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07:06 Uhr - 08.04.2021

Empa: ein Pflanzgarten für Ideen

Gian-Luca Bona, Direktor der Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt, sucht auf unbekanntem Terrain nach Lösungen, die für die Volkswirtschaft der Schweiz nützlich sind.

Kaum ein Tag vergeht, an dem die Empa nicht zitiert wird. Was geschieht beim Brand eines Elektroautos, wie ist die Klimabilanz der Schweiz, welche Atemmaske schützt am besten vor Covid-19, oder wie sinnvoll ist es, Gurken in Folie einzuschweissen? Die Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt, kurz Empa, gibt Antworten auf viele Fragen, neutral und wissenschaftsbasiert.

Mit Materialprüfung im ursprünglichen Sinn hat die Arbeit des Instituts aus dem ETH-Bereich, das 1880 als «Anstalt für die Prüfung von Baumaterialien» gegründet wurde, nur noch wenig zu tun. «Die Materialprüfung umfasst heute noch 6 bis 8% unserer Tätigkeit», sagt Gian-Luca Bona, seit 2009 Direktor der Empa. «Wir entwickeln in der Regel Testprozeduren und geben diese an die Privatwirtschaft weiter.» Wenn Tests repetitiv ablaufen, könne daraus ein Geschäft werden, dass dann kommerzielle Testlabore oder die Industrie übernehmen.

Keine reine Grundlagenforschung

«Wir versuchen, Pfadfinder zu sein, die auf unbekanntes Terrain hinausgehen und nach Lösungen suchen, die für die Volkswirtschaft der Schweiz nützlich sind», beschreibt Bona die heutige Rolle der Empa. Dabei geht es ihm nicht um reine Grundlagenforschung. In der Regel seien die naturwissenschaftlichen Grundlagen auf dem jeweiligen Arbeitsgebiet mehr oder weniger bekannt. Darauf aufbauend versuche die Empa komplementär zu den beiden ETH und den Hochschulen der Industrie Umsetzungshilfen zu geben, sei es mit Innovationen, mit Dienstleistungen oder mit Beratung. «Aber wir beachten dabei immer, dass wir Firmen, die darin auch gut sind, nicht konkurrenzieren.»

Die Arbeit der Empa ist in Fokusbereiche gegliedert. «Fokusbereiche wählen wir nach den Bedürfnissen des Landes aus», sagt Bona. Einer dieser Bereiche heisst «Materials Meet Life» oder – ganz nüchtern – «Materialien für die Medizin». Früher war die Forschung für die in der Schweiz weggebrochene Textilindustrie ein Schwerpunkt. Heute geht es zum Beispiel um Hightech-Fasern für die Chirurgie oder um Nanopartikel für den gezielten Transport von Wirkstoffen in verschiedene Organe. Neue Materialien für Implantate sind ebenfalls ein wichtiger Schwerpunkt. «Da stellen sich unsere Wissenschaftler manchmal neben die Chirurgen an den Operationstisch, um deren Arbeit präzise kennenzulernen.»

Wichtige EU-Programme

Rund tausend Mitarbeiter hat die Empa an ihren drei Standorten Dübendorf, St. Gallen und Thun. Darunter 590 Wissenschaftler, 230 Doktorierende von verschiedenen Hochschulen und 120 sogenannte Postdoktoranden, die nach ihrer Dissertation für eine befristete Zeit eingestellt werden. Physiker, Chemiker, Biologen und Materialwissenschaftler aus fast sechzig Nationen arbeiten in den Empa-Labors.

Im Jahr 2020 hatte das Institut Einnahmen in Höhe von 171 Mio. Fr. Zwei Drittel davon stammen aus der öffentlichen Finanzierung des ETH-Bereichs. Das dritte Drittel kommt aus Fördertöpfen unter anderem vom Schweizer Nationalfonds, von der Innosuisse oder von der EU sowie direkt von Unternehmen (vgl. Grafiken). Die EU-Programme seien für die Empa wichtig, denn bei den geförderten Projekten gehe es um die Industrie 5.0, um eine «nachhaltige, digitalisierte und automatisierte Industrie, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt».

Zurzeit ist die Empa an 72 EU-Projekten beteiligt. «Der grösste Teil sind Projekte, bei denen wir die Grundlagen verstehen, die aber noch nicht marktreif sind», sagt Bona. Mit der Förderung könne die Phase vom grundlegenden Verständnis bis zur Geschäftsreife überbrückt werden. Dies sei nicht nur für Start-ups wichtig, sondern auch für KMU, die ihre Entwicklung wegen finanzieller Engpässe, dem starken Franken oder ungelösten Nachfolgeregelungen oft vernachlässigten. «Da haben uns die EU-Programme immer wieder sehr geholfen.»

Aus der Industrie kommen Anfragen nach spezifischen Dienstleistungen und für Prozess- oder Produktentwicklungen. «Meist beginnt es mit einem kleinen Problem. Zum Beispiel, warum korrodiert diese oder jene Befestigung?». Aus einer einfachen Dienstleistung werde dann manchmal die Suche nach einer innovativen Lösung. «Wir versuchen, den Innovationsmotor immer wieder neu zu zünden, mit unserem Materialwissen neue Impulse zu geben. Jeder Dialog führt zu etwas.» Wenn die Empa direkt mit der Industrie zusammenarbeitet, agiert sie selbst wie ein Unternehmen und stellt die Dienstleitungen in Rechnung, vergibt Lizenzen oder ist an künftigen Gewinnen beteiligt.

Technologietransfer und Start-ups

Ein wesentliches Element des Technologietransfers von der Empa in die Wirtschaft ist neben den Projektkooperationen die Förderung und die Gründung von Start-ups. Zurzeit sind 29 dieser jungen Unternehmen unter dem Dach der Empa aktiv. Einen Schritt weiter ist zum Beispiel Flisom, ein vom Empa-Forscher Ayodhya Tiwari 2005 als Spin-off gegründetes Unternehmen, das in Dübendorf entwickelte Solarzellen mit einem patentierten Verfahren auf flexible Folien druckt. Die seit 2013 in einer Fabrik in Niederhasli produzierten Module sind im Handel. Mit einer neuen Produktionsstätte in Ungarn wird Flisom ihre Kapazität von 15 auf 65 Megawatt pro Jahr erhöhen.

Für die Zukunft wünscht sich Gian-Luca Bona einen grossen Schweizer Risikofonds nach norwegischem Vorbild, mit dem sich die Risiken bei der Entwicklung neuer Technologien breit verteilen liessen. «Damit könnte man grosse Herausforderungen angehen, wie zum Beispiel die Kreislaufwirtschaft oder die Energiewende.» Zudem sei dies eine urschweizerische Lösung. So wie damals bei den Bauern im Wallis, die gemeinsam in ein Bewässerungssystem – die Suonen – investierten, um es dann individuell zu nutzen. Die Empa solle ein Art Pflanzgarten sein, deren Ideen in der Industrie zu Früchten heranreifen. «Das braucht allerdings Zeit, die die Finanzindustrie leider oft nicht hat.»

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