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10:30 Uhr - 27.02.2017

Der Wurstpionier vom Rheinknie

Mit einer Ochsenmetzg beginnt die Geschichte von Bell. An den eigenen Ambitionen wäre sie aber mehrmals fast gescheitert.

Heiligabend 1913 steht Bell (BELN 431.75 0.41%) vor dem Aus. Erst im letzten Moment taucht ein Retter auf: Der Verband Schweizerischer Konsumvereine (V.S.K.), die heutige Coop, greift der damaligen Grossschlächterei und Wurstfabrik aus Basel unter die Arme und übernimmt einen Drittel des Aktienkapitals. Bell ist vorerst gerettet.

FuW-Serie Die Geschichte«Finanz und Wirtschaft» stellt Schweizer Unternehmen und ihre Geschichte vor.

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Der Zusammenschluss ist aussergewöhnlich. Genossen und Kapitalisten arbeiten Hand in Hand. Die Verbindung, die als Bell-Allianz (ALV 163.75 0.18%) in die Geschichte eingehen wird, verursacht einen Sturm der Entrüstung. Kritiker monieren, dass der V.S.K. die antikapitalistischen Prinzipien verraten habe. Die «Neue Zürcher Zeitung» bezichtigt den Konsumverein gar der genossenschaftlichen Selbstverleugnung. Viele befürchten, dass am Ende der kleine Mann unter teureren Fleischprodukten leiden wird. Denn immerhin ist Bell der grösste Fleischverarbeiter auf dem europäischen Festland und zählt 1914 in der Schweiz 130 Filialen.

Der Wurstkrieg

zoomZur damaligen Zeit wird Fleisch dank des hohen Proteingehalts als das wichtigste Lebensmittel angeschaut. Der Fleischkonsum gilt sogar als Massstab für die Bedeutung einer Nation und den Wohlstand eines Landes. Es herrscht die Überzeugung, dass viel Fleisch den Menschen körperlich und geistig zu einem guten Arbeiter macht.

Als bestes Stück gilt Fleisch vom Ochsen. Wegen des hohen Preises ist das Ochsenfleisch aber der Oberschicht vorbehalten. Ein gutes Stück Ochsenfleisch ist Luxus. Das weniger begüterte Volk muss sich mit billigerem Fleisch und mit Würsten zufriedengeben. Und diese Masse ist es, die am empfindlichsten auf Preiserhöhungen reagiert. Das hatte sich 1890 gezeigt, als die Metzgermeister der Stadt Basel wegen steigenden Einkaufspreisen die Preise für Klöpfer, Rauchwürste und Landjäger um einen Drittel erhöht hatten. Erfolg hatten sie aber keinen. Konsumenten aus allen Schichten gingen auf die Barrikaden und riefen zum Boykott auf. Mit Erfolg: Neun Monate später machten die Metzger die Preiserhöhung rückgängig. Die Konsumenten hatten gewonnen, der Wurstkrieg war beendet.

Im 19. Jahrhundert befindet sich die Fleischverarbeitung im Wandel. Ab 1851 dürfen Metzger Rindfleisch in eigenen Verkaufslokalen anbieten. Ab 1871 müssen sie es. Die öffentlichen Fleischmärkte werden geschlossen. Metzgermeister Samuel Bell-Roth nutzt die Gunst der Stunde. 1869 eröffnet er an der Streitgasse 13 seine Ochsenmetzg. Er ist ehrgeizig und auf Wachstum aus (vgl. Text unten). Rasch erweitert er das Sortiment um Aufschnitt und Wurstwaren. Auch Früchte und Salate bietet er an. Neue Filialen kommen hinzu. Der Hauptsitz im Stadtzentrum stösst rasch an Grenzen.

Bell-Roth will eine Schlächterei im industriellen Sinne bauen. Sein jüngster Sohn hat in Paris, Berlin, London, Stuttgart und München Erfahrungen in Grossbetrieben gesammelt. Nahe der französischen Grenze an der Elsässerstrasse 174 findet Bell-Roth das passende Gelände. Erst 1908 eröffnet der Grossbetrieb als neuer Hauptsitz die Tore, dann bereits unter der Führung der drei Söhne. Sie wandeln 1907 die Samuel Bell Söhne in eine Aktiengesellschaft, erhöhen das Kapital und holen neue Aktionäre an Bord, Bells bleiben aber am Ruder.

40 Meter hoher Kühlturm

zoomzoomBell-Roths Söhne wollen weiter wachsen. 1909 eröffnen sie die erste Filiale in Zürich. Ein Jahr später zählt der Grossmetzger dort bereits 14 Filialen. Es folgen Niederlassungen in Luzern, Biel, Neuchâtel, La Chaux-de-Fonds und Lausanne. Bel-Roths Söhne gehen immer gleich vor. Sie kaufen die Metzgereien und setzen die bisherigen Besitzer als Filialleiter ein. Von 1909 bis 1913 versechsfacht sich der Umsatz auf 20 Mio. Fr. Der Erfolg macht sie übermütig.

Die Bell-Nachfolger lassen einen 40 Meter hohen Kühlturm bauen, der den jüngsten technischen Kenntnissen entspricht. Die Ausgaben reissen aber ein Loch in die Rechnung. Zudem kämpft Bell 1913 mit «abnormal hohen Einkaufspreisen». Anstatt die Verkaufspreise zu erhöhen, nimmt Bell eine Hypothek auf den Hauptsitz auf. Die zwei Millionen Franken reichen aber nicht aus. Das Unternehmen benötigt viel mehr Geld.

Gleichzeitig ist der Konsumverein auf der Suche nach Investitionsmöglichkeiten. Die Genossenschaft hat Obligationen im Wert von 5 Mio. Fr. ausgegeben und will sich an Produktionsbetrieben beteiligen, anstatt eigene Anlagen aufzubauen. Die Not von Bell kommt wie gerufen. Im Dezember 1913 beteiligt sich der Konsumverein an Bell. Klammheimlich übernimmt die Genossenschaft auf den 1. Juni 1914 weitere Aktien und hält dann die Mehrheit des Fleischverarbeiters. So sind es also nicht die Kapitalisten, die die Genossen übernehmen, sondern umgekehrt. Der Zusammenschluss ist für Bell die Rettung in letzter Sekunde und sichert auch in den nächsten Jahren das Überleben, aber ohne Einschnitte geht es nicht. Während des Ersten Weltkriegs muss Bell 45 der 123 Filialen schliessen.

Widerstand der Metzger

Die Person Samuel Bell-Rothder unternehmerische Metzger
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Nach Kriegsende steigt die Nachfrage nach Fleisch rasch wieder an. Allerdings hält die staatliche Schlachtanlage – aus hygienischen Gründen gibt es noch einen staatlichen Schlachthauszwang – nicht mit dem Volumen Schritt. Bell plant deshalb ein eigenes Schlachthaus. Die nötige Ausnahmebewilligung der Regierung ist kein Problem. Verbitterten Widerstand gibt es aber von anderer Seite.

Die Metzger wehren sich gegen die Bevorteilung von Bell. Der Metzgermeisterverband erzwingt eine Abstimmung im Parlament von Basel-Stadt und verliert. Er gibt nicht auf und ergreift das Referendum. Der Verband verliert die Volksabstimmung und zieht vors Bundesgericht. Dieses fühlt sich nicht zuständig und überweist an den Bundesrat. Er entscheidet gegen Bell, und das Schlachthaus verschwindet in der Schublade.

Kritisch ist die Situation für Bell während des Zweiten Weltkriegs. Die Hälfte der männlichen Angestellten rückt bei der Mobilmachung 1939 ein. Bald werden Roh- und Brennstoffe zur Mangelware und von 1942 bis 1947 wird eine landesweite Fleischrationierung eingeführt. Nach Kriegsende entspannt sich die Situation dann aber schnell.

Neue Bedrohung

1962 zählt Bell 172 Filialen – der Höhepunkt. Denn es ziehen dunkle Wolken auf. Die Fachgeschäfte bekommen Konkurrenz von sogenannten Grossraumläden. Die Supermärkte bieten abgepacktes Frischfleisch an. Die Metzgerei ist für den Verkauf von Fleisch nicht mehr notwendig. Bell spürt den Druck, eröffnet aber dennoch eine dritte Produktionsanlage in Wallisellen. Auch werden weitere Verkaufslokale in St. Moritz, Sitten und Arosa eröffnet sowie ein halbes Dutzend Fleischverarbeiter übernommen. Bell fährt Vollgas auf die Wand zu.

1986 steht das Unternehmen wieder vor dem Aus. Coop schickt Manager Rolf Kilchenmann zur Rettung. «Das Schwierigste war, den Leuten reinen Wein einzuschenken», sagt er in einem Interview. Er greift hart durch. Der Produktionsstandort in Wallisellen wird geschlossen, das Filialnetz gestrafft und Kosten reduziert. Gleichzeitig investiert er 100 Mio. Fr. in neue Anlagen und kann die Grossmetzgerei von Coop Basel übernehmen.

Die Aufgabe ist aber schwieriger als gedacht. Fleisch hat nicht mehr den Stellenwert von einst. Isst der Schweizer Konsument 1983 noch 63 Kilogramm Fleisch, sind es ein Jahrzehnt später zehn Kilo weniger. Dennoch schafft es Kilchenmann, seinem Nachfolger eine aufgeräumte Bell zu hinterlassen.

Es ist Adolphe Fritschi und er kann wieder in die Zukunft blicken. Er baut das attraktivere Geschäft mit Geflügel und den Convenience-Bereich aus. Zudem spaltet er 2004 die Metzgerei-Filialen ab. 135 Jahre nach der Eröffnung der Ochsenmetzg führt Bell in der Schweiz keine Filialen mehr. 2008 folgt der wichtige Schritt ins Ausland mit Zukäufen in Frankreich und Deutschland. Von Erfolg gekrönt ist das Auslandsgeschäft aber erst mit den jüngsten Zukäufen des Geflügelspezialisten Huber und den Convenience-Produkten von Hilcona und Eisberg. Sandwiches, Fertignudeln und Salate sind es, was Konsumenten wollen, und genau dort baut Bell aus. Ganz im Sinne des umtriebigen Samuel Bell-Roth.

Die komplette Historie zu Bell finden Sie hier. »

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