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13:06 Uhr - 16.09.2016

Andrew Sheets: «Die politischen Gefahren werden unterschätzt»

Andrew Sheets, Chief Cross-Asset Strategist von Morgan Stanley, geht davon aus, dass der Markt die Politrisiken nicht eingepreist hat und deshalb verwundbar ist.

Herr Sheets, seit der Finanzkrise scheinen die Börsen mit der expansivsten Zentralbank und der schwächsten Währung jeweils am besten abzuschneiden. Läuft das Ihrer Empfehlung, US-Aktien den europäischen Titeln vorzuziehen, nicht zuwider?
Andrew Sheets«Wir geben den Rat, in Währungen zu investieren», sagt Andrew Sheets. Bild: FuWJedes Mal, wenn die US-Notenbank gelockert hat, ist der Markt gestiegen. Vielleicht war dabei – entgegen der landläufigen Meinung – die Geldpolitik jedoch gar nicht der entscheidende Faktor. Wäre das nämlich der Fall, hätte sich dieselbe Kausalität auch in anderen Regionen zeigen müssen. Für Europa trifft das allerdings nicht zu: Hier wurde das Börsenhöchst dann markiert, als die Europäische Zentralbank mit der Stimulierung begann.

Was sehen Sie denn als wahren Grund?
Vielleicht gewollt, vielleicht auch nur rein zufällig traf das Fed mit jeder Ankündigung einer neuen Quantitative-Easing-Runde gerade den Punkt, an dem die Industrieaktivität die Talsohle durchschritt. Die Aktienmärkte haben womöglich bloss haussiert, weil gleichzeitig die ökonomische Aktivität zunahm. Sofern also die kommenden Fed-Entscheide auf Basis erfreulicher Konjunkturdaten getroffen werden, dürfte der US-Aktienmarkt eine Zinserhöhung verdauen können.

Welchen Fahrplan prognostizieren Sie für den US-Zinserhöhungszyklus?
In dieser Frage weichen wir deutlich vom Marktkonsens ab. Wir gehen davon aus, dass das Fed weder dieses noch nächstes Jahr die Zinsen erhöhen wird.

Weshalb diese massive Diskrepanz?
Einerseits erwarten wir, dass das US-Wirtschaftswachstum sowohl den Marktkonsens als auch die Fed-Prognose verfehlen wird. Andererseits gehen wir davon aus, dass die Teuerung – das zweite Fed-Mandat – tief bleibt. Dies, weil sich die Ölpreiserholung weit ins nächste Jahr verzögert, die schwache chinesische Währung disinflationäre Wirkung entfaltet und auch das US-Lohnniveau relativ starr bleibt.

Denken Sie nicht, dass die Opec bereits am International Energy Forum Ende Monat eine Deckelung der Produktion beschliesst, was den Ölpreis ankurbeln könnte?
Einen solchen Entscheid nähme der Markt sicher positiv auf. Die Opec-Staaten würden die Fördermengen jedoch bestenfalls auf einem Niveau fixieren, das weiterhin einer Überproduktion entspricht. Dies schafft das grundlegende Problem eines Ungleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage nicht aus der Welt. Die Rohstoffpreise dürften deshalb in den nächsten sechs bis zwölf Monaten in der aktuellen Handelsspanne verbleiben respektive schwächer tendieren.

Zurück zum Aktienmarkt: Was spricht sonst noch für US-Valoren?
Zwar sind amerikanische Titel teuer. Die Prämie scheint allerdings gerechtfertigt. Erstens ist der Markt qualitativ hochstehend, liquide und birgt höhere Eigenkapitalrenditen und Gewinnmargen. Zweitens dürften die US-Konzerne in den kommenden sechs bis zwölf Monaten die erfreulichste Gewinnentwicklung erzielen.

Welche Erwartungen an das Gewinnwachstum haben Sie?
Für das laufende Gesamtjahr prognostizieren wir dem S&P 500 (SP500 2147.26 1.01%) ein Wachstum im Gewinn pro Aktie von 3,7%, gegenüber einem Marktkonsens von –0,5%. Der US-Aktienmarkt ist also der Einzige, dem wir steigende Profite zutrauen.

Wie geht das mit Ihrer Prognose eines erstarkenden Dollars einher? In der Vergangenheit hat eine steigende Heimwährung jeweils die US-Aktienkurse belastet.
Da wir davon ausgehen, dass das Fed mit den Zinserhöhungen zuwartet, dürfte der Greenback bis Jahresende eher schwächer tendieren. Die Dollarstärke würde erst ab 2018 zu einem Problem.

In den kommenden Monaten stehen gleich mehrere riskante Ereignisse an – so etwa die US-Präsidentschaftswahlen und das Verfassungsreferendum in Italien. Sind die Märkte genügend darauf vorbereitet?
Wir gehen davon aus, dass der Markt die politischen Gefahren unterschätzt und deshalb verwundbar ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Verfassungsreform in Italien abgelehnt wird, stufen wir auf 65% ein. Doch die Bondspreads der EU-Peripherie bewegen sich nahe ihren Jahrestiefst. Ähnliches gilt für die USA: Der Markt preist die Volatilität für den November praktisch auf dem gleichen Niveau wie für den Oktober, obwohl im November die Präsidentschaftswahl über die Bühne geht. Und das erst noch bei zwei Kandidaten, deren Wirtschaftspolitik sich deutlich voneinander unterscheidet.

Welche Kurswirkung dürften die US-Wahlen auf Sektorebene entfalten? Sie empfehlen die Gesundheitsbranche, obwohl Befürchtungen bestehen, dass sich ein Clinton-Triumph negativ auswirken könnte.
Dieses Risiko ist unserer Meinung nach schon eingepreist. Im Falle eines Clinton-Wahlsiegs geriete der Pharmasektor – etwa was die Preissetzung bei den Medikamenten betrifft – weniger stark unter Druck als befürchtet. Für den Sektor sprechen zudem die tiefe relative Bewertung sowie die langfristige Wachstumsstory.

Eine tiefe relative Bewertung ist für Sie ebenfalls der Grund, weshalb Ihnen US-Bankaktien gefallen. Gilt diese Einschätzung auch für europäische Finanzinstitute?
Zwar sind die europäischen Banken hinsichtlich Bewertung noch günstiger als ihre amerikanischen Wettbewerber. Allerdings stehen sie auf einem schwächeren Fundament, sind deutlich höher verschuldet und haben immer noch mit dem Problem notleidender Kredite zu kämpfen.

Angesichts der schwindenden Wirkung der Geldpolitik wird immer häufiger debattiert, fiskalpolitische Stimuli einzusetzen. Stimmen Sie mit dieser Einschätzung überein?
Ich bin der festen Überzeugung, dass eine lockerere Fiskalpolitik der Wirtschaft auf die Sprünge helfen würde. Denn die Mindestrenditen liegen so tief, das sich viele Staatsinvestitionen lohnen würden – egal, ob es sich dabei um neue Spitäler, Schulen oder Strassen handelt. Wir sind aber deutlich weniger zuversichtlich, dass diese Pläne in absehbarer Zeit umgesetzt werden – gerade auch, weil die politischen Hürden schwer zu überwinden sind.

Welche Schwellenländer halten Sie aus Anlegersicht für attraktiv? Wie gross wären die negativen Folgen, sollte die US-Notenbank mit den Zinserhöhungen fortfahren?
Vieles unterscheidet sich vom «Taper Tantrum» von 2013, als das Fed bekanntgab, das laufende Anleihenkaufprogramm zu kürzen, und die Emerging Markets äusserst negativ reagierten. Inzwischen sind die Leistungsbilanzen vieler Schwellenländer ausgeglichen oder sogar in positivem Terrain. Zudem lagen damals die realen Zinsen in den Emerging Markets weniger als hundert Basispunkte über den USA. Nun beträgt die Differenz mehr als dreihundert Basispunkte. Das Polster ist also deutlich grösser. Eine US-Zinserhöhung dürfte deshalb zu verkraften sein.

Welche Emerging Markets gefallen Ihnen?
Mexiko und Indien sind zwar interessante Wachstumsgeschichten, sind allerdings sehr hoch bewertet. Brasilien befindet sich in einer konjunkturellen Erholung, doch ist der Aktienmarkt dieses Jahr bereits sehr gut gelaufen. Russland wirkt zwar günstig, ist aber stark vom Rohstoffsektor abhängig. Und in China herrscht viel Unsicherheit bezüglich Wirtschaftsentwicklung.

Welches Schwellenland bleibt übrig?
Wir mögen Südkorea, das – gemessen am Preis-Buchwert-Verhältnis und an der Eigenkapitalrendite – ein attraktives Verhältnis zwischen Bewertung und Qualität aufweist. Auch dürfte der lokale Aktienmarkt von Kapitalzuflüssen profitieren. Zudem ist Südkorea eine relativ bedeutende Volkswirtschaft, die noch nicht zum Mittel der quantitativen Lockerung gegriffen hat.

Die Korrelation zwischen den Anlageklassen ist über die letzten Jahre gestiegen. Vermögenswerte wie Staatsanleihen, die traditionellerweise eine gute Diversifikation erlaubten, sind inzwischen sehr hoch bewertet. Wo findet man Diversifikation, die noch attraktiv bewertet ist?
Wir geben den Rat, in Währungen zu investieren. Wir mögen etwa den Yen, weil er eine negative Korrelation zum globalen Aktienmarkt aufweist und günstig bewertet ist – respektive günstig bewertet war. Aktuell weist der Euro die gleichen Qualitäten auf: Gemessen am effektiven Wechselkurs notiert er auf einem attraktiven Niveau und korreliert negativ mit den europäischen respektive den globalen Aktienmärkten. Es ist also hilfreich, ein gewisses Euro-Exposure im Portfolio zu haben.

Gibt es einen weiteren Ratschlag?
Viele Anleger halten ein Portfolio, das sich aus Aktien und Anleihen zusammensetzt. Angesichts der flachen Zinskurve wird man zurzeit nicht dafür belohnt, in länger laufenden Bonds investiert zu sein – doch ist man über die Volatilität einem deutlich höheren Risiko ausgesetzt. Mit einer Senkung der Duration kann man also zumindest die Volatilität verringern, egal, in welcher Währung man investiert ist.

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