Angus Muirhead, Leiter Aktien bei Credit Suisse Asset Management, mag Aktien aus dem Softwarebereich. Dabei hält er aber wenig von der klassischen Sektoreinteilung.
Angus Muirhead verfügt über 25 Jahre Erfahrung in der Finanzindustrie. Er war zu Beginn der Nullerjahre in Japan als Aktienanalyst für die UBS sowie Lehman Brothers tätig und leitete danach für die UBS aus Zürich einen globalen Technologiefonds. Seit 2016 ist er im Credit Suisse Asset Management, zuerst als Leiter der Themenstrategien wie «Robotics» oder «Digital Health», und seit einem Jahr als Leiter Aktien generell.
Herr Muirhead, wie geht es an den Aktienmärkten weiter?
Ich fürchte, das kann niemand mit Gewissheit sagen. Wir müssen abwarten, was mit Russland und der Ukraine passiert, mit China und Taiwan und mit dem Coronavirus. Alles hat zusammenhängende Auswirkungen auf die Lieferketten und die Energiepreise sowie auf die Lohnkosten, insbesondere im Servicebereich.
Wie beurteilen Sie die Lage an der Börse?
Es ist einer dieser Momente, in denen viele sehr negativ sind. Doch vieles, was uns jetzt beschäftigt, wie die steigenden Zinsen, Schwierigkeiten bei den Lieferketten, wurde bereits ab Oktober letzten Jahres eingepreist.
War die Baisse im Sommer übertrieben?
Diese Übertreibungen treten immer wieder auf. Die fundamentalen Faktoren der Unternehmen ändern sich im Allgemeinen nicht so schnell. Aber dann gibt es auch noch die Marktstimmung, die deutlich volatiler ist.
Ist jetzt ein Zeitpunkt, um zu kaufen?
Es mag zu früh sein, um zu kaufen, es ist aber auch zu spät, um zu verkaufen. Wenn Sie verkaufen wollten, hätten Sie es früher tun sollen. Jetzt ist es an der Zeit, darüber nachzudenken, ob man sich trauen soll, langsam zuzukaufen, in Etappen und selektiv. Viele Titel sind heute günstiger als vor einem Jahr, und teils sind die Fundamentaldaten besser als damals. Wenn man die richtigen Titel auswählt, kriegt man Innovation zum Sonderpreis.
«Unsere Vorstellung der traditionellen Sektoren muss überdacht werden.»
Sollten Anleger wieder auf Growth setzen?
Ich bevorzuge eine andere Darstellung als Value und Growth.
Warum?
Leitet man den Wert eines Unternehmens her, geht es um die Fähigkeit zur Generierung von Cashflow über die nächsten Jahrzehnte plus alle Vermögenswerte, die es heute besitzt. Bei der Berechnung des Gegenwartswerts ist also das Wachstum des Cashflows ein Teil der Gleichung zur Berechnung des Werts. Value-Titel werden oft mit billigen Aktien verwechselt. Dinge, die billig sind, sind aber meist aus einem bestimmten Grund billig. Value sollte bedeuten, dass man etwas zu einem Preis kauft, der unter dem inneren Wert liegt.
Wo finden Sie attraktive Aktien?
In meinem Bereich von Robotik ist Software sehr interessant, denn bei den Unternehmen hat ein Wandel stattgefunden. Sie sind sich bewusst, wie wichtig Software zur Effizienzsteigerung und Sicherheit ist.
Welche Sektoren finden sie attraktiv?
Unsere Vorstellung von traditionellen Sektoren muss überdacht werden. Nehmen wir das Beispiel der Technologiekonzerne. Ist Amazon ein Unternehmen der Konsumgüterindustrie, der Technologie oder der Logistik? Sind Alphabet und Facebook Medienunternehmen oder Kommunikationsunternehmen? Apple und Microsoft gehören zu den Tech-Aktien, aber vielleicht sollten sie dem Konsumsektor zugeordnet werden? Am Ende ist das sekundär. Darum lassen wir Sektoren bei unserem thematischen Ansatz beiseite. Entscheidend sind die sehr langfristigen Trends.
Welche Trends sehen Sie?
Klimawandel, ESG und Nachhaltigkeit spielen eine grosse Rolle. Wir haben ein riesiges Problem, und Technologie spielt bei der Bewältigung eine zentrale Rolle. Auch im Bereich der Kernenergie dürfte sich in den kommenden Jahren aufgrund neuer Technologien einiges verändern. Es gibt Unternehmen, die eine neue Art von Kernkraft entwickeln, die möglicherweise sauberer und effizienter ist.
Welche Trends werden unterschätzt?
Eines der grossen Themen, mit denen wir uns beschäftigen, ist die Suche nach Innovationen im Gesundheitswesen mit dem Hauptaugenmerk auf Kostensenkungen. Die Kosten für die Gesundheitsversorgung sind viel zu hoch. Ein wichtiges Puzzleteil ist die Diagnostik, besonders die Frühdiagnostik. Auch die ist bereits verfügbar, aber vieles ist noch zu teuer. Gibt es etwas, das diese Kosten senkt? Denn wenn das gelingt, kann man Krankheiten erkennen, bevor sie schwer zu behandeln sind. Derzeit neigen wir dazu, Symptome zu behandeln, wenn es für die Heilung zu spät ist. Das ist nur ein Beispiel für das Potenzial von Kostensenkungen.
Warum sollten Anleger einem aktiven Manager Geld geben, wenn der durchschnittliche Manager den Markt nicht schlägt?
Dafür gibt es drei Gründe. Erstens der Zeithorizont. Viele Anleger sagen, sie investieren langfristig, dennoch scheint es, als ob viele von ihnen aufgrund von kurzfristigen Faktoren, wie beispielsweise Erwartungen an die Quartalsergebnisse, handeln. Zweitens bauen die meisten aktiven Portfoliomanager ein Portfolio ausgehend von der Benchmark auf. Für das Vergleichen ist die Benchmark wichtig, aber nicht für die Zusammensetzung.
«Eine Aktienbenchmark enthält die Gewinner von gestern und heute. Vielleicht aber nicht die von morgen.»
Warum ist das ein Problem?
Wenn Sie einen Fonds verwalten, kann eine Aktie im Index auch einmal ein Gewicht von 10% erreichen. Wenn aktive Manager die Aktie nicht mögen, riskieren sie in der Regel nicht, diese Aktie ganz zu meiden, sondern halten nur etwas weniger als das Indexgewicht. Aber warum investieren sie das Geld immer noch in etwas, dass sie nicht kaufen wollen? Es gibt noch einen weiteren Grund, warum ich kein Fan von Benchmarks bin.
Welcher ist das?
Eine Benchmark repräsentiert die Gewinner von gestern und heute. Aber vielleicht nicht die von morgen. Laut einer Studie von McKinsey lag die durchschnittliche Lebensdauer eines Unternehmens im US-Index S&P 500 im Jahr 1958 bei 61 Jahren. 2016 sank sie auf unter achtzehn Jahre.
Sollten Anleger den Index nicht kaufen?
Wenn Sie heute die grossen kotierten Unternehmen kaufen, ist das in Ordnung. Es sind Aktien von guter Qualität und mit geringem Risiko. Sie werden hoffentlich nicht über Nacht verschwinden. Es ist aber interessanter, die Gewinner der nächsten fünf, zehn oder zwanzig Jahre zu suchen. Aus diesem Grund bezahlt man einen aktiven Manager.
Was ist der dritte Grund, warum viele Fondsmanager den Markt nicht schlagen?
Der Fokus. Ohne einen quantitativen Prozess oder ein grosses Team kann man kein breites Universum abdecken. Bottom-up-Fundamentalresearch nimmt viel Zeit in Anspruch.
Wie eng definieren Sie die thematischen Fonds bei der Credit Suisse?
Wenn ich von Robotik spreche, meine ich Unternehmen, die Automatisierungslösungen herstellen. «Pure Play» bedeutet für uns zudem, dass mindestens die Hälfte des Umsatzes aus diesem Bereich stammen muss. Das führt unweigerlich in den Small- und Mid-Cap-Bereich, und dort wird es interessant. Es führt Sie weit weg vom Index. Für jedes Thema kommen weltweit vielleicht nur 200 bis 300 Pure-Play-Unternehmen in Frage. Sie sind alle im gleichen Bereich oder irgendwie verwandt, als Zulieferer oder Konkurrenten, oder haben eine ähnliche Technologie oder ein ähnliches Geschäftsmodell.
Welches ist der grösste thematische Fonds?
Das grösste Thema auf unserer Plattform ist, angesichts der aktuellen Entwicklungen in der Welt wenig überraschend, die Sicherheit. Dabei geht es nicht nur um Cybersicherheit, sondern auch um physische Sicherheit, Flughafensicherheit und Zugangskontrollen zu Gebäuden. Interessant ist, dass die physische Sicherheit, die wir heute haben, zunehmend vernetzt wird, also alles digital wird.
Was raten Sie Anlegern allgemein?
Investieren Sie in das, was Sie verstehen. Das ist die erste Regel. Wenn Sie das Gefühl haben, dass Sie etwas nicht verstehen, lassen Sie es bleiben. Es gibt so viele Investitionsmöglichkeiten auf der Welt. Es sollte etwas sein, das Sie interessiert und wovon Sie Ahnung haben. Wenn Sie Ihr ganzes Leben lang in der Modebranche oder im Gesundheitswesen gearbeitet haben, wissen Sie wahrscheinlich mehr über diese Branchen als andere Menschen. Vielleicht sollte das Ihr Schwerpunkt sein.
Gibt es eine zweite Regel?
Wenn Sie investieren, dürfen Sie nicht unmittelbar auf das Geld angewiesen sein. Irgendwann werden Sie wahrscheinlich etwas Geld für ein unerwartetes Ereignis brauchen. Wenn Sie in Aktien investieren, wollen Sie nicht in eine Situation geraten, in der Sie gezwungen sind, zu verkaufen, da man so in der Regel Geld verliert. Sie sollten selbst entscheiden können, wann Sie verkaufen wollen.
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