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18:17 Uhr - 31.03.2020

Wann man der Erholung trauen darf

Eine kurzatmige Bärenmarkt-Rally oder der Beginn einer neuen Hausse? Die Checkliste der «Finanz und Wirtschaft» zeigt, worauf Anleger achten sollten.

Mutige Anleger sehen an der Börse Schnäppchen und kaufen hinzu. Doch es gibt Zweifel, ob der ­Bärenmarkt nach der Kurserholung der vergangenen Tage tatsächlich hinter uns liegt. «Finanz und Wirtschaft» gibt Anlegern eine Checkliste mit sechs Punkten an die Hand, ab wann man auf eine anhaltende Kurserholung hoffen darf.

Auch zur globalen Finanzkrise gab es sechs kurz laufende Bärenmarktrallys mit über 10% Kursgewinn. ­Danach ging es schnell wieder herab. Die realwirtschaftlichen Bedingungen wie auch die Erwartungen an den Finanzmärkten müssen stimmen, damit eine neue Hausse ihren Anfang nehmen kann.

Manche Experten sind optimistisch. So schreibt John Normand, Stratege bei JPMorgan: «Die meisten Risikomärkte ­haben ihr Tief in dieser Rezession wohl hinter sich.» Das Fazit der FuW-Checkliste ist aber, dass viele Voraussetzungen für eine nachhaltige Hausse noch fehlen.

1 Finanzkrise und Depression werden verhindert.

Analysten von Goldman Sachs (GS 158.0075 -1.01%) kons­­ta­tieren: «Angesichts der politischen Massnahmen, die jeden Tag verkündet werden, sind temporäre Kurssprünge jederzeit möglich.» Leider können diese schnell verfliegen, denn geld- und fiskalpolitische Notprogramme sind notwendig, aber nicht hinreichend für ein Ende der Panik und ein Abklingen der Krisenängste. Die Notenbanken haben schnell mit Massnahmen reagiert, um ein Austrocknen der Liquidität an den Finanzmärkten und ­indirekte Schäden durch eine gras­sierende Unsicherheit einzudämmen.

So ist eine weitreichende Finanzkrise vorerst verhindert worden. Die Staaten versuchen, mit Hilfe und Bürgschaften den Konsum zu stützen und Konkurse zu verhindern. In den Industrieländern ­machen die angekündigten Staatsprogramme nach Berechnungen von Bank of America (BAC 22.22 0.82%) bereits rund 5% des jährlichen Bruttoinlandprodukts aus. Auch wenn ­­das den wirtschaftlichen Schaden nicht ­ausgleichen kann, sollte eine Spirale nach unten verhindert werden.

2 Die Ausbreitung des Virus kommt unter Kontrolle.

Die abnehme Zuwachsrate der bestätigten Covid-19-Neuinfektionen etwa in Italien gibt Hoffnung, dass durch die drastischen Massnahmen eine Verflachung der Infektionskurve erreicht wird. Wenn sich in Europa eine Besserung abzeichnet, wird sich eher abschätzen lassen, wann die Wirtschaft wieder hochgefahren ­werden kann. Wenn sich dafür ein ­Zeitraum abzeichnet, können die Markt­akteure ­zuverlässigere Schätzungen zum wirtschaftlichen Schaden und der weiteren Entwicklung vornehmen.

In den USA aber hat die Explosion der Fallzahlen erst gerade begonnen, und die Einschränkungen für die Wirtschaft könnten noch lange beibehalten werden. Solange in der weltgrössten Volkswirtschaft keine Verflachung der Infektionskurve zu erkennen ist, wird die Unsicherheit auf den Finanzmärkten lasten.

 

  3 Die Konjunktur stabilisiert sich.

Eine tiefe Rezession bahnt sich in den ­Industrieländern an. Alexander Krämer, Stratege bei der Commerzbank (CBK 3.3085 -0.88%), erklärt: «Normalerweise sieht man ein bis zwei Monate vor einer Bodenbildung an der Börse, dass sich die konjunkturelle Situation anhand der Frühindikatoren, etwa der Einkaufsmanagerindizes, stabilisiert.» Bei diesen Indizes sind die vorläufigen Werte für den März in den Industrie­ländern tief gefallen – schneller als in der Finanzkrise. Eine Stabilisierung gibt es bisher nur in China, das als erstes Land vom Coronavirus betroffen war.

Viele Ökonomen erwarten, dass nach dem schnellen Einbruch eine rapide ­Erholung folgt. Krämer erklärt: «Die V-förmige Entwicklung ist notwendig, um das aktuelle Bewertungsniveau zu rechtfertigen. Es könnte sich als falscher Optimismus erweisen, dass die Wirtschaft sofort anspringt, wenn die Ausgangssperren aufgehoben werden.» Man habe kaum Erfahrungswerte, wie sich die Wirtschaft nach solch einem «Sudden Stop» entwickle.

Die Finanzlage der Unternehmen und Konsumenten könnte Schaden nehmen, was Investitionen und Nachfrage lang­fristig belastet. Werden Staatsbeteiligungen an Unternehmen notwendig, würde sich für Aktionäre der Börsenwert ver­wässern. Für eine nachhaltige Markt­erholung braucht es mehr Evidenz, dass das Wachstum wirklich rapid anspringt.

  4 Bewertungen sind günstig.

Ab einem gewissen Bewertungsniveau wird es wieder genug Käufer geben. Die Frage ist, wo sich dieser Boden befindet. Viele Kennzahlen deuten daraufhin, dass die Bewertungen zwar für langfristige Anleger attraktiv sind, aber nicht zwingenden einen Tiefpunkt erreicht haben. Der Chefaktienstratege von Goldman Sachs, Peter Oppenheimer, meint: «Viele Bewertungsmasse scheinen nicht auf einem Tief wie zu einer Krise zu notieren.»

Das für zwölf Monate geschätzte ­Kurs-Gewinn-Verhältnis des globalen Aktienmarkts ist zwar von 16 auf 13 gefallen, notiert aber noch nicht auf dem Niveau der Finanzkrise 2008.

Für den US-Index S&P 500 sehen die Analysten von Société Générale erst beim Stand von rund 1800 einen festen Boden, das wäre ein Rückgang von mehr als 30%. Auf dieses Niveau fiele der Index, wenn die Gewinne – wie in einer Rezession üblich – zwischen 20 und 25% einbrechen und das geschätzte KGV von jetzt 16 auf 14,4 fällt.

Für Krämer sind in dieser schwierigen Konjunkturlage nicht die Gewinne das ­geeignete Mass für Bewertungsfragen, sondern der Substanzwert. Viele Aktien handeln jetzt unter Buchwert. Auch das Kurs-Buchwert-Verhältnis für den Deutschen Aktienindex (Dax (DAX 9935.84 1.22%)) liegt nur knapp über 1. Doch das heisse noch nichts: «In der Finanzkrise war das KBV auch schon auf 0,8.» Das komme vor, wenn der Markt die Abschreibung von Aktiven erwarte. «Für so ein niedriges KBV müsste der Dax nochmals 20% sinken», warnt Krämer.

  5 Realistische Gewinnerwartungen.  

Erst wenn die Gewinnerwartungen so weit nach unten korrigiert worden sind, dass schlechte Nachrichten nicht überraschen, können die Kurse nachhaltig steigen. Doch davon sind die Analysten weit entfernt. Während die Ökonomen zumindest kurzfristig eine scharfe globale Rezession erwarten, ist das Gros der Analysten ­optimistisch. Im Mittel rechnen sie für die US-Unternehmen nur mit einem leichten Gewinnrückgang von 1,5% über das ganze Jahr. Für das zweite Quartal, in dem der Lockdown mit voller Wucht die Wirtschaft treffen wird, liegen die Schätzungen für die Unternehmen im S&P 500 bei –8,8% zum Vorjahr. Im dritten Quartal soll die Gewinnrezession schon wieder vorbei sein.

Die Konsensschätzungen zeichnen auch deswegen ein viel zu harmloses Bild der Krise, weil Analysten angesichts der sich überschlagenden Ereignisse mit der Neubeurteilung nicht nachkommen. Berücksichtigt man nur die in den vergangen zwanzig Tagen revidierten Schätzungen, wurden die globalen Gewinnprognosen gemäss den Analysten von Société Générale gegenüber Dezember um 17% gestutzt, was wohl der Realität näherkommt.

Goldman Sachs rechnet mit einem Einbruch der globalen Unternehmensgewinne um ein Drittel aufs ganze Jahr. In den nächsten Wochen werden sich die Konsensschätzungen in diese Richtung entwickeln, und es wird eine Gewinnwarnung auf die andere folgen. Rückschläge an der Börse sind programmiert.

  6 Investoren fassen neues Vertrauen.

Marktbewegungen können signalisieren, ob Anleger neues Vertrauen finden. Auf ein konträres Signal zu setzen – also breiten Pessimismus als Einstiegsgelegenheit zu nutzen –, kann gefährlich sein. ­Alexander Krämer erklärt: «Wäre nur die Stimmung der Aktieninvestoren schlecht, kann das ein Kaufsignal sein. Aber wenn über viele Märkte – etwa Schwellenländeranlagen, Anleihen und Währungen – die Risikowahrnehmung sehr hoch ist, sollte man der allgemeinen Stimmung folgen.»

Krämer sieht auch in steigenden Kursen nicht einen eindeutig positiven Indikator: «Oftmals kaufen jetzt nicht Anleger, die an eine Erholung glauben, sondern Short-Seller, die ihre Positionen glattstellen.» Ausserdem würden viele Anlage­produkte automatisch Aktien bei fallenden Kursen kaufen, um eine fixe Quote im Portfolio sicherzustellen – «das geschieht oft zu Monatsende.» Hohe Internet-Suchanfragen für Schlagworte wie «Aktien kaufen» deuten darauf hin, dass vor allem Privatanleger einsteigen – weniger die Profis.

Der weiterhin sehr hohe Stand des Volatilitätsindex Vix spricht für anhaltende Unsicherheit. Analysten von Citi erklären: «Es wäre ermutigend, wenn es Zeichen gäbe, dass der Vix seine Spitze erreicht hätte.» Doch die Kurse können auch bei sinkender Volatilität fallen – ­allenfalls bloss weniger heftig.

Ein verlässlicheres Signal für wachsendes Investorenvertrauen ist, wenn risikoreiche Anlagen stärker zulegen als defensive Investments. Das ist nicht der Fall, wie Citi am Anleihenmarkt beobachtet: «­Wären Anleger wirklich überzeugt, dass sich die Aussichten für den Markt geändert haben, wäre die Outperformance von Anleihen mit schlechterem Bonitätsrating zu höheren Ratings deutlich grösser.»

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