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07:31 Uhr - 05.07.2016

Goldman Sachs: «Eine gute Zeit, um zu akquirieren»

Richard Gnodde, Co-CEO von Goldman Sachs International, erklärt, was der Brexit-Entscheid für die Wirtschaft und das M&A-Geschäft bedeutet.

Herr Gnodde, wo waren Sie, als Sie zum ersten Mal vom Brexit-Resultat gehört haben?
Ich war zu Hause in London. Die Geschichte war bis zehn Uhr abends ziemlich klar für den Verbleib, obwohl es knapp werden würde. Um Mitternacht spürte man, es könnte in die andere Richtung gehen. Dann ging es rasch.

Zur PersonRichard Gnodde hat bei Goldman Sachs eine glänzende Karriere hingelegt. Vor 29 Jahren heuerte der Südafrikaner bei der US-Investmentbank im Beratungsgeschäft für Fusionen und Übernahmen in London an. Innerhalb der Investment-Banking-Einheit stieg er rasch auf und verantwortete den Markt Grossbritannien. 1997 ging er nach Japan und leitete später aus Hongkong als Co-Chef das Investment Banking für ganz Asien. 2006 wurde der heute 56-Jährige zum Co-CEO der europäischen Einheit Goldman Sachs International berufen. Seit 2011 ist er zudem Co-Chef der weltweiten Investment-Banking-Einheit. Gnodde wurde 1998, ein Jahr vor dem Börsengang der Bank, zum Partner von Goldman Sachs ernannt. Er studierte in Kapstadt und Cambridge.Hatten Sie einen Sicherheitsplan? Wie haben Sie die Bank vorbereitet?
Das Hauptszenario war, dass alles bleibt, wie es war. Das Risikoszenario war der Brexit. Wir waren vorbereitet: Wir hatten punkto Risiko, Bilanz, Kapital und Liquidität vorgesorgt. So ging es am Tag nach der Abstimmung darum, Liquidität für den Markt bereitzustellen und unsere Kunden zu bedienen.

Wie beurteilen Sie die Situation ein paar Tage nach dem Referendum?
Zunächst einmal hat der Markt funktioniert. Und obwohl wir das Resultat kennen, gibt es zahlreiche neue Fragen, was denn «Leave» genau heisst. Noch kein Land hat die EU verlassen. Es gibt mehrere Szenarios, wie es jetzt weitergehen kann. Für unser Geschäft wird es aber keine unmittelbare Auswirkung geben.

Gibt es bereits Indizien in Bezug auf den EU-Zugang für Finanzdienstleistungen?
Alles ist offen. Wer auch immer Premier wird, die meisten würden sich wohl wünschen, einen guten Zugang zum Binnenmarkt zu erhalten. Aber den gibt es nicht ohne Verpflichtungen. Wir werden also in naher Zukunft noch zahlreiche Entwicklungen sehen.

Also ist es zu früh zu entscheiden, ob Sie Leute nach Frankfurt, Paris oder Dublin verschieben?
Ja. Es wird keine unmittelbaren Veränderungen geben, weil alles möglich bleibt. Es kann sein, dass sich nicht viel ändert. Es ist möglich, dass sich sehr viel ändert. Im Moment herrscht grosse Unsicherheit. Es wird September, bis ein neuer Premierminister bestimmt ist. Dann braucht es ein Kabinett, das die Leitplanken setzt.

2013 sagte Ihr Co-Europa-Chef, Goldman Sachs würde London im Falle des Brexit verlassen, aber die Hub-Strategie nicht aufgeben. Bei Ihnen klingt es anders.
Wenn man keinen Zugang zum Binnenmarkt bekommt und das derzeitige Passport-Prinzip wegfällt, dann müssten wir sicher Leute nach Kontinentaleuropa verschieben. Aber es ist auch möglich, dass das Äquivalenzregime unter der europäischen Direktive Mifid greift. Das hätte weniger gravierende Auswirkungen auf Finanzdienstleister. Wenn der Zugang zum Binnenmarkt bleibt, dann würde sich nicht viel ändern. Bei der Frage nach Standorten und Infrastruktur gibt es viele Alternativen. Wie immer der Entscheid umgesetzt wird, wir werden reagieren, damit der Zugang zu unseren Dienstleistungen, zu Finanzberatung, Finanzierungen und Liquidität für unsere Klienten offen bleibt.

Wo sind die Folgen am grössten?
Unsere Analysten erwarten, dass sich das Wirtschaftswachstum in Grossbritannien in den nächsten zwölf bis achtzehn Monaten abkühlt, und das hat Folgen für ganz Europa. Aber es bleibt primär ein regionales Problem. Der Brexit muss sich nicht auf das weltweite Wachstum auswirken, sofern die Unsicherheit auf ein Minimum begrenzt wird.

Was wäre Ihre Präferenz, ein schneller Entscheid oder eine lange Anpassungszeit?
Wichtig ist, dass die Unsicherheit im Markt auf ein Minimum begrenzt wird. Weil sie die Investitionsentscheide hemmt, die Ausgaben der Konsumenten verzögert und das Wachstum beeinträchtigt.

Glauben Sie, der Aktienmarkt hat zu stark reagiert?
Die Reaktion ist im Rahmen der Erwartungen, und zwar für alle Märkte. Es hätte in der Tat schlimmer kommen können. Die Zeit der Preisfindung wird aber weitergehen, solange Investoren ihre Portfolios anpassen und sich ein Bild machen, wie es mit dem Wachstum in Grossbritannien und Europa weitergeht.

Diese Unsicherheit ist schlecht für Unternehmen.
Sie ist schlecht für Investitionsentscheide. Es ist wirklich schwierig, Investitionspläne zu machen in einer unsicheren Welt.

Was raten Sie Unternehmen, die schon länger ein Kaufobjekt im Auge haben, sollen sie jetzt zuschlagen?
Wenn es eine strategische Chance gibt und der Preis stimmt, dann würde ich zugreifen. Für europäische Unternehmen, die sich global ausdehnen wollen, ist es eine gute Zeit, um zuzukaufen. Künftige Cashflows einzuschätzen, ist jedoch schwieriger geworden. Das gilt sowohl für diejenigen, die sie schon haben, als auch diejenigen, die sie kaufen wollen.

Ist es die Zeit, opportunistisch zu sein?
Absolut. Assets sind günstiger, als sie waren. Und wir werden aus dieser Periode herausfinden. Eine Akquisition ist für die nächsten fünfzig Jahre. Die Finanzierungssituation ist attraktiv. Es wäre ein Fehler, jetzt nicht Chancen auszuloten.

Sie erwarten ein niedrigeres Wachstum in Grossbritannien und weniger Wachstum in Europa. Wie sollen die Unternehmen reagieren, um die Aktionäre bei der Stange zu halten?
Viele Unternehmen sind global aufgestellt und nicht nur auf Europa angewiesen. Darum dürfte sich der Einfluss des Brexit relativieren. In Europa müssen sie die Konkurrenzposition verbessern, die Kosten senken und die Rendite für die Aktionäre optimieren. Europa ist ein riesiger Markt, es ist die grösste Volkswirtschaft der Welt. Das Wachstum ist vielleicht nicht fantastisch, aber die Bedeutung des Europageschäfts ist gross.

Sehen Sie eine Möglichkeit, dass sich Unternehmen stärker verschulden, um die Rendite für Aktionäre zu verbessern, etwa mit Aktienrückkäufen?
In Europa liegt der Schwerpunkt traditionell auf Dividenden, in den USA auf Aktienrückkäufen. Beides führt den Aktionären Geld zu, aber auf verschiedenen Wegen. Und das Geld, das aus dem Unternehmen fliesst, ist in beiden Fällen signifikant. Bei den derzeitigen Zinsen die Verschuldungsquote mit Augenmass zu erhöhen, kann durchaus sinnvoll sein. Geld ist günstig, und die Rückzahlungsfristen sind lang.

Sehen Sie in den Anreizen zur Verschuldung keine Risiken?
Zinsen um oder unter null schaffen Anreize, sich zu verschulden. Alle sollten ihre Annahmen bei der Kreditfinanzierung stresstesten. Was passiert mit meinem Unternehmen, wenn die Zinsen um 200 Basispunkte steigen, was passiert mit meinen Kunden? Zum Beispiel in der Autobranche, wenn die Kunden so günstig Autos leasen können. Das führt zu einer grossen Nachfrage. Aber wie verändert sich das, wenn die Zinsen nach oben gehen?

Wie wirkt sich der Brexit auf das Investment Banking aus?
Tieferes Wachstum bremst die Entwicklung. Es geht uns im Investment Banking gut, wenn es der Welt gutgeht, Volkswirtschaften und Unternehmen wachsen. Es braucht dann Kapital. Unternehmen wollen ihre strategischen Pläne umsetzen. Das bedeutet Nachfrage nach Beratung für Käufe und Verkäufe. Investoren gehen Risiken ein und investieren. Dann gibt es einfach mehr Aktivität.

Im M&A-Markt sind die Volumen bereits im ersten Halbjahr deutlich zurückgekommen. Wie geht es weiter?
In Europa war das Volumen nicht viel geringer als im letzten Jahr. Doch die Anzahl Deals war kleiner. Global gesehen sind die Volumen und die Anzahl Deals 15 bis 20% niedriger. Im zweiten Halbjahr kommt es darauf an, wie lange die Unsicherheit bleibt. Das könnte die M&A-Aktivität bremsen. Aber es wird auch Käufer geben, die durch diese Unsicherheit hindurchblicken und die Chancen in tieferen Kursen sehen. Insgesamt jedoch wird das Volumen wohl kleiner sein.

Also kein weiteres Topjahr?
Im letzten Jahr verzeichneten wir einen Rekord. Das kann man nicht jedes Jahr erwarten. Ich würde nicht sagen, es sei ein schlechtes Jahr. Das Geschäft ist zyklisch. Wenn wir 10 bis 20% tiefer sind als im letzten Jahr, dann ist das gut.

Wo läuft am meisten?
Im Moment steht wohl der defensive Sektor im Vordergrund, weil sich seine Cashflows besser abschätzen lassen. Insgesamt dürfte der Risikoappetit etwas reduziert sein. Doch strategische Deals, die zuvor wegen des Preises nicht möglich waren, könnten es jetzt werden.

Wir haben viele Transaktionen gesehen, bei denen europäische Unternehmen von Chinesen gekauft wurden. Wird dieses Interesse nun nachlassen?
Chinesische Investoren haben einen sehr langen Zeithorizont. Sie suchen Marktzugang, Technologie und neue Fertigkeiten. Das sind langfristige Themen. Dass in Europa für Monate oder ein paar wenige Jahre Unsicherheit besteht, würde mich nicht davon abhalten, einen strategischen Zug zu machen. Es ist eine grosse Chance, solange die Preisanpassung das höhere Risiko spiegelt.

Chinesische Käufer sind derzeit auffallend aktiv in Europa.
Grenzüberschreitende Transaktionen gibt es schon lange. Alle glauben, es ist nun anders, weil das Interesse aus Asien kommt. Aber Transaktionen zwischen grossen Wirtschaftsblöcken sind normal. Sicher ist die Zunahme von Käufern aus China die jüngste Welle, und ja, sie ist gross.

Wie verändert der Staatseinfluss die Dynamik eines Deals?
In Europa und den USA kennen viele die Unternehmen nicht, die auf sie zukommen, weder ihre Strukturen noch die Führungsorganisation. Man hat es oft mit einer unbekannten Gegenpartei zu tun. Aber Transaktionen kommen trotzdem zustande.

Chinesische Käufer stossen aber zunehmend auf Widerstand. Das spürt ChemChina derzeit bei der Übernahme von Syngenta.
Jede Transaktion geht durch einen regulatorischen Prozess, das gibt es auch dann, wenn ein US-Unternehmen in Europa kauft. Die USA haben den CFIUS-Prozess. Diese Hürden muss man nehmen. Weder chinesische noch europäische Unternehmen waren in der Lage, alle geplanten Transaktionen in den USA oder Europa durchzuziehen.

Zwischen den USA und Europa kann das Kapital uneingeschränkt fliessen, aber für westliche Unternehmen ist es schwierig, in China zuzukaufen. Reziprozität besteht nicht.
Es geht für mich weniger um Reziprozität. Die Frage ist eher, ob es spannende Unternehmen gibt, die man in China kaufen könnte. Beim Marktzugang gibt es eher Reziprozität. Zum Beispiel haben die Automobilhersteller durch organisches Wachstum eine grosse Präsenz in China aufgebaut, ebenso Technologiefirmen oder Konsumunternehmen. Westliche Unternehmen wachsen organisch in einem sich entwickelnden Markt. Chinesische Investoren kaufen in unserem entwickelten Markt zu. Das ist sinnvoll.

Gibt es keine Unternehmen zu kaufen, weil vieles dem Staat gehört?
Ich bin nicht sicher, ob überhaupt jemand sie kaufen wollte. Es ist auch nicht klar, ob selbst ein staatliches Unternehmen nicht verkauft würde, falls jemand einen guten Preis böte. Bisher habe ich allerdings kein Interesse gesehen – auch aus Risikoüberlegungen. Ausländische Unternehmen wachsen in China lieber organisch.

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