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10:55 Uhr - 03.02.2015

«Der Markt hat die grossen Risiken ignoriert»

John Bogle, Gründer von Vanguard, warnt vor weiteren Erschütterungen an den Börsen und rät, sich deswegen nicht von Emotionen mitreissen zu lassen.

Er hat die Investmentbranche revolutioniert: John Bogle, Gründer von Vanguard, brachte 1975 in den USA den ersten Indexfonds auf den Markt und hat damit eine Massenbewegung gestartet. Heute ist Vanguard mit mehr als 3000 Mrd. $ an Kundengeldern das grösste Fondshaus der Welt. Der Hauptfonds, der den US-Leitindex S&P 500 nachbildet, wird selbst von Warren Buffett empfohlen. «Indexbasiertes Anlegen verändert die Welt», sagt Bogle und rät Investoren, trotz der zunehmenden Turbulenzen an den Börsen einen kühlen Kopf zu bewahren. Der 85-Jährige warnt vor einem plötzlichen Stimmungswechsel und schliesst einen grösseren Kursrückschlag nicht aus. Dennoch sieht er auf lange Frist keine echte Alternative zu Aktien.

Zur PersonJohn «Jack» Bogle ist einer der grössten Verfechter der Interessen von Kleinanlegern. Er ist überzeugt, dass sich der Markt mit dem Auswählen von Einzeltiteln auf lange Sicht nicht schlagen lässt. Viel wichtiger sind seiner Meinung nach die Kosten eines Portfolios. Deshalb hat er 1975 einen indexbasierten Fonds für ein breites Publikum entwickelt. Heute wird fast ein Drittel der globalen Vermögenswerte in passiven Instrumenten wie Indexfonds oder ETF angelegt. Der Gründer von Vanguard hat sich 1999 aus der aktiven Leitung zurückgezogen. Er konzentriert sich auf Forschungen zu den Finanzmärkten. Auch hat er als erfolgreicher Autor diverse Investmentbücher veröffentlicht.

Herr Bogle, die Nerven vieler Investoren sind angespannt. Wie geht es an den Börsen nun weiter?
Wir leben in einer fragilen Welt mit grossen Risiken. Was sich an den Märkten abspielt, verfolge ich daher mit leichter Beunruhigung. An den amerikanischen Börsen überwog zuletzt die Zuversicht. Wie sich nun einmal mehr zeigt, kann die Stimmung aber plötzlich und ohne offensichtlichen Grund drehen. Fundamental ist die Ausgangslage heute ja kaum wesentlich anders als Ende Dezember, als der S&P 500 ein Rekordhoch markierte.

Worin liegt das grösste Risiko?
Ernstzunehmende Gefahren gibt es im Finanzsystem, in der Wirtschaft oder mit Blick auf einen Krieg, speziell im Nahen Osten. Das alles sind grosse Risiken, die der Markt seit Jahren ignoriert hat. Wer einen Kursrückschlag von 25 oder 30% nicht verkraften kann, sollte sich aber ohnehin nicht in Aktien engagieren. Ob wir tatsächlich am Anfang einer solchen Korrektur stehen, entzieht sich meiner Kenntnis. Möglich wäre das aber durchaus.

Wie sollen sich Investoren in einer solchen Situation verhalten?
Seit Beginn meiner Karriere rate ich Anlegern, nicht auf temporäre Schwankungen zu achten. Wer seinem Kurs treu bleibt und weiter investiert, profitiert sogar von einer Baisse. Denn bei sinkenden Preisen kann man mit dem gleichen Geld mehr Aktien kaufen. Im Alltag liebt es jeder, wenn das Steak im Restaurant günstiger wird. Warum soll das beim Investieren anders sein? Umso wichtiger ist, sich nicht von Emotionen mitreissen zu lassen.

Für Nervosität sorgen speziell die Verwerfungen an den Devisenmärkten und massive Eingriffe der Zentralbanken. Was halten Sie vom Stimulusprogramm der EZB?
Damit wurde viel zu lange gewartet. Ein solches Programm hätte es bereits zu Beginn der europäischen Schuldenkrise gebraucht. Die europäische Gemeinschaft war mit Sparmassnahmen zu streng und mit der Lockerung der Geldpolitik zu wenig energisch.

Genau in die andere Richtung geht der Trend in den USA, wo das Federal Reserve eine Zinserhöhung plant und der Dollar dadurch kräftig Auftrieb verspürt.
Der harte Dollar belastet nicht nur die amerikanische Exportindustrie. Er benachteiligt auch die globalen Aktienmärkte, denn mit dem festeren Dollar müssen die Kurse im Rest der Welt noch mehr steigen, um mit den US-Börsen mithalten zu können. Der Auftrieb des Dollars wird aber nicht ewig anhalten. Bemerkenswert ist, dass er sich zum Euro nun fast exakt auf dem gleichen Niveau bewegt, als die europäische Gemeinschaftswährung 1999 eingeführt wurde. All die Fluktuationen haben sich also mit der Zeit ausgeglichen, wie das bei allem zu erwarten ist, was mit Märkten zu tun hat.

Und wie werden die Märkte reagieren, wenn das Fed an der Zinsschraube dreht?
Investoren und vor allem Spekulanten am Bondmarkt werden in Schwierigkeiten geraten. Die Renditen an den Anleihenmärkten sind zuletzt zwar sogar weiter gesunken. Früher oder später werden sie aber anziehen. Zehnjährige Treasuries etwa rentieren derzeit weniger als 2%. Bei einer erwarteten Inflation von 1,8% bleibt real somit kaum etwas übrig. Das kann nicht für immer so weitergehen. Hier in den USA und überall auf der Welt hungern Investoren nach Rendite. Die Tiefzinspolitik der Zentralbanken mag zwar gut für Unternehmen und die Wirtschaft sein, sie ist aber fürchterlich für Sparer.

Worin besteht für Sie der Unterschied zwischen Investoren und Spekulanten?
Keynes hat es gut auf den Punkt gebracht: Eine Spekulation ist eine Wette darauf, was andere über ein bestimmtes Investment denken. Bei einem Investment hingegen geht es darum, vom Wachstum des Gewinns eines Unternehmens langfristig zu profitieren. Entscheidend ist also der innere Wert einer Aktie und nicht ihr Marktpreis. Im Prinzip ist die Börse damit nichts anderes als eine gigantische Ablenkung bei der Arbeit des Investierens.

Warum?
Der Aktienmarkt ist ein Ort für Spezialisten. Man sollte ihn nur aufsuchen, um sich ein Portfolio zusammenzustellen. Hat man seinen Einsatz aber einmal platziert, dann heisst es, nichts wie raus aus dem Kasino! Jede wissenschaftliche Studie zeigt, dass der Handel mit Wertschriften für Anleger kostspielig ist. Je mehr man handelt, desto geringer ist am Schluss die Rendite. Das ist simple Mathematik.

Auf Trab hält Anleger auch der Crash am Ölmarkt. Was hat er für Konsequenzen?
Ich begrenze meine Investments auf Aktien und Bonds. Engagements in Rohstoffen und anderen alternativen Anlagen meide ich, weil sie grossen Schaden im Portfolio anrichten können. Erstaunlich ist, dass kein Experte diesen unglaublichen Preissturz kommen sah. Auch verhalten sich die Märkte sehr zwiespältig. Als der Ölpreis von 115 auf 50 $ pro Fass fiel, hiess es zunächst, das sei ein enormer Vorteil für die Konsumenten und gut für die Börse. Doch jetzt, wo der Preis so weit unten liegt, ist das plötzlich schlecht.

Was ist der Grund für den Zwiespalt?
Den Förderländern macht der Schock schwer zu schaffen, und dort befindet sich ein grosser Teil des Weltvermögens. Aus diesem Blickwinkel ist der Kollaps des Ölpreises nicht gut für die Börse.

Seit 2011 hat der US-Aktienmarkt nie mehr als 10% korrigiert. Da fragt es sich, ob es nicht Zeit für eine Bereinigung ist.
Auf Basis der letzten zwölf Monate beträgt das Kurs-Gewinn-Verhältnis für den S&P 500 derzeit rund 20. Der historische Durchschnitt bewegt sich dagegen um 14 bis 15. Niemand kann also behaupten, amerikanische Aktien seien günstig. Sie sind aber auch nicht extrem überteuert wie etwa während der IT-Blase, als sich das Verhältnis auf 35 bis 40 belief.

In anderen Ländern sind die Börsen aber günstiger bewertet.
Vertraut man auf das Kurs-Gewinn-Verhältnis als Bewertungsinstrument, dann mögen Engagements ausserhalb der USA und speziell in den aufstrebenden Märkten zwar als attraktive Wette erscheinen. In der tieferen Bewertung spiegelt sich aber auch ein höheres Risiko, zumal der Ausblick für die Weltwirtschaft trüb ist. Amerika hat sich im stürmischen Konjunkturumfeld der letzten Jahre weit besser geschlagen als die meisten Industrienationen. Mit Ausnahme der Schweiz hat sich das Bruttoinlandeinkommen in keinem anderen Land so gut erholt wie in den USA. Auch gibt es keine andere Wirtschaft, die so breit diversifiziert, so robust und so innovativ ist.

Was können Investoren somit langfristig von US-Aktien erwarten?
Die durchschnittliche Dividendenrendite beträgt derzeit rund 2%. Hinzu kommt das Wachstum der Unternehmensgewinne, das – vorsichtig geschätzt – über die nächsten zehn Jahre jeweils rund 5% betragen dürfte. Daraus resultiert eine Investmentrendite von 7%. Zieht man davon einen Prozentpunkt ab, weil die Bewertungen bereits stattlich sind und über die nächsten zehn Jahre wohl etwas zurückkommen werden, bleiben unter dem Strich 6% pro Jahr. Das liegt zwar unter der historischen Norm von 9%. Die Frage ist aber, was denn die Alternativen sind.

Welche Alternativen gibt es?
Man kann zum Beispiel überhaupt nicht investieren. Das Problem ist dann aber, dass kein Geld mehr da ist, wenn man in Rente geht, weil die Inflation alles wegfrisst. Natürlich ist Investieren immer mit Risiken verbunden. Ich kenne jedoch keine bessere Lösung als ein solides Portfolio aus Aktien und Anleihen. Entscheidend ist dabei, dass die Gewichtung den altersbedingten Bedürfnissen entspricht. War das im Dezember der Fall, so hat sich daran seither wohl kaum etwas geändert. Am besten ist daher, den Kurs zu halten und nichts zu überstürzen.

Nach den kräftigen Avancen der letzten Jahre könnte es sich jedoch auch lohnen, zumindest vorübergehend einen Teil der Chips vom Tisch zu nehmen.
Dann muss man aber auch wissen, wann der richtige Zeitpunkt zum Wiedereinstieg kommt. Es ist ein Entscheid mit zwei Stufen: Die Chance, den richtigen Moment zum Ausstieg zu erwischen, beträgt 1:2. Versucht man dann, sich wieder rechtzeitig zu engagieren, müsste man zum zweiten Mal richtigliegen, das ist ein Verhältnis von 1:4. Nicht vom Kurs abzuweichen, ist deshalb das einzige rationale Verhalten.

Erlauben Sie zum Schluss noch eine persönliche Frage: Trotz sechs Herzinfarkten und einer Herztransplantation hält Sie nichts von Ihrer Arbeit ab. Was erwarten Sie vom Leben?
Ich will das Leben in vollen Zügen geniessen bis zum Tag, an dem ich sterbe. Ich will eine Stimme der Reform sein, speziell was unser Finanzsystem betrifft, denn dort habe ich am meisten zu sagen. Meinen ersten Herzinfarkt erlitt ich bereits vor 55 Jahren. Seither habe ich derart viele Dinge überlebt, dass man sich das gar nicht vorstellen kann. Mein Motto ist simpel: Nehme die Dinge, wie sie kommen, steh zu deinen Werten, sag die Wahrheit und versuch, der Gesellschaft zu helfen.

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