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06:45 Uhr - 17.02.2017

Nestlé-CEO: «Da schiesse ich nicht aus der Hüfte»

Mark Schneider ist seit Januar CEO des Nahrungsmittelkonzerns Nestlé. In seinem ersten Interview erläutert er, wie er das organische Wachstum beschleunigen will und warum keine Grossakquisition auf dem Programm steht.

2016 war für Nestlé kein erfolgreiches Jahr. Das organische Wachstum hat sich weiter verlangsamt, und Einmaleffekte belasteten das Ergebnis unter dem Strich. Für das laufende Jahr rechnet CEO Mark Schneider mit einem ähnlichen Resultat. Schneider ist sei Januar CEO von Nestlé. Davor leitete er 13 Jahre lang das Gesundheitsunternehmen Fresenius. Das volatile Umfeld und Herausforderungen in China prägen den Geschäftsverlauf in der kurzen Frist. Bis 2020 soll Nestlé aber zum alten Wachstum zurückgefunden haben. Dafür will Schneider auf die Stärken von Nestlé bauen und keine Schnellschüsse machen.

Herr Schneider, welches sind derzeit die grössten Baustellen bei Nestlé?
Ich sehe nicht Baustellen, sondern Herausforderungen. Die wesentliche Herausforderung ist, das organische Wachstum in der Breite zu steigern, in die Richtung unserer Ziele, zu denen ein mittleres einstelliges organisches Wachstum bis 2020 gehört. Das aktuelle Marktumfeld ist geprägt durch Kostenoptimierer, die die Preise der Nahrungsmittel drücken, und durch viele neue, kleine und mittelgrosse Unternehmen, die die lokalen Trends bedienen. In diesem Spannungsfeld die richtigen Schritte zu machen, um nachhaltiges Wachstum sicherzustellen und die Margen zu erhöhen, ist die grösste Herausforderung. Fast alle unsere Kategorien und Regionen sind davon betroffen.

Das deflationäre Umfeld limitiert das Wachstumspotenzial. Erwarten Sie 2017 eine Verbesserung des Umfelds?
Für das laufende Jahr sind wir mit unserer Prognose von 2 bis 4% organischem Wachstum sehr vorsichtig. Die letzten drei Quartale waren wir bei 3%. Es gibt erste Anzeichen, dass das deflationäre Umfeld in den Hauptmärkten USA und Europa langsam zu Ende geht. Wie schnell das vonstattengeht, ist aber schwierig abzuschätzen. Zudem gibt es viele politische Unsicherheiten. Da ist Vorsicht geboten. Ich möchte Sie nicht mit einer Erwartung enttäuschen, die wir nicht erfüllen können, und Nestlé damit unter Druck setzen. Wir gehen unseren Weg in diesem Jahr und sehen, in welche Richtung sich das Thema Preissetzung entwickelt.

Wie wichtig sind Preiserhöhungen für Nestlé?
Für mich ist das Volumenwachstum wichtiger. Ich wäre besorgter, wenn wir kein Mengenwachstum hätten. Denn dann müssten wir uns Sorgen machen um unsere Marktanteile. Die Menge hat sich gut entwickelt, und wenn wir die Preise ein wenig erhöhen können, sind wir einen guten Schritt weiter.

2020 wollen Sie ein organisches Wachstum im mittleren einstelligen Prozentbereich erzielen. Deckt sich das mit dem Nestlé-Modell von 5 bis 6%?
Mit der Bezeichnung mittleres einstelliges Wachstum öffnen wir die Bandbreite nach oben und nach unten. Ich finde ein Band von zwei Prozentpunkten für eine Prognose über vier Jahre sinnvoll, gerade in diesem volatilen Umfeld. Mir ist aber wichtig, dass die Leute sehen, dass organisches Wachstum bei Nestlé von grosser Bedeutung bleibt und dass wir sehr viel dafür tun, um wieder dahin zu kommen.

Warum ist das organische Wachstum so wichtig?
Wenn Sie ein Geschäft langfristig betreiben wollen, ist das organische Wachstum für mich das Lebensblut. Es sagt, wie Ihre Leistungen beim Konsumenten gefragt sind und wie viel er dafür bezahlen möchte. Organisches Wachstum ist eine Anfangsgrösse, von der sehr viel Positives für das Unternehmen ausgeht.

Sie rechnen im laufenden Jahr mit Restrukturierungsausgaben von 500 Mio. Fr. Wo sehen Sie noch Optimierungspotenzial?
Der Betrag kann sogar noch höher ausfallen. Er ist im historischen Vergleich nicht aussergewöhnlich. Mir ist aber wichtig zu zeigen, dass wir diese Kosten in den Margen verkraften können. Wir rechnen im laufenden Jahr mit einer gleichbleibenden operativen Marge. Bei den Overhead-Kosten sehe ich noch Potenzial. Zudem können wir die Kapazitätsauslastung verbessern. Wir betreiben weltweit über 400 Fabriken. Am Ende ist es eine Summe von Einzelprojekten.

Wie werden Sie Ihre Erfahrung im Gesundheitsbereich bei Nestlé einbringen?
Auf zwei Arten. Einerseits, indem ich helfe, die Ernährungswerte der Produkte in unserem Kerngeschäft – Nahrungsmittel und Getränke – zu verbessern. Das Ziel ist, gesündere Produkte herzustellen, die einen Genuss bieten, der mit den heutigen Produkten vergleichbar ist. Denn die beste Vorsorge in medizinischer Hinsicht ist eine gesunde Ernährung.

Was ist die zweite Art?
Wir haben zwei Bereiche, die Consumer-Health-orientiert sind: Health Science mit medizinischer Ernährung und Skin Health mit Hautpflegeprodukten. Ich will zum Ausbau dieser Bereiche beitragen, sei es durch organisches Wachstum oder auch durch Zukäufe.

Kommen auch Grossakquisitionen in Frage?
Momentan ist es nicht der richtige Zeitpunkt für Grossakquisitionen. Ich bin neu bei Nestlé und muss mich erst einmal sorgfältig einarbeiten in die Bereiche, die wir ausbauen wollen. Einen Schnellschuss zu machen in Woche sieben, passt damit nicht zusammen. Zudem können Entscheidungen bei Grossakquisitionen nicht mehr kurzfristig korrigiert werden. Deswegen müssen sie wohlabgewogen sein. In meiner bisherigen Laufbahn ist noch kein grosser Deal schiefgegangen. Normalerweise passiert das bei zwei von drei. Sorgfältige Transaktionen können nicht am Anfang stattfinden, sondern dann, wenn Sie fester in den Bereichen verankert sind. Zweitens halte ich das Preisniveau für ausserordentlich sportlich.

Speziell im Konsumgüterbereich?
Wegen des billigen Geldes sind die Preise allgemein erhöht. Im Konsumgüterbereich sind sie aber speziell hoch. Bei jüngeren Ankündigungen von kotierten Übernahmen werden enorme Multiples bezahlt. Da ist Zurückhaltung angebracht. Aus beiden Gründen empfiehlt es sich, nicht wild um sich zu schiessen. Es gibt nichts Schlimmeres als einen neuen CEO, der denkt, er müsse in einem Jahr die Welt neu erfinden. Das Neue wird teuer gekauft und das Alte billig verkauft. Der Aktionär ist dann der Leidtragende.

In welchen Bereichen wollen Sie das Geschäft ausbauen?
In denen, die überdurchschnittlich profitables Wachstum zeigen. Hierzu zählen beispielsweise Kaffee, Wasser und Produkte für Heimtiere. Selbstverständlich bin ich interessiert daran, ihr Wachstum besonders zu fördern, sei es intern oder extern. Darüber hinaus soll auch der Gesundheitsbereich weiter ausgebaut werden.

Das Geschäft mit Erdnussmilch in China unter der Marke Yinlu läuft seit mehreren Quartalen nicht wie gewünscht. Erwarten Sie 2017 Besserung?
Wir haben energische Schritte eingeleitet. Im letzten Jahr wurde auch viel bewegt. Ich erwarte den Turnaround aber nicht in den nächsten Quartalen. Es wird schon noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Wir messen in Jahren und nicht in Quartalen.

In China belastet zudem der Lagerabbau beim Milchpulver aufgrund regulatorischer Änderungen.
Die neuen Regulierungen gelten ab Januar 2018. Wir begrüssen diese Änderung, da sie im Markt einen hohen Qualitätsstandard vorgibt. Für unsere Produkte machen wir uns keine Sorgen. In Vorbereitung auf die Einführung des neuen Gesetzes kann es aber gut noch zu Abverkäufen kommen. Für 2017 rechnen wir darum mit Unruhe. Ab 2018 sollte die Regelung uns jedoch zugutekommen.

Wenig berauschend entwickelte sich im vierten Quartal der Bereich Skin Health. Was war der Grund?
Es gab einen geplanten Lagerabbau bei Produkten mit einer begrenzten Lebensdauer. Gewisse Produkte mussten wir darum zurücknehmen. Für 2016 waren das einmalige Massnahmen. Sie können durchaus aber auch in Zukunft wieder auftreten.

Wie wichtig ist die Beteiligung an L’Oréal?
Die finanzielle Entwicklung unserer Beteiligung an L’Oréal ist prächtig. Als Aktionär sind wir damit sehr glücklich. Darüber hinaus ist es ein strategisches Asset, das 10% unserer Marktkapitalisierung ausmacht. Da schiesst man nicht mit Ankündigungen oder Entscheidungen aus der Hüfte.

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