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16:29 Uhr - 27.04.2020

Europa sucht den Nord-Süd-Kompromiss in der Coronakrise

Die EU-Länder finden noch keine Grundlinien für ihren «Wiederaufbaufonds». Konkreter Mittelbedarf der Konjunkturstütze wird erst noch ausgelotet.

Die Staats- und Regierungschefs der EU-Länder suchen noch immer einen Weg, wie sie ihre Wirtschaft in der Coronakrise über die akuten Finanzhilfen hinaus unterstützen können. Ein Gipfeltreffen (via Internet-Schaltung) brachte am Donnerstag aber keine konkreten Ergebnisse. Dies deutet darauf, dass die nördlichen Länder, angeführt von Deutschland und den Niederlanden, sich noch nicht einmal in Grundsatzfragen einig sind mit Ländern wie Frankreich, Italien und Spanien.

Allerdings kamen zum Wochenende ­Signale aus Berlin, die zumindest an­deuten, wo sich die Länder auf eine Kompromisslinie einigen könnten. Bestätigt wurden allerdings die kurzfristigen Hilfsprogramme über 540 Mrd. €, auf die sich die Finanzminister bereits zuvor geeinigt hatten. Sie enthalten auch eine EU-Schuldenaufnahme in Höhe von 100 Mrd. € für die Finanzierung von Kurzarbeit.

Dazu kommt eine Garantie der Europäischen Investitionsbank über 200 Mrd. € für Unternehmensdarlehen. Zwischenstaatliche Kredite des Rettungsschirms ESM sind ebenfalls möglich in Höhe von 240 Mrd. €, die allerdings über die Finanzmärkte refinanziert werden müssten.

Auftrag an EU-Kommission

Nach dem Gipfeltreffen erklärte Charles Michel, Präsident des Europäischen Rats, dass sich die Spitzenpolitiker auf einen Erholungsfonds geeinigt hätten, der oft auch Wiederaufbaufonds genannt wird: «Wir haben daher die Kommission beauftragt, eine genaue Bedarfsanalyse vorzunehmen und einen Vorschlag vorzulegen.» Die deutsche Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach nach dem Gipfel davon, dass es dabei um Billionen und nicht um Milliarden gehen müsse.

Die Aussagen machen die wichtigsten Punkte deutlich, wo die Ländergruppen auseinander liegen: Einmal in der Summe und den konkreten Projekten, die von ­einigen mit rund 1,5 Bio. € angegeben ­werden. Dies entspricht 10% des Brutto­inlandprodukts (BIP) der EU. Unklar ist auch die Finanzierung, die über Budgetbeiträge der Länder laufen müsste und die über die Kapitalmärkte aufgestockt werden könnte. Strittig ist dabei besonders, in welcher Form die Mittel verteilt werden.

Eine gemeinsame Schuldenaufnahme wirft die Frage auf, wie weit die Länder ­zusammen füreinander haften wollen und gemäss den EU-Verträgen dürfen – Stichwort: Coronabonds. Damit müssen die Länder noch klären, ob die Finanz­mittel als Zuschüsse gewährt werden, die nicht zurückgezahlt werden müssen. Oder alternativ als zwischenstaatliche Dar­lehen, die bereits heute mit einer Refinanzierung am Kapitalmarkt über das EU-Budget oder den Euro-Rettungsschirm ESM möglich sind: aber mit beschränkter Haftung oder Garantien der Länder.

Wichtig für Länder wie Italien, Spanien und Frankreich ist, dass der Schuldenstand durch die Coronakrise nicht zu stark steigt. Sie verweisen auch darauf, dass bereits die Ausgabenkürzungen von 2010 bis 2015 ihr Wirtschaftswachstum stark gebremst hätten. So stieg die öffentliche Schuldenlast allein in Italien in diesen ­Jahren von 119 auf 135% des BIP, während sie noch vor der Finanzkrise gesunken war. Rom hatte seine konsum­tiven Ausgaben in sechs Jahren um 15 Mrd. € gesenkt, die Investitionen um 10 Mrd. € zurückgefahren. Zusammen entsprach dies 1,5% des BIP im Jahr 2015.

Die nördlichen Länder wehren sich vor allem gegen sogenannte Coronabonds, wenn sie mit einer gesamtschuldne­rischen Haftung verbunden sind. Dies würde der Idee von Eurobonds gleichkommen, ­wobei Länder wie Deutschland oder die Niederlande im Zweifel für die gesamte Summe haften müssen. Die Skeptiker in diesen Ländern lassen sich auch nicht ­damit überzeugen, dass Staatsanleihen normalerweise immer wieder durch neue Papiere verlängert werden. Somit findet praktisch nie eine Tilgung statt, weil sich die Regierungen gewöhnlich am Schuldenstand in Prozent des BIP orientieren, der in guten Zeiten sinken soll.

In diese Richtung geht auch ein Vorschlag aus Spanien, wo die Regierung am vorigen Wochenende ewige Anleihen ins Spiel gebracht hatte. Die EU-Regierungen müssten sich dabei nur noch einigen, wie sie gemeinsam für die Zinszahlungen aufkommen und ob sie dabei eigene Steuern erheben wollen. Dieser Vorschlag könnte aber mit den EU-Verträgen nicht kompatibel sein, ist aus Berlin zu hören.

Berlin kompromissbereit

Am Donnerstag sprach sich die deutsche Kanzlerin Angela Merkel im Bundestag ­erneut gegen Coronabonds aus. Die seien nicht hilfreich, weil alle nationalen Par­lamente darüber entscheiden müssten, einen Teil des Budgetrechts auf euro­päische Ebene zu verlagern, sagte Merkel. Sie betonte aber: «Wir sollten bereit sein, im Geiste der Solidarität über einen ­begrenzten Zeitraum hinweg ganz andere, das heisst deutlich höhere Beiträge zum europäischen Haushalt zu leisten.»

Der deutsche Finanzminister Olaf Scholz deutete wiederum in einem Interview mit dem «Deutschlandfunk» am Freitag an, wo eine Kompromisslinie der Bundesregierung in der Frage Zuschüsse oder Kredite liegen könnte: «Ich gehe davon aus, dass es eine Mischung aus den verschiedenen Möglichkeiten sein wird». ­Damit könnte Italien darauf hoffen, dass die Staatsschulden auch ohne Coronabonds langsamer steigen und das Land auch ­einmal ohne stützende Eingriffe der Europäischen Zentralbank frisches Geld am Kapitalmarkt bekommt.

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