Produktionsausfälle geben dem Ölpreis derzeit Auftrieb. Doch ob sich der Markt mittelfristig auf diesem Niveau stabilisiert, ist fragwürdig.
Der Ölpreis hat sich etwas erholt. Vergangenen Freitag kostete ein Fass der Nordseesorte Brent (Brent 55.886 1.12%) erstmals seit mehr als einem Monat wieder mehr als 55 $. Ist diese Erholung dauerhaft oder nur von kurzfristigen Faktoren getrieben? Die Einschätzungen gehen auseinander.
Kurzfristig geben hohe unerwartete Produktionsausfälle dem Preis Auftrieb. Neben Kanada meldet auch Libyen Probleme bei der Förderung. Auf dem grössten Ölfeld des Landes, Sharara, musste die Produktion erneut unterbrochen werden, nachdem eine Pipeline blockiert worden war, schreiben die Analysten der Commerzbank (CBK 8.34 0.58%). Bereits vor wenigen Wochen war es in Sharara zu einem Ausfall gekommen.
Schlechte Stimmung am Markt
Doch die Stimmung am Markt ist schlecht. Der rekordhohe Öllagerbestand in den USA schickte den Preis Anfang März auf Talfahrt. Er weckte Zweifel, ob das weltweite Überangebot im laufenden Jahr tatsächlich abgebaut werden kann – unabhängig von der Förderkürzung der Organisation erdölexportierender Länder (Opec).
Die US-Förderung war im vierten Quartal 2016 schneller gewachsen, als zuvor erwartet worden war, und schränkte die Preismacht der Opec ein. Denn die Ölunternehmen profitieren vom höheren Preis und steigern ihre Produktion wöchentlich. Bereits sind wieder mehr als 600 Bohrstellen (Rigs) in Betrieb, fast doppelt so viele wie im vergangenen Sommer.
Daran hat sich nichts geändert. In den USA dürfte das Fördervolumen in den kommenden Monaten weiter steigen. Die amerikanische Energiebehörde EIA erwartet, dass spätestens 2018 das bisherige Allzeithöchst von 1970 von täglich 9,6 Mio. Fass übertroffen wird. Die Produktion wächst derzeit schneller als in bisherigen Zyklen, wie Barclays (BARC 216.15 0.42%) in einem Vergleich der letzten drei deutlichen Produktionsanstiege zeigt.
Korrektur nur temporär?
Dennoch gehen gerade die Analysten der britischen Grossbank davon aus, dass sich der Markt bald ausgleichen wird. Die Korrektur im März sei nur temporär und sei auf zu hohe Erwartungen in Bezug auf die Wirkung der Opec-Kürzung zurückzuführen. Für 2017 rechnen sie mit einem täglichen Unterangebot von 0,4 Mio. Fass. Damit würde der Bestand deutlich sinken und sich der Preis auf dem jetzigen Niveau stabilisieren.
Pessimistischer im Hinblick auf den Lagerabbau ist Ole Hansen, Rohstoffexperte bei der Saxo Bank. Am Ölmarkt sei der Realismus eingekehrt, nachdem Wachstumserwartungen nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten und Spekulationen um ein Ende der Ölschwemme wegen der Opec-Massnahmen Ende 2016 zu einem übermässigen Preisanstieg geführt hätten.
Produktionskürzung reicht nicht
Die Anleger hätten realisiert, dass die Produktionskürzung der Opec nicht reicht, um den Markt im ersten Halbjahr zu stabilisieren. Um ein Gleichgewicht zu erreichen, wäre eine Verlängerung der nationalen Quoten notwendig. Doch die Stimmung in der Organisation ist getrübt. Saudi-Arabien ist mit der Umsetzung der Massnahmen durch den Irak und Russland unzufrieden. Das könnte eine neuerliche Einigung und das Marktgleichgewicht gefährden. Hansen hält einen Preisrückgang bis auf 45 $ je Fass in den kommenden Monaten für möglich.
Commerzbank dagegen hält eine Weiterführung der Vereinbarung zwar dennoch für wahrscheinlich. Denn die Organisation hat ihr Ziel angesichts des bestehenden Überangebots noch nicht erreicht. Nach Aussagen des saudischen Energieministers Khalid al-Falih wird die Opec aber nicht vor ihrem Jahrestreffen Ende Mai ernsthaft über die Weiterführung der Massnahmen diskutieren. Demgegenüber steigt die Produktion in den USA weiter. Beides verhindert eine nachhaltige Verbesserung der Stimmung am Markt.
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