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14:57 Uhr - 01.03.2021

«Biotech ist für frisches Kapital sehr attraktiv»

Der Zeitpunkt, über Venture Capital in Biotech zu investieren, ist günstig, meint der Gründer von Nextech Invest, Alfred Scheidegger. Vor allem in
der Onkologie ergeben sich Chancen.

Herr Scheidegger, die Pandemie dominiert die Nachrichten. Gab es in der Biotechnologie Forschungsbereiche, die wegen Corona zu kurz kamen?
Klinische Versuche für neue Medikamente wie beispielsweise in der Onkologie haben sich für eine kurze Zeit verlangsamt, da die Behandlungsplätze in den Spitälern nur beschränkt zur Ver­fügung standen.

Waren auch die Investoren an der Börse abgelenkt durch Corona? Wurde ein Biotech-Thema verpasst?
Da verhält es sich anders. Die jüngsten Entwicklungen haben zu einem erhöhten Interesse un­ter den Investoren geführt, was am Anstieg des Biotech-Index XBI von über 40% im vergangenen Jahr zu erkennen ist. Investitionen in neuartige Entwicklungen, die noch nicht den Proof of Concept, also eine positive Wirkung im Menschen, erreicht haben, sind normalerweise riskant und werden nur von Investoren mit hoher ­Risikofähigkeit bearbeitet.

Ihr Spezialgebiet ist die Onkologie. Was sind die ­aktuellen Trends der Branche?
Die Onkologie erlebt gerade einen gigantischen Innovationsschub, der durch verschiedene technologische Entwicklungen und wissenschaftliche Erkenntnissen ermöglicht wurde, wie etwa die günstige und schnelle Genomanalyse. Dadurch wurden bisher unbekannte molekulare Treiber des Krebses entdeckt. Zudem gab es Fortschritte in der Zell- und der Gentherapie. All das zusammen führte zu einer grossen Kapitalzufuhr in Biotech. Unterstützt wird diese Entwicklung zudem von einem günstigen regulativen Umfeld für Biotech-Innovation, vor allem in den USA.

Mit welcher Konsequenz?
Die Unternehmen können heute innovative Krebstherapien in kürzester Zeit entwickeln und teilweise selbst in den Markt einführen. Das Risiko-Erfolgs-Profil hat sich massiv in Richtung Erfolgswahrscheinlichkeit verschoben. Daher ist Biotech für frisches Kapital im Moment sehr attraktiv.

Was wird die nächste Disruption sein?
Mit der Entwicklung gezielter Medikamente für wichtige Krebswirkorte werden Therapieresis­tenzen und die hohe Toxizität für den gesamten Körper, mit der die bisherigen konventionellen Chemotherapien verbunden sind, minimiert. Zudem werden mit der Gentherapie, den soge­nannten Antibody Drug Conjugates und den Zelltherapien, um nur einige neue Ansätze zu nennen, zahlreiche neue und durchaus disruptive Methoden entwickelt.

Was sind denn genau die Treiber der neuen ­Wirkstoffklassen?
Der Medikamentenkonsum wird bis 2023 auf weltweit 4,5 Tera-Medikamentendosen zunehmen, was einem Wachstum von 3,5% im Zeitraum 2018 bis 2023 entspricht. Eine gigantische Zahl. Die Gründe liegen auf der Hand. Wir leben durchschnittlich länger, und die Weltbevölkerung wächst. In vielen aufstrebenden Ländern steigt die Kaufkraft, auch für hochpreisige innovative Medikamente. Aus diesem Wachstumssektor ist Biotech nicht mehr wegzudenken.

Warum sind Sie so sicher?
Kann die Wirkung eines experimentellen Medikaments am Wirkort im Labor nachgewiesen werden, ist ein Proof of Concept mit wenigen Patienten in einem Zeitraum von gut einem Jahr möglich. Eine solch frühe Erkenntnis, ob wirksam und tolerierbar oder nicht, resultiert nicht nur in einer enormen Beschleunigung der Entwicklung, sie ­reduziert auch den Kapitalbedarf in einer risikoreichen Entwicklungsphase. In gewissen Krebs­indikationen kann heute nach einer dreijährigen klinischen Prüfung die Marktzulassung erreicht werden. Früher waren Investitionen von mehreren hundert Millionen für langjährige klinische Versuche mit Hunderten oder Tausenden von ­Patienten notwendig, mit dem Risiko des Scheiterns am Ende des Prozesses.

Wie geht ein Venture-Capital-Investor im ­Biotech-Bereich vor?
Es braucht zwingend ein gutes Netzwerk, das den Zugang zu den Top-Biotech-Teams ermöglicht. Die wissenschaftlichen Ansätze, die von den Biotech-Unternehmen verfolgt werden, müssen im Detail verstanden werden. Und schliesslich muss ein Venture-Capital-Investor über genügend Kapital verfügen, um die vielversprechenden Unternehmen durchzufinanzieren.

Was genau ist Ihr Ansatz?
Potenzielle Investments zeichnen sich aus durch eine vielversprechende wissenschaftliche Hypothese, ein Management mit Erfahrung in der Medikamentenentwicklung und dem Aufbau einer Firma sowie ein professionelles und gleichgesinntes Investorensyndikat. Wir investieren nicht in unerfahrene Teams. Wissenschaftliche und klinische Daten analysieren wir zusammen mit unseren zehn Onkologieexperten, insbesondere prüfen wir sie auf Integrität und Plausibilität.

In welcher klinischen Entwicklungsphase eines Wirkstoffs steigen Sie ein?
Idealerweise investieren wir zu dem Zeitpunkt, wenn sich ein neuer Wirkstoff in der präklinischen oder der klinischen Phase I befindet, aber es kommt auch vor, dass wir vor Kenntnis des möglichen Wirkstoffs investieren, wenn eine ­kompetitive und vielversprechende Technologieplattform besteht. Mithilfe eines über Jahre ent­wickelten speziellen Due-Diligence-Prozesses erreichen wir eine ausserordentliche Erfolgsrate bei der Wirksamkeit der Medikamente, die unsere Unternehmen entwickeln.

Können Sie die Due Diligence etwas ­genauer ­beschreiben?
Die Krebsforschung und die Entwicklung neuer Krebsmedikamente müssen grosse Hürden nehmen. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die im Labor erforscht werden, müssen auch in der komplexen Biologie des Menschen funktionieren. Die Antizipation einer therapeutischen ­Wirkung und der möglichen Nebenwirkungen im Menschen erfordert enorme Erfahrung und Wissen. Wir arbeiten deshalb, seit wir aus­schliesslich in Onkologie investieren, mit weltweit renommierten Onkologen zusammen. Diese zehn Experten haben selbst über ein Dutzend ­innovative Krebsmedikamente mitentdeckt oder mitentwickelt und unterstützen uns bei der Auswahl von Unternehmen.

Wie viele Unternehmen prüfen Sie im Jahr?
Pro Jahr etwa 150 nur im Bereich neuer Krebs­therapien. Wir investieren durchschnittlich in sechs bis acht Unternehmen pro Jahr.

Wie viele Finanzierungsrunden gehen ­Sie in der ­Regel mit?
Dies ist unterschiedlich, üblicherweise bleiben wir zwei bis fünf Jahre investiert, mit einer bis zwei Finanzierungsrunden. Die Dauer von einem Investment zum Exit durch einen Verkauf oder einen Börsengang hat sich bei den ­Top-Unternehmen in den vergangenen Jahren deutlich verkürzt. Es gibt ­sogar Gesellschaften, die innerhalb von Monaten nach einer Finanzierung an die Börse gehen.

Was bedeutet das für die Wertentwicklung?
Zum Investitionszeitpunkt liegen die Bewertungen der Unternehmen in einem niedrigen zweistelligen bis niedrigen dreistelligen Millionen­bereich, abhängig vom Entwicklungsstadium, von der Qualität der Gesellschaft und des Teams sowie vom Investoreninteresse. Der Verkauf einer erfolgreichen Gesellschaft liegt häufiger im einstelligen Milliardenbereich.

Was bleibt auf Ihrer Seite übrig?
Grundsätzlich machen wir zur Performance keine Aussagen, sie schlägt den Biotech Index über die vergangenen fünf Jahre jedoch um einiges.

Wie unterscheidet sich Ihre Arbeit von der eines Biotech-Analysten?
Im Gegensatz zu Analysten formen wir eine Art Partnerschaft mit unseren Unternehmen. Wir sind zwar nicht operativ tätig, begleiten die Gesellschaften aber in strategischen und wissenschaftlichen Fragen und helfen, das Team und die Entwicklungsstrategie auf- oder auszubauen, bei den meisten Investments als Mitglied des Verwaltungsrats. Neben den analytischen Fähigkeiten brauchen wir also auch unternehmerische Qualitäten, um Wert zu kreieren. Ein weiterer Unterschied besteht bei der direkten Verantwortlichkeit über Profit und Verlust gegenüber den Investoren.

Es fliesst sehr viel Geld in die noch jungen ­Unternehmen, ist das ein Risiko?
Wenn zu viel Kapital auf eine beschränkte Anzahl qualitativ hochstehender Anlagemöglichkeiten trifft, steigen die Preise. Wir sehen eine gewisse Entwicklung in diese Richtung. Trotzdem können wir nach wie vor zu attraktiven Konditionen in privat gehaltene Biotech-Unternehmen in frühem Stadium investieren, weshalb wir nur bedingt vom momentanen Umfeld betroffen sind. Auch bei den heutigen Marktverhältnissen generieren der Proof of Concept eines neuen Medikaments und seine Marktzulassung letztlich eine überzeugende Wertentwicklung. Gesellschaften, denen dies gelingt und die daher signifikantes Wachstumspotenzial aufweisen, werden von künftigen Börseneinbrüchen weniger betroffen sein.

Das heisst auch, ein Profi erkennt sehr schnell, ob ein Unternehmen Substanz hat?
Mit Erfahrung und Wissen kann man bereits früh eine Triage vornehmen. Das schützt auch bei Übertreibungen. Als beispielsweise eine neue vielversprechende Entwicklung im Bereich der Immunoonkologie passierte, warben plötzlich viele Unternehmen, die eigentlich mit einer anderen Technologie unterwegs waren, Kapital für Immunoonkologieprogramme ein. Es ist keine Überraschung, dass die Erfolgsrate sehr dünn war.

Ein Grossteil Ihrer Investments ist in den USA ­domiziliert. Warum, und wo sind die Unterschiede zwischen Biotech in den USA und Europa?
Unsere drei Hauptinvestitionskriterien sind eine schlüssige wissenschaftliche Hypothese mit soliden Datensätzen, ein unternehmerisches und ­erfahrenes Management sowie ein professionelles Investorensyndikat mit gleichgeschalteten ­Interessen. Die Kriterien treffen wir wesentlich häufiger in den USA an.

In der Schweiz auch nicht?
Die USA, mit über fünfzig Jahren erfolgreicher Erfahrung in Biotech und Venture Capital, haben ein Ökosystem geschaffen, das Unternehmer, Wissenschaftler und Investoren anzieht. Die Schweiz und Europa haben sich mit einer Fülle von Regulierungen keinen Dienst getan. Für viele Europäer mit einer Vision und entsprechender Risikobereitschaft bieten die USA den idealen Nährboden für eine rasche und ungehemmte Umsetzung.

Für wen sind Venture-Capital-Anlagen in ­Bereich Biotech geeignet?
Grundsätzlich sind VC-Investitionen für jede Vermögensstruktur geeignet, wenn ein genügend langer Anlagehorizont, idealerweise über drei konsekutive Fonds des Managers, besteht. Unsere institutionellen Investoren kommen hauptsächlich aus den USA, Asien und der Schweiz. Aus den USA sind es Pensionskassen, beispielsweise eines grossen Spitalverbunds, Endowments von Universitäten, Multi Family Offices und grosse Family ­Offices, und aus Asien sind ein Staatsfonds und eine staatliche Pensionskasse sowie grosse Family Offices bei uns investiert.

Woher kommt das Interesse aus diesen ­beiden ­Regionen?
Investoren aus dem asiatischen Raum haben ­Vertrauen in Technologie und deren Einfluss in der Zukunft. Biotech gehört dazu. Die Investoren in den USA sind schon lange mit dem Thema ­Healthcare vertraut und sind sich des enormen Biotech-Wachstumsmarktes bewusst. 60% aller neuen Medikamente werden heute schon durch Biotech-Unternehmen entwickelt.

Die Schweizer Anleger trauen sich nicht?
Doch, schon. In der Schweiz gehören vor allem Family Offices und Privatpersonen zum Kreis unserer Investoren.

Sehen Sie bei den institutionellen Anlegern in der Schweiz Nachholbedarf?
Eine generelle Zurückhaltung gegenüber Venture Capital geht vermutlich auf die ersten, misslun­genen Gehversuche von VC um die Jahrtausendwende zurück. Heute hat sich VC etabliert und ist aus einem grösseren professionellen Anlageportfolio nicht mehr wegzudenken. Biotech hat sich von einem Hochrisikosektor zu einem überdurchschnittlich profitablen, nachhaltig stark wachsenden Industriesektor entwickelt.

Macht es Sinn für Pensionskassen, mit Blick auf ­Biotech eigenes Wissen aufzubauen?
Biotech ist ein hoch spezialisiertes Gebiet und verlangt entsprechendes Fachwissen sowie ein Netzwerk, ohne das Direktinvestitionen grundsätzlich ausgeschlossen werden sollten. Fachwissen und den Zugang zu den Top-Firmen können Fondsmanager bieten. Für Pensionskassen ist es deshalb wichtig, die erfolgreichen Fondsmanager zu identifizieren. Dieser Due-Diligence-Prozess, mit dem Track Record, Reputation im Markt, Teamkompetenzen und so weiter geprüft werden, ist üblicherweise eine ihrer Kernkompetenzen. Zudem spielt bei Technologieentwicklungen der Investitionszyklus eine ausschlaggebende Rolle. In der Krebstherapie hat sich das ­Investitionsfenster erst kürzlich aufgetan. Biotech hat dabei eine rasch steigende Relevanz. Die Covid-19-Pandemie hat diesen Trend noch einmal verstärkt.

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