Rolf Dörig, Verwaltungsratspräsident SwissLife, zur Energiestrategie und zur Sicherheit der Elektrizitätsversorgung der Schweiz.
Etliche grosse Branchenverbände und prominente Vertreter der Wirtschaft engagieren sich im Wirtschaftskomitee gegen das Energiegesetz. Zu ihnen gehört auch Rolf Dörig, Verwaltungsratspräsident von SwissLife. Gegenüber «Finanz und Wirtschaft» legt er seine Beweggründe dar. Das Interview wurde schriftlich geführt.
Zur PersonDer sechzigjährige Rolf Dörig ist ausgebildeter Jurist mit Doktorat und Anwaltspatent. Zudem absolvierte er das Advanced Management Program an der Harvard Business School. Er startete seine berufliche Laufbahn 1986 in der Credit Suisse. Dörig übernahm mit der Zeit verschiedene Führungspositionen. Ab 2000 war er als Mitglied der Konzernleitung für das Firmenkunden- und Retailgeschäft Schweiz verantwortlich. Im November 2002 wechselte er als Präsident der Konzernleitung zum Versicherungskonzern SwissLife. Dörig hatte dieses Amt bis Mai 2008 inne. Danach wurde er Delegierter des Verwaltungsrats. Seit Mai 2009 bekleidet er das Amt des Präsidenten des Verwaltungsrats. Dörig ist zudem Präsident des Verwaltungsrats von Adecco und Vizepräsident von Dormakaba. Herr Dörig, Sie engagieren sich im Wirtschaftskomitee gegen die Energiestrategie. Warum lehnen Sie die Vorlage ab?
Der Entscheid, die AKW in absehbarer Zeit abzuschalten, führt unweigerlich zu einer Stromlücke. Eine Energiestrategie, die diesen Namen verdient, müsste daher klar aufzeigen, wie diese Lücke konkret geschlossen werden soll. Die Massnahmen müssen die Versorgungssicherheit, Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit ins Zentrum stellen und gemeinsam erstritten und nicht durch Subventionen erkauft werden. Das alles ist bei der Vorlage, über die wir im Mai abstimmen, nicht der Fall. Es braucht weder dieses untaugliche Gesetz auf Vorrat noch falsche Anreize.
Die grossen Wirtschaftsverbände sehen das anders: Economiesuisse übt sich in Stimmenthaltung und der Gewerbeverband unterstützt die Energiestrategie.
Beide Verbände haben in ihren Vorständen die Vorlage intensiv und kontrovers diskutiert und die bekannten Beschlüsse kommuniziert. Ich will diese Positionen nicht kommentieren. Doch haben bisher zahlreiche kantonale Gewerbeverbände sowie Industrie- und Handelskammern die Nein-Parole beschlossen.
Economiesuisse gehörte zu Beginn zu den pointierten Gegnern der Energiestrategie. Warum dieser Positionswandel?
Natürlich ist es so, dass sich Vorlagen im Laufe der Beratung verändern. Leider werden in letzter Zeit aber von Verbänden und bürgerlichen Parteien auch Grundsatzpositionen zugunsten von Kompromisslösungen aufgegeben, die niemanden befriedigen. Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass Economiesuisse beim Nein geblieben wäre.
Sie stehen als VR-Präsident der Swiss Life im Widerspruch zum Versicherungsverband, Ihrem Branchenverband. Er befürwortet die Vorlage. Was hat ihn zu diesem Entscheid bewogen?
Wir leben geopolitisch in unsicheren Zeiten – die Schweiz ist gut beraten, ihre Abhängigkeit vom Ausland in der Energiefrage im Auge zu behalten. Zudem ist die Energieversorgung im Inland und im Ausland im Wandel. Die Idee, aus der Atomenergie auszusteigen, schien nach Fuku-shima verlockend. Unbestritten ist, dass wir unseren natürlichen Ressourcen und unserer Umwelt Sorge tragen müssen. Die Frage ist jedoch: Mit welchen Massnahmen kommen wir am besten ans Ziel? Wie kann der Wandel vorangetrieben werden, ohne dass er neue Probleme und zu hohe Opportunitätskosten schafft? Unser Land sollte sich besser auf die Sicherung der eigenen Infrastruktur und Wasserkraft konzentrieren, als sich staatlich verordneten Zwangsmassnahmen hinzugeben. Ich vertraue mehr auf die innovative Kraft des Marktes als auf den eingreifenden Staat. Die Vorlage ist unausgegoren.
Der Verband setzt sich für die klimapolitischen Ziele sowie für die Umwelt generell ein. Bedingt das eine Unterstützung der Energiestrategie?
Die Mehrheit des Vorstands des Schweizerischen Versicherungsverbands befürwortet die Vorlage. Wie gesagt: Ich komme zu einem anderen Schluss. Es gibt ja auch Umweltverbände, die gegen die Energiestrategie sind. Dies zeigt die Komplexität der Vorlage. Daher ist es auch falsch, die Gegner der Energiestrategie 2050 als ewiggestrige Atomkraftbefürworter zu stigmatisieren. Wir brauchen konkrete Antworten, basierend auf einer klaren Analyse der Ausgangslage. Genau da liegt die Schwäche der Energiestrategie 2050: Sie liefert keine Antworten auf die wichtige Frage der Versorgungssicherheit. Damit gefährden wir die wirtschaftliche Weiterentwicklung unseres Landes.
Was kann die Finanzbranche generell zum Klima- und Umweltschutz beitragen?
Es gibt verschiedene Hebel. Auf der einen Seite können und müssen die Akteure der Finanzbranche dafür sorgen, dass ihre eigenen Betriebsliegenschaften möglichst wenig Ressourcen verbrauchen. Auf der anderen Seite sind sie ein wichtiger Investor sowohl im Bereich der Immobilien in der Schweiz als auch global im Rahmen ihrer Tätigkeit als Asset-Manager. Auf allen Ebenen ist es wichtig, im Spannungsfeld zwischen Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit verantwortungsvoll den Interessen der verschiedenen Anspruchsgruppen gerecht zu werden. Da unternimmt die Wirtschaft viel und ist innovativ unterwegs.
In seinem Positionspapier schreibt der Verband, er unterstütze die Energiestrategie, weil sie die Energieversorgung sicherstellen wolle. Erreicht die Strategie dieses Ziel?
Nein. Die Versorgungssicherheit ist zentral für die Schweiz. Insbesondere der Werkplatz kämpft bereits mit anderen grossen Herausforderungen, etwa mit dem starken Franken oder mit Unsicherheiten in der Beziehung Schweiz–EU. Obwohl die Energiestrategie die bereits bestehenden staatlichen Förderungen ausgewählter Stromerzeugungstechnologien stark ausbauen will, ist nicht davon auszugehen, dass diese in den nächsten Jahrzehnten auch nur ansatzweise einen Beitrag zur Lösung des Stromversorgungsproblems im Winter leisten werden.
Wie könnte bzw. müsste die Versorgung sichergestellt werden?
Die Preise auf dem Strommarkt sind bekanntlich völlig verzerrt – auch aufgrund massiver Subventionen von Photovoltaik im Ausland. Die Versorgungssicherheit basiert meines Erachtens auf einer Öffnung des Strommarkts, diese sollte sofort in Angriff genommen werden. Technologisch gesehen ist die Stromspeicherung ein zentrales Thema. Das wird indes durch Innovationen der Unternehmen gelöst, nicht durch staatliche Intervention.
Was wären die Folgen eines Ja zur Energiestrategie?
Die Folgen wären massiv. Es käme zu zusätzlichen staatlichen Eingriffen und Subventionen, die erst noch ihr Ziel verfehlen. Das würde nicht nur die Innovationskraft in unserem Land hemmen, sondern auch unsere Versorgungssicherheit gefährden.
Und was wären die Konsequenzen eines Nein? Wie müsste das weitere Vorgehen in diesem Fall aussehen?
Ein Nein dürfte wohl als Auftrag für eine nachhaltige Energiestrategie mit weniger Staatseingriffen gelesen werden. Eine Ablehnung der Vorlage wäre ein Bekenntnis zu einer Schweiz, die mutig, besonnen und gelassen auch diese grosse Herausforderung unserer Zeit angehen will.
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