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12:22 Uhr - 29.03.2022

Straumann-CEO: «Unsere Leistungskultur ist schwer zu kopieren»

Guillaume Daniellot, Chef des Dentalunternehmens, sieht Straumann im Vorteil. An Wachstumspotenzial mangle es nicht.

Er hat als CEO von Straumann nie «normale» Zeiten erlebt. Zwei Monate nach dem Amtsantritt von Guillaume Daniellot Anfang 2020 begann die Coronapandemie. Nun könnten der Krieg in der Ukraine, Inflation und eine Rezession den Geschäftsgang bremsen. Der Franzose betont aber: «Unser Anspruch ist, langfristig ein prozentual zweistelligen Wachstum zu liefern.»

Herr Daniellot, seit Ihrem Amtsantritt folgt eine Krise der anderen. Lässt sich in einem solch instabilen Umfeld eine langfristige Strategie umsetzen?
Ja, ein klares Ziel vor Augen zu haben, eine Art Nordstern, ist in solchen Zeiten umso wichtiger. Gleichzeitig ist eine grosse ­Anpassungsfähigkeit unerlässlich. Unsere zuvor aufgebaute Unternehmenskultur fördert Agilität, Entscheidungsfreude und Unternehmertum. Das hilft uns enorm, Krisen zu überwinden und unser Umsatzziel von 5 Mrd. Fr. bis 2030 zu erreichen.

Hat sich die Besucherfrequenz in den ­Zahnarztkliniken überall normalisiert?
Ja, teilweise war sie sogar grösser als vor der Krise, da die Menschen weniger Geld für Reisen und Restaurantbesuche ausgaben und sich mehr um ihre Mundpflege kümmerten. Ich denke, das wird sich in absehbarer Zeit nicht ändern. Schliesslich ist die Situation weltweit unterschiedlich, und es ist auch noch nicht lange her, dass die meisten Restriktionen in vielen Ländern aufgehoben wurden.

Nun kommt der Angriffskrieg von Russland gegen die Ukraine hinzu. Inwieweit ist Straumanns Geschäft betroffen?
In der Ukraine arbeiten wir mit Distributoren und versuchen, sie im Moment so gut wie möglich zu unterstützen. Der ­Umsatz in beiden Märkten zusammen macht weniger als 4% der Gesamteinnahmen aus. Aktuell haben wir alle Investitionen in Russland zurückgestellt und die Marketing- und Verkaufsaktivitäten auf ein Minimum reduziert.

Das Geschäft könnte sich aber insgesamt abschwächen. Die Inflation steigt, die ­Konsumstimmung wird getrübt, und es drohen Versorgungsschwierigkeiten.
Höhere Preise für Energie und Nahrungsmittel könnten den Patientenfluss in den Zahnarztkliniken etwas dämpfen. In der Coronakrise haben wir jedoch gesehen, dass sich Dentalimplantate als Goldstandard für den Zahnersatz etabliert haben. Zudem können wir heute schwierige Zeiten besser abfedern als während der Finanzkrise 2008 bis 2010.

«Prozentual zweistellig zu wachsen, ist keine Selbstverständlichkeit.»

China bietet das grösste Wachstumspotenzial. Straumann ist daran, für 170 Mio. Fr. einen Campus in Schanghai zu bauen – ist das nicht heikel, weil es sich ebenso um ein autokratisches Regime handelt?
Die Penetration von Zahnimplantaten im chinesischen Markt ist noch gering. Unser Ziel ist, Produkte speziell für lokale Bedürfnisse im Land herzustellen. Fortbildung wird dabei ebenfalls eine grosse Rolle spielen, um sicherzustellen, dass die Zahnärzte die Behandlungen durchführen können. Wir sind überzeugt, dass China dem Unternehmen mittel- und langfristig eine bedeutende Wachstumsopportunität bietet.

Zum Geschäftsgang. Das erste Quartal ist bald vorüber. Halten Sie an der Jahresprognose fest?
Ja, die Marktbedingungen ermöglichen immer noch ein organisches Umsatzwachstum im niedrigen zweistelligen ­Prozentbereich und eine Ebit-Marge im Bereich von 26%.

Ein Wachstum von 11% entspräche dem Durchschnitt, der nötig ist, um 5 Mrd. Fr. Umsatz bis 2030 zu erreichen. In den vergangenen drei Jahren wuchs Straumann ­jeweils 16%, von 2017 bis 2019 gar 20%. Ist die Prognose nicht zu vorsichtig?
Unser Anspruch ist, langfristig ein prozentual zweistelliges Wachstum zu liefern. Es ist im gegenwärtigen Umfeld nicht einfach, einen Ausblick zu geben. Unsere Prognose ist mit Blick auf die Unsicher­heiten, die Unternehmensgrösse und die Möglichkeit weiterer Krisen keine Selbstverständlichkeit.

«Hohe Investitionen werden den Betriebsgewinn zeitweise belasten.»

Die Vorgabe für das Jahr 2030 für die ­operative Marge lautet auf 25 bis 30%. ­Warum eine derart grosse Spannweite?
Unsere Wachstumsstrategie erfordert signifikante Investitionen in Innovation, die digitale Transformation, Produktionserweiterungen und neue Geschäfts­modelle wie das Direktgeschäft mit Konsumenten. Diese Investitionen werden den Ebit zeitweise belasten.

Aber die Annahme, dass Straumann den oberen Wert anpeilt, ist nicht falsch?
In den vergangenen Jahren hat Straumann die Ebit-Marge 0,3 Prozentpunkte pro Jahr erhöht. Aufgrund unserer Grösse sollte es uns gelingen, effizienter zu werden, mit dem Ziel, gegen Ende des Zeitraums den oberen Bereich der Prognose zu erreichen.

Straumann hat den potenziellen Markt in zehn Jahren auf 18 Mrd. Fr. verdreifacht. Gibt es noch weisse Flecken im Angebot?
Wir sind in fünf Segmenten positioniert: Zahnimplantate, transparente Zahnschienen oder Clear Aligners, digitale Lösungen, Zahnprothetik und Biomaterialien. Im Implantatgeschäft halten wir einen Marktanteil von 29%. In den anderen Bereichen sind es rund 3 bis 5%, abgesehen von Biomaterialien mit 10%. Das Wachstumspotenzial ist somit auch ohne weitere Geschäftsbereiche gross.

Clear Aligners, transparente Schienen zur Zahnkorrektur, sind mit einer Wachstumsrate von 20% das attraktivste Segment. Straumann ist 2017 mit dem Kauf von ­ClearCorrect relativ spät eingestiegen. Was ist punkto Marktanteile, Umsatz und Profitabilität seither erreicht worden?
ClearCorrect war ein kleines US-Familienunternehmen. Unterdessen decken wir die ganze Wertschöpfungskette ab und sind mit Fabriken in Europa, Lateinamerika und bald auch China präsent. Bislang bieten wir Zahnkliniken Behandlungen für einfachere Fälle an. Um Zugang zu den Spezialisten, die die Hälfte des Marktes beanspruchen, zu erhalten, entwickeln wir unsere Software immer weiter. Wir haben zwei Drittel des Weges zurückgelegt und sollten bis Ende 2022 so weit sein, dass wir alle Indikationen global abdecken.

Die Frage lautete: Marktanteile, Umsatz und Profitabilität?
Unser Anteil am 5,3-Mrd.-$-Markt beträgt weniger als 5%. Anders ausgedrückt: Der Umsatz mit Clear Aligners erreicht einen niedrigen prozentual zweistelligen Anteil der Gesamteinnahmen. Weil wir in einer Aufbauphase sind, erreicht die Profitabilität noch nicht das Niveau der Implantate. Aber das ist unser mittelfristiges Ziel.

Die Konkurrenz im Markt für Zahnschienen ist gross, mit Align Technology kämpfen Sie gegen einen Marktführer mit 70% Anteil. Was kann die Straumann Group in die Waagschale werfen?
Wir wollen die Nummer zwei im Clear-Aligners-Markt werden. Differenzieren können wir uns unter anderem mit unserem hochwertigen Material, der Digitalisierung der Arbeitsabläufe und Synergien mit dem Implantatgeschäft.

«Wir halten immer aufmerksam nach Übernahmen Ausschau.»

Im Direct-to-Consumer-Bereich hat ­Straumann DrSmile erworben. Wie wichtig ist die Nähe zum Patienten?
Im ganzen Gesundheitswesen gibt es den Trend, dass Patienten stärker als selbstverantwortliche Konsumenten handeln. Sie entscheiden mit über die Wahl des Spezialisten und die Art der Behandlung. Patienten sollen möglichst früh ­wissen, welche Palette an Produkten und Dienstleistungen Straumann offeriert.

Gerät Straumann nicht ins Gehege der ­traditionellen Kunden, der Zahnärzte?
Die Zahnärzte bleiben unverzichtbar für eine gute Behandlung. Ausserdem helfen diese neuen Geschäftsmodelle den Zahnärzten, den Patientenpool zu er­weitern und zusätzliche Behandlungen zu übernehmen.

Bislang ist DrSmile auf Europa limitiert. ­Zudem hat Straumann ein kleines ­Unternehmen in Brasilien für den süd­amerikanischen Markt übernommen. Ist nun der Eintritt in den US-Markt geplant?
Wir haben den Einstieg in Nordamerika geprüft, doch derzeit zahlt er sich nicht aus. Der intensive Wettbewerb hat zur Folge, dass die Marketinginvestitionen zur Gewinnung neuer Patienten zu hoch sind. Wir beobachten die Situation, doch kurzfristig ist kein Einstieg in die USA geplant.

Welche Rolle spielen künftig Übernahmen?
Im Implantatgeschäft haben wir verschiedene Marken und auch Distributoren übernommen, um die geografische Präsenz auszudehnen. Das werden wir weiterhin tun. Zudem sind wir immer an neuen Technologien und Softwarelösungen interessiert.

Trotz hoher Investitionen steuert Straumann auf ein «Luxusproblem» zu. Vor ­Jahresende wird sich mehr als 1 Mrd. Fr. ­Liquidität in der Bilanz angehäuft haben. Was haben Sie damit vor?
Nach Abzug der ausstehenden Obliga­tionen wäre die Liquidität halb so gross. Wie gesagt halten wir immer aufmerksam nach Übernahmemöglichkeiten Ausschau. Zudem investieren wir, um die Grundlage für langfristig prozentual zweistelliges Wachstum zu schaffen.

«Wir verstehen uns als Wachstumsunternehmen.»

Könnte Straumann nicht trotzdem die Dividende erhöhen, eine Sonderdividende auszahlen oder eigene Aktien zurückkaufen?
Straumann ist keine Dividendenaktie. Wir verstehen uns als Wachstumsunternehmen. Die finanzielle Flexibilität gibt uns den Handlungsspielraum für strategisch bedeutsame Investitionen.

Was unterscheidet Straumann wirklich von Konkurrenten?
Eine Hochleistungskultur, wie wir sie in den vergangenen acht Jahren aufgebaut haben, ist schwer zu kopieren und daher ein Wettbewerbsvorteil. Es handelt sich nicht um ein blosses Lippenbekenntnis, wir leben die Kultur jeden Tag und investieren viel Zeit und Geld in Fortbildung. Der Unternehmergeist, also der Freiraum des Einzelnen, etwas selbst zu gestalten, ist bei uns ausgeprägter als anderswo.

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