Georg von Wattenwyl, Präsident des Schweizerischen Verbands für Strukturierte Produkte, will Kostentransparenz und versucht, Pensionskassenverwalter für Derivate einzunehmen.
Privatanleger überzeugen, Pensionskassen gewinnen, Behörden bewegen. Das sind Anliegen des Schweizerischen Verbands für Strukturierte Produkte (SVSP). Hilfreich dafür seien eine App für Derivate im Portefeuille, transparente Kosten und ein Report über die Leistungen der Branche, sagt SVSP-Präsident Georg von Wattenwyl. Er ist Leiter Advisory und Distribution Financial Products bei Bank Vontobel (VONN 61.15 0.41%). In den Portfolios der Anleger stehe ein Paradigmenwechsel an.
Herr von Wattenwyl, welche strukturierten Produkte sind derzeit besonders gefragt?
Das grösste Segment ist nach wie vor die Renditeoptimierung, wozu Barrier Reverse Convertibles gehören. Da gibt es vielfältige Anlagemöglichkeiten. Das zweite grosse Thema sind Portfolioabsicherungen. Das Risiko wird reduziert, etwa mit Kapitalschutzprodukten anstelle eines Direktengagements oder mit anderen Strukturen, die eine Optionskomponente enthalten. Drittens nimmt der Markt Themenzertifikate gut auf.
Wie wirken sich die Negativzinsen auf die Nachfrage nach Zertifikaten aus?
Gesucht ist Cash-Ersatz. Für die Bewirtschaftung des Bargeldbestands gibt es mannigfache Varianten. Stichworte sind Liquidität und breite Diversifikation, Fristenkongruenzmodelle mit Anleihen oder Dual Currency Notes für Anleger, die z. B. Franken, Euro und Dollar halten.
Gerade im Niedrigzinsumfeld will Ihr Verband Pensionskassen als grosses Kundensegment gewinnen. Wozu brauchen vorsichtige PK-Verwalter Derivate?
Alternativen zu Anleihen sind ein gutes Beispiel. Im Tiefzinsumfeld bieten Credit Linked Notes erwiesenermassen attraktive Renditen. Zudem lässt sich damit die Fristenstruktur genau auf das Bedürfnis einer Pensionskasse abstimmen. Im Geldmarkt sind Floored Floaters mit kurzer Restlaufzeit gut geeignet. Grundsätzlich sind strukturierte Produkte bei der Verwaltung der PK-Gelder nützlich, im Zinsbereich sind die Vorteile offensichtlich.
Welche Kreditrisiken gehen Pensionskassen ein für einen Mehrertrag gegenüber Anleihen?
Einerseits können Emittentenrisiken abgesichert werden. Eine Möglichkeit sind pfandbesicherte Cosi-Zertifikate, wobei das Collateral bei der Börse SIX hinterlegt wird. Anderseits können Pensionskassen gezielt Kreditrisiken von verschiedenen Schuldnern eingehen, die ins Portfolio passen. Dazu gibt es Referenzschuldnerzertifikate. Der Umgang mit dem Kreditrisiko hängt ganz von den Bedürfnissen der Pensionskasse ab.
Was bringen strukturierte Produkte auf Aktien für Pensionskassen?
Auch da lässt sich die Laufzeit des Zertifikats auf die Bedürfnisse der PK abstimmen. Eine gute Alternative zu Aktien sind beispielsweise Kapitalschutzprodukte, die den Kapitaleinsatz per Verfall garantieren. Von solchen Möglichkeiten wollen wir die Pensionskassen überzeugen.
PK-Verwalter haben kaum Anreize, Risiken einzugehen und Neues auszuprobieren. Wie wecken Sie Interesse?
Strukturierte Produkte sind bei Pensionskassen völlig untervertreten. Oft denken die Verantwortlichen gar nicht an diese Instrumente, wenn sie ihre Anlageprozesse entwickeln. Wir argumentieren mit Flexibilität und mit Renditesicherheit – strukturierte Produkte bieten ein klar bestimmtes Zahlungsversprechen, das ist ein Vorteil gegenüber anderen Anlagen. Generell wird die Innovationsfähigkeit unserer Branche unterschätzt.
Innovativ waren vor allem neuartige Anlageinstrumente. Pensionskassen setzen jedoch eher auf Bewährtes.
Innovation besteht auch darin, Anlageprodukte genau auf die Bedürfnisse abzustimmen. Eine PK hat nicht nur Präferenzen und eine Markterwartung, sondern muss auch Portfoliorestriktionen und regulatorische Vorgaben erfüllen. Massgeschneiderte Instrumente helfen, all diesen Anforderungen gerecht zu werden. Dazu kommt die Portfolioeffizienz.
Wie wird ein Portfolio mit Zertifikaten effizienter?
Bereits 1952 definierte Harry Markowitz die lineare Portfoliooptimierung, und heute wird immer noch linear optimiert. Doch es gibt wesentlich modernere und effizientere Möglichkeiten für ein optimales Portfolio. Dazu braucht es asymmetrische, nichtlineare Auszahlungsprofile, wie beispielsweise Kapitalschutzzertifikate sie bieten. Das wollen wir aufzeigen.
Anlageprodukte mit Risikoschutz oder Maximalrendite – damit ist die Portfoliooptimierung nicht ganz einfach.
Da wird ein Paradigmenwechsel kommen. Anbieter werden sich vermehrt überlegen, wie sie die Portfolios ihrer Kunden besser auf deren Risikobereitschaft, die Präferenzen und die Anforderungen abstimmen können. Dabei wird Finanztechnologie helfen. Auslöser für einen solchen Paradigmenwechsel kann eine heftige Marktkorrektur sein, in der lineare Investments massiv unter Druck kommen.
Für Zertifikate im Portfolio hat der SVSP im Februar eine App lanciert. Wie sind die Erfahrungen damit?
Mit der App ist uns erneut ein grosser Wurf gelungen. Im Jahr 2006 wurden strukturierte Produkte erstmals klassifiziert, in der Swiss Derivative Map. Damit setzten wir einen Standard, der heute international anerkannt ist. 2017 haben wir mit der App wiederum einen Standard gesetzt, um den Effekt von strukturierten Produkten im Portfolio abzubilden, und das sogar dynamisch. Die App hat viel Aufmerksamkeit geweckt, auch international. Ausländische Verbände sind interessiert, diese Technologie zu übernehmen, darunter ist der europäische Dachverband Eusipa.
Was sagen die Anleger zur App?
Von Nutzern kommen viele Rückmeldungen, Ideen und Wünsche für Erweiterungen. Wir werden die App weiterentwickeln als Standard, der im Markt akzeptiert und öffentlich zugänglich ist. Zudem können unsere Mitglieder die App in ihr Geschäftsmodell integrieren und nach ihrem Bedarf anpassen.
Bei den Pensionskassen sind neben den Verwaltern auch Berater und Behörden involviert. Wie holen Sie sie an Bord?
Die Berater spielen eine grosse Rolle. Ohne Abstimmung mit ihnen treffen die wenigsten PK Entscheidungen. Bislang haben die Berater keinen Anreiz, strukturierte Produkte in ihr Instrumentarium aufzunehmen, weil sie von ihren Kunden keinen Druck spüren.
Weshalb werden die Berater nicht von sich aus aktiv?
Es ist zwar weitherum akzeptiert, dass die Renditen im Tiefzinsumfeld schlecht sind und die PK ihre Leistungen kürzen müssen. Es wird aber nicht gefordert, zu überprüfen, ob man bei der Anlage der Pensionskassengelder das Optimum herausholt. Dieser Druck ist derzeit nicht vorhanden. Solange sich das nicht ändert, hat der Berater keinen Anreiz, etwas zu verändern. Da haben wir als Branchenverband die Aufgabe, das Heft in die Hand zu nehmen und auch die Berater zu überzeugen.
Wie stehen die Behörden zu Derivaten für Pensionskassen?
Im Bereich der regulatorischen Anforderungen läuft sehr viel. Mit dem Finanzdienstleistungsgesetz Fidleg kommen weitgehende Vorschriften, die umfassende Transparenz auch der Kosten bringen. Strukturierte Produkte werden mit den neuen Standards vollständig kostentransparent. Davon wollen wir die Behörden und insbesondere die eidgenössische Pensionskassenaufsicht OAK überzeugen.
Das negative Prädikat «kostenintransparent» des Regulators soll künftig wegfallen?
Um dieses Vorurteil wegzubringen, sind wir mit der OAK im Dialog. Wir sind guter Dinge und hoffen, dass wir dieses Ziel im laufenden Jahr erreichen. Da ist auch eine gewisse Erwartungshaltung unserer Mitglieder vorhanden.
Kostentransparenz ist auch für Privatanleger ein Thema. In diesem Segment wollen prominente Emittenten wie PostFinance und Raiffeisen neue Kunden gewinnen.
Der Verband will Transparenz. Sie fördert die Akzeptanz, und das ist eines unserer wesentlichen Anliegen. Dazu gehört die Deklaration der Vertriebsmarge, die der Verband eingeführt hat. Bei den Kennzahlen im Vordergrund stehen ein fairer Wert wie der Issuer Estimated Value IEV oder die Gesamtkostenquote, also die Total Expense Ratio Ter, wie sie bei Anlagefonds üblich ist. Der Verband hat keine Richtlinien erlassen. Unsere Mitglieder können solche Kennzahlen jedoch einsetzen, was der Verband begrüsst.
Weshalb macht der SVSP keine Vorgaben für eine Kostenkennzahl?
Unter den Emittenten gibt es verschiedene Voraussetzungen und Positionen. Ein paar von ihnen haben den IEV bereits vor einiger Zeit eingeführt und gute Erfahrungen gemacht. Die neuen regulatorischen Vorschriften werden diese Frage aufnehmen. Der Verband wird aktiv dazu beitragen, dass eine sinnvolle Regelung mehr Transparenz schafft.
Wie werden die Emittenten die Kosten voraussichtlich ausweisen müssen?
Es geht darum, was die einzelnen Komponenten kosten und wie viel der Anleger für das Gesamtprodukt bezahlt. Die Details des neuen Standards sind noch offen, er wird jedoch dem IEV ähnlich sein, aus dem sich auch die Ter errechnen lässt. Das wird die Akzeptanz der strukturierten Produkte weiter erhöhen.
Ist damit die Diskussion über die Kosten aus der Welt geschafft?
Kritiker nehmen die Transparenz zur Kenntnis oder auch nicht. Als Verband zeigen wir mit Studien und Analysen die Kosten und die Performance der Produkte auf – das werden wir auch künftig tun.
Eine weitere Debatte dreht sich um die Komplexität und die Frage, welche Produkte für Privatanleger geeignet sind.
Als Verband helfen wir in der Aufklärung der Privatanleger. Für die Wissensvermittlung haben wir ein eigenes Departement. Wir bieten z. B. Videos und die neue Portfolio-App. Es gibt wohl keine Branche, die seit der Finanzkrise so viel für die Transparenz gemacht hat wie unsere.
Neben Kostentransparenz ist ein direkter Preisvergleich wichtig. Das liefern Marktplätze mit Offerten verschiedener Emittenten. Wie steht der SVSP dazu?
Diese Multi-Issuer-Plattformen werden von Emittenten entwickelt und betrieben. Der Verband begrüsst den Preisvergleich und die Transparenz dieser Plattformen. Sie können auch hilfreich sein, um regulatorische Anforderungen an institutionelle Anleger, Berater und Vermögensverwalter zu erfüllen. Diese müssen darlegen, weshalb sie ein bestimmtes Produkt gekauft haben, was die Entscheidungsgrundlage war. Dabei sind Preisvergleich und Transparenz wichtig.
Mehr Transparenz für den Gesamtmarkt liefert seit 2016 der neue SVSP-Marktreport. Worauf zielt er ab?
Davor gab es die Daten der Börse zum Handelsvolumen und die Zahlen der Schweizerischen Nationalbank zum Bestand in den Bankdepots, also zum investierten Vermögen. Der ausserbörsliche Umsatz fehlte. Unsere Statistik zur Wertschöpfung hat diese Lücke geschlossen.
Was bedeutet die Wertschöpfung?
Bei einem Anlagefonds ist das verwaltete Vermögen wichtig, also der Anlagebestand. Um den Markt für strukturierte Produkte zu beurteilen, zeigen wir den gesamten Umsatz, börslich und ausserbörslich. Die Kauf- und Verkaufstransaktionen und damit der Umsatz entsprechen der Wertschöpfung.
Welches Ziel wollen Sie mit dem neuen Report erreichen?
Er zeigt, dass der Schweizer Markt für strukturierte Produkte weltweit der grösste ist und dass unsere Branche viel in ausländische Finanzmärkte exportiert, auch nach Asien. Das wird oft völlig unterschätzt. Wir brauchen diese Informationen, um die Anliegen unserer Branche erfolgreich zu vertreten. Wir müssen zu unserem Finanzplatz Sorge tragen, und dazu können wir einen Beitrag leisten.
Die wichtigste Währung in hiesigen Zertifikaten ist nicht der Franken, sondern der Dollar. Weshalb?
Einerseits investieren Anleger in Dollar, weil dort die Zinsen höher sind als in der Schweiz oder in Deutschland. Anderseits werden Produkte nach Asien exportiert, dort ist der Dollar eine wichtige Anlagewährung.
Deutschlands Emittentenverband DDV liefert Details, wem die Anleger für welche Produkte ihr Geld anvertrauen. Am meisten Kapitalschutzprodukte verkauft DZ Bank.
Es liegt auf der Hand, dass DZ Bank mit dem grössten Retail-Vertrieb am meisten Kapitalschutzprodukte ausstehen hat. In der Schweiz gibt die SNB-Statistik recht viele Informationen über das investierte Vermögen. In Deutschland existiert keine solche Statistik der Bundesbank. Wir ergänzen die bestehenden Zahlen von SNB (SNBN 1933 0%) und Börse mit dem Wertschöpfungsreport. Ein Report wie in Deutschland ist nicht geplant.
Der Umsatz in strukturierten Produkten stagniert, während das Anlagevermögen in ETF immer weiter steigt. Was ist der Grund für diese Diskrepanz?
Das Handelsvolumen in strukturierten Produkten ist im ersten Quartal gestiegen und entwickelt sich weiterhin gut. Das Wachstum in ETF ist stark durch institutionelle Investoren geprägt – in diesem Kundensegment spielen strukturierte Produkte noch eine kleine Rolle. Zudem setzen viele Anleger nach wie vor ausschliesslich auf lineare Investments zur Optimierung des Portfolios. Das wird sich ändern.
Der SVSP wollte vom Emittenten- zum Branchenverband werden. Haben Sie das Ziel erreicht?
Wir haben in den letzten zwei Jahren eine grosse Verbreiterung der Mitgliedschaften erreicht. Jetzt gehört ein namhafter Teil der Buy Side, also der institutionellen Käufer, zum Verband. Dazu kommen Partner wie Anwaltskanzleien, Technologieanbieter und Beratungsunternehmen. Diese Entwicklung ist erfreulich, der SVSP hat jetzt 32 Mitglieder, und wir wachsen weiter. Das ist wichtig, denn wir wollen in Bern die gesamte Branche vertreten.
Wie wird die Interessenvertretung des SVSP von der Politik aufgenommen?
Wir finden Gehör in Bern, und die Akzeptanz nimmt stetig zu. Wir sprechen mit Politikern und führen regelmässig Diskussionen mit dem Staatssekretariat für internationale Finanzfragen SIF. Wir sind Partner in Arbeitsgruppen für die Umsetzung des Finanzdienstleistungsgesetzes Fidleg über Verordnungen. Das ist eine gute Entwicklung. Die Mitglieder im SVSP sind sehr engagiert, auch die neuen von der Buy Side.
Beurteilen Sie die neuen Vorschriften als allzu restriktiv oder als vernünftig?
In der Schweiz wird ein Rahmen geschaffen, der sich an den internationalen Entwicklungen orientiert, sie aufnimmt und sinnvoll umsetzt. Das Geschäft hört nicht an der Landesgrenze auf, da gibt es übergreifende Interessen. Viele unserer Verbandsmitglieder sind international tätig, für sie wären völlig unterschiedliche Regeln in der EU und in der Schweiz ein Nachteil. Einige europaweite Standards, die sinnvoll sind, werden übernommen, oder aber unsere Regeln sind darauf abgestimmt. Dazu gehört das Basisinformationsblatt der Emittenten für die Anleger.
Die EU-Aufsichtsbehörde Esma setzt aber den Akzent nicht auf die Entscheidungsfreiheit der Anleger.
In Europa kommen die Finanzmarktrichtlinie Mifid II, die Priips-Verordnung und damit das Informationsdokument Kid. Auch in der Schweiz wird es künftig mehr Vorschriften geben. Die hiesigen Regeln gehen aber vom mündigen Anleger aus. Wir sehen keine Anzeichen dafür, dass die Politik die Investoren bevormunden und mit Produktverboten belegen will, wie das etwa in Belgien oder teilweise in Deutschland der Fall ist. Vorteile wie der vereinfachte Prospekt, den man in Europa nicht kennt, sollten uns erhalten bleiben. Man soll und wird die Stärken der Schweiz nicht wegregulieren.
Haben die Schweizer Emittenten auch künftig Zugang zu europäischen Anlegern?
Schon heute gilt: Wenn beispielsweise eine Schweizer Privatbank für einen ihrer Kunden aus Deutschland ein strukturiertes Produkt kauft und in sein Depot in der Schweiz legt, dann wird der hiesige Emittent die europäischen Vorschriften einhalten. Zwei völlig verschiedene Regelwerke wären nicht effizient. Als Verband setzen wir auch im Bereich der Regulierung Industriestandards, um Unsicherheiten zu beseitigen. Wir arbeiten eng mit europäischen Verbänden zusammen, etwa dem DDV in Deutschland oder dem Dachverband Eusipa. Mit Blick auf das Fidleg ist die Äquivalenz der Regeln in der Schweiz und Europa ein grosses Anliegen. Da gibt es unterschiedliche Meinungen, aber wir sind überzeugt, dass dieses Ziel erreicht wird.
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