Philipp Murer, Manager des Fonds Reichmuth Pilatus, der seit zwanzig Jahren in Schweizer Nebenwerte investiert, legt bei der Aktienauswahl den Fokus auf Wachstum.
Herr Murer, viele Schweizer Nebenwerte sind bereits gut gelaufen. Sind die Bewertungen schon zu hoch?
Fundamental sieht der Nebenwertemarkt nicht mehr günstig aus. Aber wenn wir uns die vergangenen zwanzig Jahre betrachten, waren Small Caps selten so gut aufgestellt wie heute. Die Bilanzen sind gut, es gibt praktisch keine Verschuldung mehr, viele Unternehmen haben netto Cash-Positionen. Die Firmen haben ihre Kostenstrukturen wegen des starken Frankens angepasst oder Auslagerungen vorgenommen. Aus dieser Warte ist die höhere Bewertung sicher gerechtfertigt.
Gibt es auch aus Makrosicht Rückenwind?
Die Einkaufsmanagerindizes sehen alle sehr positiv aus. Viele Unternehmen haben bislang vor allem in Nordamerika und Asien gute Geschäfte gemacht. Bei unseren Firmenbesuchen hören wir, dass sich Europa jetzt auf einem niedrigen Niveau stabilisiert hat und langsam wieder anzieht. Das schlägt – dank hohem operativem Leverage – voll auf die Unternehmensgewinne durch. Ein etwas stärkerer Euro würde diesen Effekt noch verstärken.
Welche Wachstumsgeschichte für die nächsten Jahre interessiert Sie besonders?
Als Thema, das einen nachhaltigen Einfluss auf die globale Entwicklung haben wird, machen wir zum Beispiel E-Commerce aus. Schauen Sie: Amazon macht mittlerweile mehr Umsatz als Nestlé. Alle sprechen von Industrie 4.0, aber die meisten Lager und die Logistik sind doch noch 1.0 oder 2.0. So sind etwa 75% der weltweiten Lager immer noch manuell, es gibt nur wenige, die vollautomatisch ausgerüstet sind. Die Investitionen, die hier kommen werden, sind massiv. Ich sehe einen Mehrjahreszyklus von hohem Wachstum voraus, was derzeit noch unterschätzt wird. In der Schweiz haben wir viele Firmen, die sehr gut positioniert sind und davon profitieren können.
Welche Unternehmen sind das?
Da gibt es Kardex oder Interroll, im Intralogistikbereich, Bobst mit ihren Verpackungsmaschinen oder Bossard. Da reden die Leute von einem Schraubenhändler, was ja nicht falsch ist. Doch was Bossard jetzt für Tesla und weitere Kunden macht, das ist eine fortgeschrittene Logistiklösung: Das vollautomatisierte SmartBin-System beispielsweise setzt neue Massstäbe in der automatischen Bewirtschaftung von Kleinteilen. Wobei wir mittlerweile aber sagen müssen, dass der Aktienkurs schon einen Teil dieser Entwicklungen vorwegnimmt.
Diese Aktien gehören zu den grössten Positionen Ihres Fonds. Worauf achten Sie besonders bei der Auswahl?
Wir wollen das Geschäftsmodell, die Produkte und die Strategie verstehen. Zudem wollen wir wissen, wie das Management tickt, welche Anreize es gibt. Ist das Unternehmen beispielsweise in einem strukturellen Wachstumsmarkt, wie sind die Eintrittsbarrieren. Das Wichtigste sind daher die Firmenbesuche, bei denen wir diese Punkte mit dem Management besprechen.
Wie wichtig sind die Margen für Sie?
Wir schauen darauf, wie sich die Margen im langfristigen Durchschnitt entwickeln. Wir rechnen also mit normalisierten Margen. Hilfreich ist für uns, wenn das Unternehmen einen Hauptaktionär hat, zum Beispiel eine Familie, der dem Management auch über einen Zyklus hinaus einmal Zeit gibt, die Firma wieder auf Vordermann zu bringen. Kurzfristig kann das schon einmal auf die Margen drücken. Doch bei den meisten Unternehmen sind wir sehr langfristig engagiert.
Wie gehen Sie damit um, dass für viele Nebenwerte die Liquidität gering ist?
Die Liquidität ist schon dünner geworden, als sie einmal war. Wir achten darauf, dass der Fonds nicht zu gross wird, denn sonst geht unsere Handlungsfähigkeit verloren. Jetzt sind wir etwa 175 Mio. Fr. gross, mehr als 250 Mio. Fr. sollen es aber nicht werden. Dabei hilft, dass wir die meisten Kunden sehr gut kennen. Die Endinvestoren vertrauen uns, das haben uns auch die Jahre 2008 und 2009 gezeigt. So können wir antizyklisch agieren und die Geldflüsse besser planen.
Wozu raten Sie Kunden derzeit, wie viel Schweizer Nebenwerte sollten sie halten?
Das ist sehr individuell. Strategisch halten wir in einem ausgewogenen Frankenmandat 15% Schweizer Aktien, davon je nach Zyklus und Bewertungsniveau 3 bis 6% in Nebenwerten. Wenn Sie mich fragen, ob Sie bei Schweizer Nebenwerten auf die maximale Allokation gehen sollen, dann sage ich, nein, ich wäre jetzt nicht auf dem absoluten Maximum.
Lassen die Negativzinsen das Interesse an Anlagefonds wie Ihrem steigen?
Ja. Zum einen ist schon viel Geld in die Nebenwerte geflossen, und diverse Fonds sind bereits geschlossen. Zum anderen werden jetzt Fonds aufgelegt, die speziell in Innerschweizer Firmen oder regional in Schweizer Unternehmen investieren. Dann sehen wir auch Kunden, die Rückflüsse aus Anleihen in positiv rentierende Anlageklassen investieren wollen.
Könnten da nicht auch Börsengänge interessant sein, und welche Unternehmen würden Sie interessieren?
Es ist noch nichts angekündigt, aber es gibt immer wieder Gerüchte, dass die Pilatus Flugzeugwerke an die Börse gehen will. Das würde natürlich auch vom Namen her gut passen. Da würden wir gerne mitmachen, das ist eine Erfolgsgeschichte. Ein weiterer interessanter Kandidat wäre Landis+Gyr, von der sich Toshiba angeblich trennen will.
Schauen Sie bei einem Börsengang auch auf die erwartete Dividende?
Eine klare Dividendenpolitik, die regelt, wie der operativ erwirtschaftete Cashflow verwendet wird, ist wichtig. Der aktuelle Dividendenhype ist eine Folge der Negativzinsen. Aber man sollte sich dadurch keine Strategie aufzwingen lassen, denn früher oder später werden sich die Zinsen normalisieren, und die Bedeutung der Dividende wird abnehmen. Wenn es Dividende gibt, dann nehmen wir die gerne mit, aber wir legen den Fokus auf Wachstum. Es ergibt keinen Sinn, dass ein Unternehmen sein Kapital ausschüttet, wenn es attraktiv investiert werden kann.
Worauf achten Sie bei einem Börsengang?
Wir schauen immer darauf, wer der Verkäufer ist. Sind die Bewertungen und die Nachfrage extrem hoch, wenn zum Beispiel ein Private-Equity-Verkäufer kommt, dann sind wir tendenziell vorsichtig. VAT war so ein Fall, wo wir dennoch mitgemacht haben. Das liegt an der Stärke in der Semiconductor-Branche, wovon auch Comet oder Inficon profitieren, und an der vernünftigen Bewertung. Mittlerweile haben wir VAT reduziert. Es ist zwar noch nicht zu sehen, dass der Zyklus unmittelbar dreht. Wenn aber viele Leute sagen, den Semiconductor-Zyklus gebe es nicht mehr, sind wir eher skeptisch.
Wie sieht das bei Galenica Santé aus?
Galenica Santé ist ein Titel, wo das Wachstumspotenzial relativ beschränkt ist. Im Quervergleich zu Bonds oder dem Gesamtmarkt gibt es dabei zwar eine attraktive und stabile Dividende. Das Dividendenwachstum ist aber eher überschaubar. Es ist ein Tiefmargengeschäft, und die Margenseite wurde schon optimiert. Vielleicht kann man da noch 2 bis 3% Wachstum pro Jahr erwarten. Meines Erachtens ist das IPO auch relativ teuer gekommen. Ich bin da eher vorsichtig. Ich sehe mittelfristig nicht mehr viel Potenzial, kurzfristig zieht aber die hohe Dividendenrendite Käufer an.
Gibt es schon Schwächesignale im Absatzmarkt USA?
Nein, da läuft es immer noch, wie wir immer wieder von den Kunden und vom Management der Unternehmen hören, in denen wir investiert sind. In den USA ist die Vollbeschäftigung erreicht, die Rezessionsrisiken sind immer noch klein. Wir sehen eine Erholung in Europa, wo die Vorlaufindikatoren positiv sind. Was den Schweizer Nebenwerten helfen sollte.
Welche Risiken sehen Sie in den USA?
Dass der Zinsanstieg schneller kommt als erwartet. Das Schuldenniveau ist jetzt höher als vor der Krise, und irgendwann würgt das Zinsniveau das Wachstum ab. Das wäre ein Indikator für zunehmende Rezessionsrisiken in den USA. Und in der Politik ist Trump sehr schwierig zu lesen. Sollten jetzt doch noch protektionistische Schritte gegen China oder Mexiko kommen, könnte dies zu höherer Inflation führen und damit auch das Wachstum abwürgen. Dann geht es Richtung Stagflation, was sicher nicht gut wäre für die Aktionäre. Vorläufig sehen wir das aber weiterhin positiv.
Raten Sie dazu, doch mehr Aktien kaufen?
Es gibt wenig Alternativen zu Realwerten. Wir glauben kurzfristig an eine globale Wachstumsbeschleunigung. Wir waren in unseren globalen Portfolios übergewichtet in Aktien. Das haben wir jetzt leicht reduziert, auch auf die Wahlen in Europa hin und unter der Berücksichtigung, dass die Bewertungen vor allem in den USA doch recht stattlich sind. Dafür sind wir in innerhalb der Aktienallokation etwas zyklischer. Wir haben auch vermehrt Nebenwerte in Europa gekauft, damit wir besser vom dortigen Aufschwung profitieren können.
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