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12:47 Uhr - 10.11.2014

Napolitano denkt an baldigen Rücktritt

Italiens Staatspräsident Giorgio Napolitano gilt vielen im Ausland als einer der wenigen verlässlichen Politiker des Landes. Nun könnte der bald Neunzigjährige Ende Jahr seinen Rücktritt erklären.

«Ich kann nicht mehr», soll Italiens Staatsoberhaupt Giorgio Napolitano gemäss der Tageszeitung «La Repubblica» vergangene Woche einem langjährigen Freund gestanden haben.

Napolitano werde am 31. Dezember in seiner Jahresendansprache an das Parlament den Rücktritt ankündigen. Schon im Juni drangen Indiskretionen aus dem Quirinal, dem Sitz des Staatspräsidenten: «Italien wird keinen neunzigjährigen Präsidenten sehen», soll Napolitano gesagt haben. Er wird nächsten Mai neunzig Jahre alt.

Das Nicht-Dementi

Aus dem Quirinal kam zum neusten Gerücht kein Dementi. In der diesen Sonntag veröffentlichten Pressemitteilung war nur zu lesen, es gebe «nichts zu dementieren oder zu bestätigen». Es liege einzig in der Verantwortung des Staatschefs, Bilanz zu ziehen aus dieser ausserordentlichen Verlängerung der Amtszeit und die Entscheide zu fällen, die er für nötig halte.

Wie immer, so liest man weiter, werde Napolitano Institutionen, Öffentlichkeit und Bürgern über jeden seiner Schritte ausführlich Rechenschaft ablegen. Die Umstände, unter denen er im Amt bleibe, seien zudem seit langem bekannt.

Das Nicht-Dementi liest sich trotz allem eher wie ein Drehbuch für das, was bald folgen könnte.

Napolitano war am 22. April 2013 für eine zweite Amtszeit gewählt worden – in Abweichung von der Tradition als erster Staatspräsident in der Geschichte der Republik Italien. Angesichts der politischen Lähmung nach dem Patt im Senat bei den Parlamentswahlen im Februar 2013 und der Unfähigkeit der Parteien, sich auf einen neuen Kandidaten zu einigen, gab der damals 87-jährige Napolitano dem Drängen der Parteiführer nach.

Tatsächlich hatte Napolitano schon in seiner Ansprache nach der Wiederwahl die Bedingungen für eine zweite Amtsperiode klargemacht: «Ich werde im Amt bleiben, solange der Zustand des Landes es nahelegt und meine Kräfte es erlauben.»

Napolitano dürfte am geeignetsten sein, die politische Lage in Italien einzuschätzen. Sollte er zur Überzeugung gelangen, dass das Land jetzt «ohne ihn kann», dürften die Märkte dieses Urteil ernst nehmen. Tritt er aus gesundheitlichen Gründen zurück, dürften sie das als Wegfall eines Garanten sehen. Die Unsicherheit über den Reformkurs dürfte dann zunehmen. Auf die neuen Gerüchte reagierten die Bondmärkte gelassen. Die zehnjährigen italienischen Staatsanleihen rentierten mit 2,35% – weniger als am Freitag.

Die Angst vor Neuwahlen

Von aussen betrachtet ist nicht evident, ob der seit Februar 2014 amtierende Premier Matteo Renzi über die politische Kraft verfügt, um seine ambitiösen und selbst in der eigenen Partei höchst umstrittenen Reformen durchzusetzen. Gelingt ihm das nicht, steht das Land nicht nur ohne die Veränderungen da, die unabdingbar sind für eine Rückkehr zu Wirtschaftswachstum und um die Märkte von der Nachhaltigkeit der mit fast 130% der Wirtschaftsleistung horrenden Schuldenquote des Landes zu überzeugen. Zusätzlich müssten bereits wieder Neuwahlen stattfinden – nach den Regierungen von Mario Monti, Enrico Letta und der aktuellen von Renzi die vierten in knapp drei Jahren.

Es ist kein Geheimnis, dass Napolitano nichts von Neuwahlen wissen will. Genau er müsste aber dazu die Kammern auflösen. Neuwahlen sind in Italien derzeit wieder mehr im Gespräch als auch schon – nicht nur weil Renzi bei fast allen Reformschritten im Parlament die Vertrauensfrage stellt. Nach rund 25 überstandenen Vertrauensvoten könnte es auch einmal schiefgehen. Doch Neuwahlen sind auch für Renzi selbst eine Option, denn jedermann weiss, dass er derzeit ein Rekordwahlergebnis für seine Partei, die Partito Democratico (PD), erzielen würde. Genau wegen dieser Drohung gegenüber Dissidenten und Opposition kann er es sich erlauben, hoch zu pokern.

Die Aussicht Napolitanos auf Neuwahlen könnte daher mit ein Grund sein, weshalb er an seinen Abgang denkt.

Renzis Popularität gestiegen

Renzi will die Arbeitsmarktreform bis Ende Jahr vom Parlament absegnen lassen, ebenso das Wahlgesetz, wobei seine Lage komfortabler ist, als es auf den ersten Blick scheint: Berlusconis vor einem Jahr wiedergegründete Forza Italia ist in Umfragen auf etwa 16% gesunken und ist damit knapp vor der Lega und hinter Cinque Stelle (M5S) – der Totaloppositionspartei von Beppe Grillo – drittgrösste Kraft im Land. Renzis Zustimmung im Volk ist dagegen gestiegen und verspricht derzeit mit rund 40% ein Glanzresultat im Fall von Neuwahlen. Nachdem Renzi bei der jüngsten Wahl von Verfassungsrichtern einen ihrer Kandidaten unterstützt hat, scheinen die Cinque Stelle noch nie so bereit gewesen zu sein wie jetzt, Renzi im Wahlgesetz zu unterstützen, sollte sich Berlusconi, der bisher hinter Renzi stand, zurückziehen.

Als Kandidat mit grossen Chancen für die Nachfolge Napolitanos gilt denn gerade auch der weitum respektierte parteilose Stefano Rodotà, den M5S schon 2013 an der Stelle Napolitanos ins Rennen geschickt hatte.

Nachdem Renzi die Arbeitsmarktreform im Oktober im Senat mit der Vertrauensfrage durchgeboxt hatte, erreichte die Meuterei im Innern der PD einen neuen Höhepunkt. Auf die Frage, ob Renzi eine Abspaltung des linken Spektrums fürchte, sagte er: Es werde keine Abspaltung geben, er respektiere die offene Konfrontation innerhalb der Partei. Sollte aber jemand in einer Vorlage gegen die Regierung stimmen, so werde das Konsequenzen haben. Kurz: Renzi wäre es wohl fast lieb, wenn er die ideologischeren Randgruppen in seiner Partei loswürde, denn er schielt ohnehin aufs Zentrum, wo er schon jetzt den Mitte-rechts-Parteien viel Wasser abgegraben hat.

Gewerkschaften kämpferisch, aber verunsichert

Renzis Tempo und die hartnäckig hohe Unterstützung bei Umfragen überfordern nicht nur seine politischen Gegner, sondern auch die Gewerkschaften. In den vergangenen Wochen haben immer wieder Hunderttausende gegen die geplanten Reformen demonstriert. Die Gewerkschaften brachten die Demonstranten mit mehreren tausend Bussen und mit Sonderzügen nach Rom, was selbst für einen Skandal sorgte, da die Busfahrten von den Gewerkschaften selbst finanziert wurden.

Überhaupt scheinen sich die Gewerkschaften der Wirksamkeit ihrer Reflexe immer unsicherer. Nicht nur lassen die für Jahrzehnte sehr ernst genommenen Drohungen von Massendemos Renzi im Vergleich zu früheren Premiers eher kalt. Der Liebesentzug, der ausgerechnet von Renzis linker PD ausgeht, ist prinzipieller: Vor Wochen forderten ihn Gewerkschaftsführer auf, mit ihnen zu verhandeln. Renzis Anwort: Die Gewerkschaften hätten offenbar vergessen, dass ihr Verhandlungspartner die Arbeitgeber seien. Er werde anhören, was sie zu sagen haben, aber die Regierung verhandle nicht mit Gewerkschaften. Und sonst sollen sich ihre Vertreter eben ins Parlament wählen lassen.

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