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12:35 Uhr - 05.04.2016

«Angst vor US-Rezession ist übertrieben»

Reto Jaeggli, Leiter Advisory bei Indosuez Wealth Management in der Schweiz, bevorzugt Aktien aus Europa. Er verrät im Interview mit FuW, auf welche Schweizer Aktien er setzt.

Herr Jaeggli, sollten Anleger die Erholung an den Börsen zum Verkaufen nutzen, oder geht es wieder aufwärts?
Es wäre falsch, sich jetzt grundsätzlich von Aktien zu trennen. Die Rohstoffpreise haben sich stabilisiert, die Angst vor einer US-Rezession oder einer harten Landung in China ist übertrieben. Die US-Konjunktur wird vom robusten Arbeitsmarkt und vom Konsum gestützt, und Chinas lockere Geldpolitik zeigt die gewünschte Wirkung. Es gibt global viele gute Anlagemöglichkeiten, auch am Aktienmarkt.

Wo finden Sie gute Aktienanlagen?
Wir setzen ganz klar auf Europa. Der europäische Aktienmarkt ist günstig bewertet, besonders im Vergleich zu den USA. Seit zwei bis drei Jahren sind wir optimistisch, was die Konjunktur in der Eurozone angeht. Unsere Private-Equity-Spezialisten berichten über einen guten Geschäftsgang auch bei kleineren und mittelständischen Unternehmen. In Spanien und Italien sind wachstumsfreundliche Reformen eingeleitet worden.

US-Aktien sind Ihnen also zu teuer?
Die US-amerikanischen Börsen sind für passive Anleger derzeit nicht interessant. Der Gesamtmarkt ist stolz bewertet, und das Gewinnwachstum dürfte bescheiden bleiben. Der Markt bietet aber nach wie vor zahlreiche Möglichkeiten für taktische und thematische Investitionen und für die Auswahl von Einzeltiteln.

Welche Titel aus den USA drängen sich auf?
Im Technologiesektor sollte man die jüngsten Rückschläge zum Aufbau von Positionen nutzen. Zu unseren Lieblingstiteln gehören Alphabet (GOOGL 765.12 -0.59%), Facebook (FB 112.55 -3.02%) und Amazon (AMZN 593.19 -0.89%). Aus dem Bereich der Computer- und Netzsicherheit gefallen uns Palo Alto Networks (PANW 161.59 0.29%). Ebenfalls stark korrigiert haben Anfang Jahr die Aktien von Unternehmen aus der Freizeitindustrie wie Carnival (CUK 54.41 0.15%) oder Royal Caribbean Cruises. Dort hat man jetzt die Möglichkeit, in Wachstum zu investieren. Die Kreuzfahrtgesellschaften profitieren von den Babyboomern, die jetzt in Pension gehen und Zeit und Geld haben. Auch in China wächst dieser Markt sehr schnell.

Welche Aktien von Schweizer Unternehmen fallen positiv auf?
Im Gesundheitssektor empfehlen wir seit längerem Actelion (ATLN 140 -0.99%). Zu unseren weiteren Schweizer Börsenfavoriten gehören Givaudan (GIVN 1879 -0.05%) und SGS (SGSN 2036 -0.05%). Das sind beides hervorragend geführte Unternehmen, die auf ihrem Gebiet führend sind. Sobald es den Schwellenländern wieder besser geht, sollte auch das Geschäft von SGS profitieren. Ebenfalls auf unserer Kaufliste stehen die Aktien von Geberit (GEBN 357.6 -1.08%).

Wie schätzen Sie die Börse Japan und die Emerging Markets ein?
Der japanische Aktienmarkt ist überverkauft und birgt Potenzial. Investoren sollten allerdings das Währungsrisiko absichern. Auch den Schwellenmärkten sollte wieder mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Von Kundenseite besteht zwar noch sehr wenig Interesse, ich würde die Region aber nicht mehr untergewichten. Gerade in Hongkong sind zahlreiche Unternehmen kotiert, die vom Technologieboom in der Region profitieren. Ich denke da an die IT-Gesellschaft Tencent (Tencent 20.48 -0.39%) oder den Onlinehändler Alibaba (BABA 79.08 0.44%).

Die brasilianische Börse hat dieses Jahr 20% gewonnen. Ist das die Wende?
Darauf würde ich nicht spekulieren. In Brasilien ist das Risiko eines Rückschlags gross. Wenn es Lateinamerika sein muss, dann würde ich eher auf Mexiko setzen.

Wie beurteilen Sie die Rohstoffpreise?
Dieses Jahr zeichnen sich zwei grosse Trendwenden ab: Zum einen wird sich der Rohstoffsektor zusammen mit den Emerging Markets erholen, zum anderen wird der Dollar sein Top erreichen. Ich erwarte, dass sich der Erdölpreis zwischen 30 und 50 $ stabilisieren wird, da das Überangebot aus Nordamerika zurückgeht.

Wie gross ist der Einfluss des Ölkartells Opec auf die Preise?
Wenn die Opec und Russland die Produktion auf dem gegenwärtigen Niveau einfrieren, reicht das noch nicht, um den Preis nachhaltig zu stabilisieren. Wichtiger ist die Fördermenge aus Nordamerika, wo sich die Produktion seit 2009 nahezu verdoppelt hat. Die Anzahl operativer Bohrlöcher ist seit Ende 2014 von 1600 unter 400 gefallen. Das sollte in den kommenden Monaten die Produktion und die derzeit übervollen Lager beeinflussen.

Sollte man jetzt Energieaktien kaufen?
Die Aktien der Erdölunternehmen sind zum Teil günstig bewertet. Eine Stabilisierung des Erdölpreises könnte dem Sektor Aufwind geben. Am interessantesten sind die Valoren von integrierten Erdölgesellschaften wie Royal Dutch, Total (FP 38.095 -2.76%) oder Chevron (CVX 93.43 -0.88%). Sie haben gute Arbeit geleistet, um die Kosten zu senken. Investitionen wurden zurückgefahren und Projekte auf Eis gelegt. Die Quartalsergebnisse von Royal Dutch und Total haben positiv überrascht. Kritisch finde ich einzig, dass sie weiterhin so hohe Dividenden bezahlen. Das bedeutet, dass die Unternehmen die Reserven anzapfen müssen. Ich sähe lieber, wenn sie die Ausschüttung entsprechend dem Geschäftsverlauf kürzten, wie das zum Teil im Minensektor gemacht worden ist.

Wie sind die Aussichten für reine Explorationsgesellschaften oder Öldienstleister?
Bei reinen Explorations- und Produktionsgesellschaften wäre ich sehr selektiv, da die Quartalszahlen noch länger enttäuschen dürften. Ebenfalls nicht zu empfehlen sind die Papiere der Erdöldienstleister. Sie leiden am stärksten darunter, wenn die Erdölkonzerne die Investitionen zurückfahren.

Was raten Sie Anlegern, die in den Erdölsektor investieren wollen, denen die Aktien aber noch zu riskant sind?
Interessant sind strukturierte Produkte mit tiefem Ausübungspreis, bei denen man Titel wie Royal Dutch im schlimmsten Fall zu noch tieferen Preisen kauft und dafür attraktive Coupons bekommt.

Betrachten Sie solche konservativen Reverse Convertibles als Ersatz für Anleihen?
Im aktuellen Niedrigzinsumfeld können defensive Produkte mit tiefem Ausübungspreis durchaus als Alternative zu Anleihen in ein Portfolio aufgenommen werden. Noch geeigneter sind strukturierte Zinsprodukte, zum Beispiel sogenannte Floating Coupon Notes mit einer Mindest- und einer Maximalverzinsung. Da gibt es Dollarprodukte, die bezahlen in den nächsten fünf Jahren mindestens 2,25% und maximal 6% und dazwischen den Dreimonats-Libor. Damit fahren Sie erst dann schlecht, wenn der kurzfristige US-Zins über 6% steigt, was meiner Meinung nach extrem unwahrscheinlich ist.

Welche Anleihen oder Anlagen mit Anleihencharakter können Sie sonst noch mit gutem Gewissen empfehlen?
Mit hochverzinslichen Unternehmensanleihen wird man für das Risiko wieder besser bezahlt. Das ist jetzt keine Empfehlung, doch der Markt verdient eine genaue Prüfung. Auch bei Unternehmensanleihen mit guter Bonität gibt es wieder attraktive Marktzinsen. Die 2024 fälligen Anleihen der US-Drogeriekette Walgreens Boots Alliance zum Beispiel rentieren immerhin 3,5%.

Sie erwarten dieses Jahr das Ende der Dollarhausse. Folglich würden Sie bei Dollaranleihen das Währungsrisiko absichern?
Ja, das scheint sinnvoll. Der Höhepunkt der Dollarstärke liegt bereits hinter uns. Nun ist es angebracht, wieder stärker in den Euro und in Gold (Gold 1231.23 1.32%) zu diversifizieren.

Sie rechnen für dieses Jahr also nicht mit weiteren Zinserhöhungen des Fed?
Doch, die US-Wirtschaft ist genug robust, sodass das Fed den Leitzins noch etwa zwei Mal anheben könnte. Eigentlich würde man erwarten, dass der Dollar dann stärker wird. Historisch hat er sich aber am Beginn eines Zinserhöhungszyklus jeweils abgewertet, was damit zu tun hat, dass das Fed die Finanzmärkte jeweils sehr gut auf die Zinserhöhung vorbereitet hatte. Die Aufwertung fand wie im aktuellen Zyklus nicht während, sondern vor der Straffung der Geldpolitik statt.

Ist der schwächere Dollar der Hauptgrund, für Gold optimistisch zu sein?
Gold hat grosses Kurspotenzial, obwohl es kurzfristig überkauft ist. Das gelbe Metall ist für uns längerfristig ein wichtiges Investment, da das Vertrauen in die Möglichkeiten der Zentralbanken langsam schwindet.

Aber die Opportunitätskosten, Gold zu halten, nehmen zu, wenn die Zinsen steigen.
Der US-Zinserhöhungszyklus wird viel sanfter sein als die vorherigen Zyklen.  Zudem verharren die restlichen Industrieländer in der Tiefzinspolitik. Schon fünf Zentralbanken haben Negativzinsen eingeführt. Da greift das Argument der Opportunitätskosten wenig. Zudem schützt Gold vor Risiken aller Art. Und davon gibt es genug: Die US-Präsidentschaftswahlen sind ein  Unsicherheitsfaktor, solange Donald Trump im Rennen bleibt, und der Nahe Osten bleibt ein Pulverfass.

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