Michael Krautzberger, Leiter Festverzinsliche Europa bei BlackRock, stellt der Europäischen Zentralbank ein gutes Zeugnis aus und setzt auf französische Staatsanleihen.
Herr Krautzberger, die Finanzmärkte setzen darauf, dass die EZB ihre Anleihenkäufe bald reduziert, also ein Tapering einleitet. Ist die Geldpolitik der EZB seit der Finanzkrise ein Erfolg?
Man muss der EZB-Politik und Mario Draghi gute Noten geben. Zum Höhepunkt der Wirtschaftskrise vor rund fünf Jahren hat kaum jemand daran geglaubt, dass es einen guten Ausgang nehmen wird mit der Eurozone. Krisenländer wie Irland und Spanien haben seither sehr grosse Fortschritte gemacht. Das ist auch der EZB zu verdanken. Zudem haben sich die Divergenzen innerhalb der Eurozone stark verringert, das zeigen etwa die Einkaufsmanagerindizes. Die Eurozone ist also nicht auseinandergefallen. Allerdings beeinflusst die EZB den Markt stark. Auf mittlere und lange Sicht wünsche ich mir als aktiver Fondsmanager daher, dass die EZB das Anleihenkaufprogramm beendet.
Welche Schritte erwarten Sie als nächstes von der EZB?
Vor der letzten EZB-Sitzung gab es einen sehr ausgeprägten Konsens, dass sie auf jeden Fall Anfang Januar mit dem Tapering beginnen wird. Draghi hat den Markt aber sehr korrekt daran erinnert, dass die Inflation das Ziel der Zentralbank ist und dass es in dieser Hinsicht eher Enttäuschungen gab. So liegt die Kerninflationsrate – die Teuerung ohne volatile Energie- und Lebensmittelpreise – nach wie vor unter 1%. Werden aus der Kerninflation zudem die Transportkosten und Pauschalferien herausgerechnet, die ja auch vom Ölpreis abhängig sind, markiert der Wert sogar auf einem neuen Tiefst. Bis Jahresende wird es kaum Fortschritte geben.
Was bedeutet die geringe Inflation?
Aus unserer Sicht ist es keinesfalls klar, dass die EZB im Januar mit dem Tapering beginnen wird. Es ist durchaus möglich, dass sie das Wertschriftenkaufprogramm Ende des Jahres noch einmal um drei Monate verlängert und weiterhin Anleihen für 60 Mrd. € monatlich kauft. Mit Blick auf die Teuerung ist es nicht unangemessen, noch abzuwarten. Draghi hat betont, die EZB müsse geduldig und konsistent sein. Dieser Einschätzung schliesse ich mich an.
Besteht das Risiko, dass die EZB zu langsam reagiert?
Die Inflation hat für fast eine Dekade unterschossen. Natürlich kann sie überraschend anziehen. Aber wenn die Teuerung zwischenzeitlich auf 2,5% steigt, ist das nicht das Ende der Welt. Zentralbanker wissen, wie man eine steigende Inflation in den Griff bekommt. Die traditionellen Instrumente haben sie seit dem Zweiten Weltkrieg getestet. Die Schwierigkeit ist heute, eine positive Inflationsrate zu erzeugen. In der Schweiz und in Japan haben die Notenbanken noch mehr Erfahrung damit, dass es eben nicht einfach ist, aus diesem Umfeld niedriger Inflation herauszukommen.
Was müsste denn passieren, damit die Preise steigen?
Aus meiner Sicht gibt es derzeit kaum Anzeichen, die für einen Anstieg der Inflation sprechen. Die klassische Theorie lautet: Die Wirtschaft läuft besser, das erzeugt Lohndruck und führt dann zu Inflation. Diese Textbuchhoffnung kann man natürlich schon noch haben. Aber der Zusammenhang ist im Moment nicht mehr so ausgeprägt. Das hat verschiedene Gründe. So wird etwa in den Lohnrunden sehr häufig mit der vergangenen Inflation gerechnet. Zudem wird der Euro eher wieder stärker, von da kommt also auch kein Inflationsdruck. Und auch der Ölpreis ist nach wie vor sehr niedrig. Auch die Entwicklung in den USA stimmt vorsichtig.
Ist nirgends Inflationsdruck in Sicht?
Die amerikanische Wirtschaft entwickelt sich schon seit längerem robust. Lange hiess es, die Teuerung beginne zu steigen, wenn die Arbeitslosenrate unter 5% fällt. Nun liegt sie bereits bei 4,3% und die Inflation bleibt dennoch niedrig. Von der Auslastung des Arbeitsmarktes sind wir in Europa noch weit entfernt. Eine Phase mit drei oder vier Jahren robustem Wachstum würde uns gut tun. Wir sind in der glücklichen Situation, dass wir Wachstum haben und es wegen der Verschuldung in vielen Ländern brauchen. Die niedrige Inflation erlaubt es, die Wirtschaft laufen zu lassen. Denn würde die Teuerung stark anziehen, würde die EZB auf die Bremse treten. Aber derzeit haben wir keine Zielkonflikte.
Rechnen Sie mit Turbulenzen an den Finanzmärkten, wenn die EZB sich zurückzieht und mit dem Tapering beginnt?
Die Risiken sind überschaubar, sowohl bei Staats- als auch bei Unternehmensanleihen. Vor eineinhalb Jahren war das anders, da herrschte die Überzeugung, dass nur die EZB die Eurozone zusammenhält. Heute ist die Situation entspannter.
Was hat sich verändert?
Im Hoch der Krise war die EZB nötig, um den Markt zu stabilisieren. So hatte etwa Spanien ein Nominalwachstum von –2%, gleichzeitig explodierten die Zinsen. Es herrschte Panik. Mittlerweile liegt das Wachstum in Spanien bei mehr als 4%. Die Zinsen haben sich stabilisiert. Selbst wenn sie um einen Prozentpunkt steigen, weil sich die EZB als Käuferin aus dem Markt verabschiedet, wird das den Markt nicht nervös machen. Es gibt ein gesundes Verhältnis zwischen Wachstum und Zinsen.
Gilt die Zuversicht auch für Unternehmen?
Ja. Viele Marktteilnehmer würden es wahrscheinlich sogar begrüssen, wenn die EZB nicht mehr so stark in Erscheinung tritt. Denn sie reduziert den Free Float, indem sie Anleihen kauft und sie für längere Zeit auf ihren Büchern parkt. Natürlich kann es kurzfristig zu mehr Volatilität kommen, aber das muss nicht immer schlecht sein. Es ist ein Attribut eines gesunden Marktes, dass es Ausschläge gibt, wenn sich die ökonomischen Bedingungen ändern.
Auf welche Staatsanleihen setzen Sie im gegenwärtigen Umfeld?
Wir sind seit Jahresbeginn positiv für Frankreich. Der Markt war insbesondere vor der ersten Runde der französischen Wahlen sehr skeptisch, aber wir hielten den Pessimismus für übertrieben. Der neue Präsident Emmanuel Macron hat eine schöne Reformpalette. Nun hat er auch noch die Mehrheit im Parlament gewonnen. In Italien müssen Anleger dagegen sehr taktisch vorgehen. Da gibt es politische Risiken, über die man nicht hinwegsehen kann. Die Umfragen für die Parlamentswahlen sind deutlich enger als in Frankreich. Insofern sind wir in Italien eher vorsichtig positioniert.
Was wäre aus Sicht der Finanzmärkte der erwünschte Wahlausgang in Italien?
Das Szenario, das der Markt bevorzugt, ist eine Koalition zwischen den Parteien von Matteo Renzi und Silvio Berlusconi. Wenn diese Koalition ein paar Jahre hält, könnten die Finanzmärkte aus der Spirale herausfinden, wo sie ständig nach dem nächsten Opfer Ausschau halten. In den vergangenen acht Jahren haben wir uns in Europa von Krise zu Krise gehangelt. Nun haben wir zum ersten Mal eine robuste Wirtschaftserholung. Das könnte auch die Proteststimmen wieder dämpfen und zur Erkenntnis führen: Die Eurozone ist zwar kein perfektes Konstrukt, aber auch nicht so schwach, wie viele Kritiker uns das einreden wollen.
Welche Branchen bevorzugen Sie bei den Unternehmensanleihen?
Wir mögen Versicherer, aber auch grosse europäische Banken. Vorsicht ist bei kleinen und mittelgrossen Banken angezeigt, das hat die Übernahme von Banco Popular (Banco Popular 0 0%) durch Santander in Spanien gezeigt. Das Beispiel verdeutlicht, wie schnell eine Bank aus diesem Segment in eine Situation gerät, wo der Regulator eingreifen muss. Das, obwohl sie die Kapitalbedingungen und Liquiditätsanforderungen eigentlich erfüllt hat. Wir mögen zudem nicht-zyklische Industriewerte, dazu zählt etwa IBM (IBM 154.84 -0.35%).
Zu Beginn des Jahres war der «Reflation Trade» in aller Munde. Was ist daraus geworden?
Wenn man den Begriff eng auffasst, bezeichnet der «Reflation Trade» das Ende der Disinflation und einen Wiederanstieg der Inflation. Aber der Markt nutzt den Begriff in einem weiteren Sinne: Die Wirtschaft wächst robuster, Unternehmen investieren wieder und es gibt eine höhere Risikoneigung. Ein besseres Wirtschaftswachstum haben wir inzwischen zwar, aber bei der engen Definition der Reflation haben wir, wie bereits erwähnt, eine Enttäuschung erlebt.
Die Hoffnungen ruhten dabei vor allem auf der Wirtschaftspolitik von Donald Trump. Kann er noch etwas erreichen?
Wir haben zuerst ein Phase der Euphorie erlebt. Die Finanzmärkte haben ein schnelles und aggressives Steuerprogramm erwartet und eine aggressive Gesundheitsreform. Das ist in extreme Skepsis umgeschlagen, die immer noch anhält. Der Tenor lautet: Trump hat so viel damit zu tun, sich selbst zu verteidigen, er kommt zu nichts anderem mehr. Wir glauben aber, dass er eine Steuerreform durchsetzen wird.
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