie ist es gelungen, die Marge von Sealing seit 2011 von 12 auf 19% zu steigern? Lässt sich das Niveau halten?
2012 wurden Pharmaverpackung und Sealing zusammengelegt. Im Pharmageschäft hatten wir stets eine attraktive Marktposition, waren aber operativ deutlich schlechter unterwegs als im Autobereich. Der Kostendruck war einfach weniger hoch. Seit der Zusammenlegung haben wir in der Fertigung im Pharmabereich eine Automobilkultur. Zudem profitieren wir derzeit von günstigen Rohmaterialpreisen im Umfang von 1 bis 2 Ebit-Prozentpunkten. Davon abgesehen lässt sich die Marge sicher halten. Noch sind nicht alle Optimierungsprogramme umgesetzt.

Ein Grund für die hohe Marge ist doch auch die sehr gute Autokonjunktur. Was, wenn hier der Wind dreht?
Betrachtet man die Autoindustrie global, gab es immer Wachstum mit regionalen Unterschieden. Darum ist es für uns wichtig, weltweit präsent zu sein. Noch fehlt eine Präsenz in Südamerika. Da ist ein Projekt in Verhandlung.

Gibt es im Pharmageschäft überhaupt noch Wachstum?
Ja, vor allem in Asien. In China und Indien ist der Pharmasektor in Bezug auf Sicherheit und Hygiene noch kaum reguliert, was sich ändern wird. Dadurch gibt es viel Potenzial für unsere pharmazeutischen Verpackungsteile.

Dätwyler ist Nestlés Hauptlieferant für die Dichtung und die Aluminiumhülle der Nespresso-Kaffeekapseln. Derzeit laufen Verhandlungen für die nächsten fünf Jahre. Besteht die Gefahr, dass Dätwyler weniger als bisher zum Zug kommt?
Dass wir nicht berücksichtigt werden, ist kaum denkbar. Es wäre für ein anderes Unternehmen nicht möglich, Milliarden von Stückzahlen pro Jahr in der geforderten Qualität zu liefern. Wir gehen vielmehr davon aus, dass wir das Volumen steigern können, weil eine neue Nespresso-Linie für die USA lanciert worden ist. In den Eckpunkten sind wir uns einig, wie es weitergehen soll.

Wie wichtig ist der Nespresso-Auftrag?
Er bringt uns etwas mehr als 100 Mio. Fr. Umsatz ein. Nestlé (NESN 77.35 -0.51%) ist der grösste Einzelkunde der Gruppe.

Dätwyler könnte nun ohne weiteres 500 Mio. Fr. für Übernahmen lockermachen. Geht ein Teil an die Aktionäre zurück?
Die Aufgabe lautet klar, in den Ausbau der Aktivitäten zu investieren. In Sealing Solutions haben wir schon vergangenes Jahr das Tempo erhöht. Da können wir pro Jahr 50 bis 100 Mio. Fr. Umsatz zukaufen, im Bereich Technical Components eher 150 Mio. Fr. Seit meinem Amtsantritt 2004 lag der Fokus nicht auf Wachstum, sondern auf der Bereinigung des Unternehmensportfolios und der Steigerung der Marge. Nun wollen wir in den nächsten Jahren zeigen, dass wir fähig sind, ein stetes Wachstum mit konstant hoher Marge zu erzielen. Vorbild hierfür ist der US-Konzern Danaher.

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