Noch nie wurde so viel Geld in Jungunternehmen gesteckt. Schweizer Kapitalgeber spielen eine Nebenrolle.
Die Schweizer Start-up-Szene gedeiht. Knapp 2,3 Mrd. Fr. flossen im abgelaufenen Jahr in Schweizer Jungunternehmen. Damit wurde mehr als 1 Mrd. Fr. oder 86% mehr in Start-ups investiert als im Vorjahr. Zu diesem Schluss kommt die jüngste Ausgabe des Swiss Venture Capital Report, die am Dienstag in Zürich vorgestellt wurde. Das Geld floss 2019 in 266 Finanzierungsrunden den Jungfirmen zu, 2018 waren es 230 gewesen.
Der markante Anstieg der Investitionen ist besonders auf die fünf grössten Finanzierungen zurückzuführen. Schweizer Wagniskapitalgeber (Venture Capitalists, VC) spielten aber nur eine Nebenrolle. Die potentesten Geldgeber kamen aus dem Ausland. Schweizer VC engagieren sich oft nur in der Frühphase der Unternehmensentwicklung mit kleineren Beträgen. Gemäss den Autoren der Studie hat sich die Start-up-Szene derart schnell entwickelt, dass Schweizer VC Mühe haben, Schritt zu halten und die Unternehmen auch im späteren Wachstumsstadium zu begleiten.
Drei «Einhörner» geboren
Das Jungunternehmen, das mit Abstand am meisten Geld einsammeln konnte, ist die 2009 in Zürich gegründete Reise-App GetYourGuide. In das IT-Start-up steckten Investoren 2019 rund 489 Mio. Fr. Es folgte mit 234 Mio. Fr. das Versicherungs-Start-up Wefox. Der Biotech-Spezialist Arvelle Therapeutics kam auf 209 Mio. Fr. Das Cleantech-Start-up Energy Vault konnte 107 Mio. Fr. einnehmen und der Biotech-Spezialist ADC Therapeutics rund 100 Mio. Fr. GetYourGuide, Wefox und ADC erreichten Bewertungen von über 1 Mrd. Fr. Sie gelten in der Szene als sogenannte «Einhörner».
ADC Therapeutics ist auch Anlegern ein Begriff. Der Krebsspezialist hatte im vergangenen Oktober versucht, sich an der NYSE kotieren zu lassen, brach die Übung aber ab. Gemäss den Studienautoren sei es für Biotech-Start-ups besonders anspruchsvoll, sich an einem Schweizer oder europäischen Börsenplatz dem Publikum zu öffnen. Deshalb würden Firmen aus dem Lifesciences-Bereich eine Kotierung in den USA anstreben oder von der Börse fernbleiben. Angesichts des Anlagenotstands gibt es ausserbörslich vielfältige Finanzierungsmöglichkeiten. Es ist für viele Start-ups ebenso attraktiv, so lange wie möglich privat zu bleiben. Die Zeitdauer bis zum Exit (Verkauf oder IPO) ist in der Schweiz mit elf Jahren so lang wie nie.
Jungunternehmen aus dem Biotech- und IT-/Fintech-Sektor waren 2019 die grossen Gewinner (vgl. Box (BOX 15.34 -5.37%) oben). Biotech zog Mittel in Höhe von rund 625 Mio. Fr. an, IT und Fintech gar von 840 Mio. Fr. – mehr als doppelt so viel wie 2018. Auch für Biotech war es ein Rekordjahr. Doch es lief nicht für alle Branchen rund. Besonders für reifere Medtech-Unternehmen verliert die Schweiz an Attraktivität. Nur rund 72 Mio. Fr. flossen in den Sektor, der geringste Wert seit Jahren. Das hängt mit dem veränderten regulatorischen Umfeld und einem drohenden eingeschränkten Zugang zum EU-Markt zusammen.
Nebenrolle für Schweizer Risikokapitalgeber
Der Schweizer Start-up-Markt zeichnet sich durch eine breite Diversifizierung der Branchen aus. Dennoch sind die Investitionen konzentriert: Von den total 1,2 Mrd. Fr., die in IT- und Fintech-Start-ups flossen, kamen 822 Mio. Fr. in den fünf grössten Finanzierungsrunden zusammen. Schweizer Wagniskapitalgeber (Venture Capital, VC) mischten bei diesen nicht mit.
Bei GetYourGuide sorgte der japanische Tech-Megafonds Softbank (Softbank 20.62 -3.85%) für die grösste Cashspritze, bei Wefox der katarische Staatsfonds Mubadala. Softbank hat auch beim Tessiner Cleantech-Start-up Energy Vault mehr als 100 Mio. Fr. eingeschossen. Alle grossen Finanzierungsrunden über 50 Mio. Fr. gingen gemäss Studienautoren auf das Konto von ausländischen VC.
Auch den VC-Abteilungen von Schweizer Konzernen kommt nur eine Nebenrolle zu. Die Fonds von Novartis (NOVN 91.8 1.2%), Swisscom (SCMN 535.6 1.44%), Post oder ZKB waren im vergangenen Jahr nur in mittelgrossen Engagements wie dem Chipspezialisten Kandou, der Chat-App Beekeper oder dem Biotech Anokion zu finden. Gemäss den Start-up-Spezialisten sei die Beziehung zwischen Konzernen und Start-ups «kompliziert». Konzerne seien eher daran interessiert, Geschäftsmodelle zu übernehmen als Technologie zu kaufen.
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