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17:37 Uhr - 31.07.2014

Drohende Abschottung Russlands

Die direkten Auswirkungen der Ukrainekrise halten sich für Europa in Grenzen. Am stärksten belastet die Unsicherheit.

Lesen Sie hier mehrLesen Sie hier mehr zu den Saktionen gegen Russland.Weniger als 3% der Exporte aus der Europäischen Union gehen nach Russland. In Westeuropa ist Deutschland mit einem Exportanteil von 3,3% am stärksten mit dem östlichen Nachbarn der EU verbunden. Bis die Sanktionen gegen Russland allerdings auch die Konjunktur in Deutschland merkbar belasten, braucht es einiges.

zoomUm das deutsche Bruttoinlandprodukt um 0,5% zu drücken, müssten die Exporte nach Russland um 30% fallen, zeigen Schätzungen der Deutschen Bank. Doch die Ausfuhrzahlen in vielen europäischen Ländern sinken schon fast in solch dramatischen Grössenordnungen: Im Mai diesen Jahres sind die deutschen Exporte bereits um mehr als 13% im Vergleich zum Vorjahr gefallen.

Schweizer Unternehmen haben im zweiten Quartal gut 17% weniger als im Vorjahreszeitraum nach Russland ausgeführt. Im Mai waren es gut 9% weniger als im Vorjahresmonat. Doch im Gegensatz zu Deutschland gingen nur 1,6% der Schweizer Exporte nach Russland.

Lesen Sie hier mehrLesen Sie hier mehr zu den Auswirkungen der Sanktionen auf die internationalen Aktienmärkte.Bei der Anfälligkeit der Exporte ist es kein Wunder, dass manche europäischen – besonders der deutsche – Aktienmärkte auf die Sanktionen gegen russische Staatsbetriebe und Banken nervös reagieren. Die russische Börse zeigt sich dagegen kurzfristig robust (vgl. Artikel rechts).

Neben Handelsbeschränkungen sehen Analysten der Royal Bank of Scotland zwei weitere Wege, wie Europa negativ betroffen sein könnte: durch das Finanzsystem und die Energieabhängigkeit. Deutsche Bank (DBK 25.6 -2.99%) sieht Banken in Gefahr, da Russland auf Sanktionen mit der Konfiskation von Vermögenswerten antworten könnte. Dazu könnte die Krise die Kreditwürdigkeit von Schuldnern belasten.

Indirekte Folgen für Banken

Im Verhältnis zum Finanzsystem sind nach Zahlen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich die österreichischen Banken am stärksten mit Russland verknüpft. 1,4% der Bankaktiva waren 2012 Forderungen gegenüber russischen Schuldnern.

Am meisten ist dort die Raiffeisen Bank International (RBI 20.59 -1.95%) betroffen – über 12% ihrer Forderungen stammen aus Russland. Daneben gelten UniCredit, Société Générale, OTP Bank und Nordea als die europäischen Grossbanken, die am engsten mit dem russischen Markt verknüpft sind. Absolut gesehen sind Frankreichs Banken die grössten Gläubiger für russische Schuldner: Über 50 Mrd. $ ausstehender Forderungen aus Russland standen in den Büchern der französischen Geldhäuser.

Daraus kann man jedoch nichts über die indirekten Folgen der Sanktionen gegen russische Banken ablesen. Es bleibt unklar wie viel Profit den westlichen Finanzinstituten entgeht, wenn sie nicht mehr mit den Geldhäusern in Russland Geschäfte machen dürfen.

Die EU-Kommission geht davon aus, dass die Sanktionen 0,3% des BIP der EU (40 Mrd. €) in diesem Jahr und 0,4% (50 Mrd. €) im nächsten Jahr kosten werden. Die südeuropäischen Länder sollen wegen der wirtschaftlichen Auswirkungen schon gefordert haben, dass die Einhaltung ihrer Schuldengrenzen gelockert wird.
Das russische BIP wird nach EU-Schätzungen um 1,5% tiefer ausfallen – ein wirtschaftlicher Schaden von 23 Mrd. €. Im nächsten Jahr sollen es gar 4,8% der russischen Wirtschaftsleistung (75 Mrd. €) sein. Dabei könnte damit erst der Anfang einer Sanktionsspirale gelegt werden.

Vertrauen ist bedroht

Die Gas- und Öllieferungen nach Europa sind Russlands ultimative Waffe. Rund ein Drittel des Gasbedarfs und über 20% der Ölimporte der EU werden aus Russland gedeckt. So kündigte die russische Regierung am Mittwoch an, die «Sanktionsorgie» werde zu höheren Energiepreisen führen. Mit der ultimativen ökonomischen Waffe – einer Einschränkung der für manche Länder überlebenswichtigen Gasexporte – wurde bisher nicht gedroht. Aber die Banken aus der EU müssten mit negativen Folgen rechnen.

Über das «katastrophale» Szenario fehlender Gaslieferungen will Deutsche Bank nicht nachdenken. Sie ist eher um den indirekten Effekt der Krise auf das wirtschaftliche Vertrauen besorgt. Die Lage schaffe eine diffuse Unsicherheit in Europa, die der langsamen Konjunkturerholung auf dem Kontinent entgegensteht.

Trotz der Konfliktgefahren ist der Indikator für die wirtschaftliche Stimmung der EU-Kommission für Juli – entgegen den Erwartungen – gestiegen. Peter Vanden Houte, ING-Chefökonom Eurozone, warnt vor übermässiger Zuversicht: «Die Verbesserung geht auf den industriellen Sektor zurück, der wohl am verletzlichsten auf Sanktionen reagiert.» Daher könne die Ukrainekrise der entscheidende Faktor sein, der die Erholung von Europas Volkswirtschaften zu einem Ende bringt.

Kein baldiges Ende in Sicht

Die Analysten der RBS erwarten, dass die Situation angespannt bleibt, solange es keine politische Lösung gibt. Ein baldiges Ende der Krise sei daher unwahrscheinlich. Der Rat: Investoren sollten sich aus österreichischen Banken und osteuropäische Anlagen zurückziehen.

Dass Russland wegen den Sanktionen einknickt, erscheint für die meisten Beobachter unwahrscheinlich. Doch die Analysten von ING hoffen, dass die russische Diplomatie zwischen der Geopolitik und den ökonomischen Langzeitfolgen der Sanktionen abwägt und die Situation nicht weiter eskalieren lässt. Doch mehr als Hoffnung ist es nicht – besonders da Präsident Wladimir Putins Rückhalt in der Bevölkerung durch den Druck von aussen noch wachsen könnte.

Die Gefahr einer Abschottung Russlands und eines neuen, auf wirtschaftlichem Gebiet ausgetragenen Kalten Kriegs kommt näher. Statistiken mit Exportabhängigkeiten und Verbindungen zwischen den Finanzwesen können die möglichen Auswirkungen solch eines Extremszenarios nicht vermitteln. Jede neue Sanktionsdrohung des Westens macht solch ein Szenario wahrscheinlicher.

Russland wird versuchen die Sanktionen zu umgehen – etwa durch einen finanziellen Schulterschluss mit China und anderen Schwellenländern. Was dies für Europa und die gesamte Weltwirtschaft heisst, kann noch niemand beantworten.

 

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