Durch den Milliardengewinn der Nationalbank hat sich das KGV des SPI halbiert. Das wirft Fragen auf über die Qualität der Bewertungskennzahlen von Indizes.
Schweizer Aktien seien mittlerweile teuer, hört man in Fachkreisen. Doch seit Anfang Jahr hat sich die Bewertung halbiert. Zu diesem Schluss kommt, wer das von Bloomberg ausgewiesene Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) des Swiss Performance Index (SPI (SXGE 8836.42 1.08%)) als Bewertungsmass herbeizieht. Es beträgt rund 14, fast halb so viel wie Anfang Jahr. Doch etwas daran ist faul: Denn beim SMI (SMI 8089.91 1.12%) ist das KGV mit 28,5 doppelt so hoch, obwohl die Unterschiede in der Gewichtung der beiden Indizes nicht so gross sind. Die zwanzig Blue Chips des SMI machen zusammen über 80% des SPI aus. Wie ist es möglich, dass das übrige Fünftel die Bewertung auf den Kopf stellt?
Diese Frage stellt sich auch Antonio Zinnà. Er ist Leiter Vermögensanlagen der Gebäuderversicherung des Kantons St. Gallen. Ihm fiel auf, dass das von ihm verwaltete Schweizer Value-Portfolio gleich hoch bewertet war wie der Gesamtmarkt gemessen am SPI. «Ich war verdutzt, zumal das KGV des SMI etwa doppelt so hoch war.» Zinnà fragte bei Bloomberg nach und bekam zur Antwort, dass dies an der Nationalbank-Aktie liege. «Ich konnte es kaum fassen, ihr Gewicht ist ja so klein.» Mit einer Marktkapitalisierung von 196 Mio. Fr. kommt die Aktie der SNB (SNBN 1939 -1.72%) im SPI auf ein Gewicht von 0,014%, vergleichbar mit IVF Hartmann (VBSN 202.9 -0.05%) oder Lifewatch.
Grösserer Einfluss als Nestlé
Zur Berechnung des KGV stützt sich Bloomberg auf den Gewinn der letzten zwölf Monate, der bei der SNB 48 Mrd. oder 481 000 Fr. pro Aktie betrug. Das KGV geht daher gegen 0. Man würde vermuten, dass dies wegen des geringen Gewichts für die Berechnung des Index-KGV nicht viel ausmacht. Doch Bloomberg teilt zur Berechnung des Index-KGV die gewichtete Summe der Gewinne aller SPI-Unternehmen durch die Marktkapitalisierung. Das hat den Vorteil, dass auch Aktien von Unternehmen, die Verlust machen, berücksichtigt werden. Der Verlust wird einfach vom Gesamtkuchen abgezogen. Würde Bloomberg die einzelnen KGV aufaggregieren, würden Verlust-Aktien zum Problem. Denn ihr KGV ist negativ und ohne Aussagekraft.
Doch im Fall des SPI stösst die Berechnungsmethode an Grenzen. Obwohl der SNB-Gewinn pro Aktie nur mit einem Gewicht von 0,014% einfliesst, ist sein Beitrag immer noch viel grösser als jener von Nestlé (NESN 75.3 1.21%), deren Gewinn pro Aktie auf 2.80 Fr. veranschlagt wird. 481 000 mal 0,014% ergibt 66 Fr., 2,8 mal das Nestlé-Gewicht von 20% sind 0.54 Fr. Letztes Jahr, als die SNB einen Verlust von 23 Mrd. vorwies, stieg das KGV des SPI auf über 30. Die Zwischenergebnisse vom März und Juni liessen die Bewertung absacken.
«Die SNB-Aktie gehört eigentlich nicht in den Index», findet Zinnà. Kein privatwirtschaftliches Unternehmen, das einen Reingewinn von 50 Mrd. erziele, würde zu einer Marktkapitalisierung von 200 Mio. bewertet. Die SNB-Aktie ist tatsächlich ein Sonderfall. Die Nationalbank ist keine normale AG. Sie ist nicht primär gewinnorientiert, sondern ist dazu verpflichtet, das von der Politik beauftragte Mandat zu erfüllen. Ihr Ergebnis hängt von der Auf- und Abwertung des Reservenportfolios ab, das durch die Intervention am Devisenmarkt entstanden ist.
Wäre es nicht Aufgabe der Schweizer Börse SIX, der Anbieterin des Index, die SNB-Aktien vom SPI auszuschliessen? Die Börse verweist auf das Reglement, in dem die Kriterien zur Aufnahme im SPI genau beschrieben sind. Demgemäss hat der SPI zum Ziel, die Entwicklung des gesamten schweizerischen Aktienmarkts abzubilden und umfasst alle Aktien, die an der SIX erstkotiert sind. Ausgeschlossen sind Investmentgesellschaften, um Doppelzählungen zu verhindern, und illiquide Titel mit weniger als 20% frei handelbarem Anteil. Die SNB-Aktie erfüllt alle Kriterien. Ein solch regelbasiertes Vorgehen ist sinnvoll, denn es verhindert langwierige Diskussionen. Auch ist die SIX nicht dafür verantwortlich, wie andere für ihre Indizes KGV berechnen und interpretieren.
Quer-Check ist ein Muss
Ein besseres Bewertungsmass ist das sogenannte Forward KGV, das auf dem geschätzten Gewinn der nächsten zwölf Monate basiert. Weil für die SNB keine Analystenschätzungen verfügbar sind, fliesst deren Ergebnis laut Bloomberg nicht in die Berechnung des Forward KGV ein.
Unverzerrt sind auch die KGV für den SMI, den MSCI Switzerland und den Index von Thomson Reuters. Sämtliche Werte liegen derzeit über 25 und bestätigen, das der Gesamtmarkt hoch bewertet ist. Die wichtigste Lehre aus dem Fall SNB ist aber: Anleger sollten sich nie nur auf eine Bewertungskennzahl verlassen.
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