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07:12 Uhr - 24.09.2015

«Anleger sollten die Volatilitätswelle reiten»

Karin Franceries, Investment-Manager bei Amundi für Multi-Asset-Fonds, setzt trotz Unsicherheiten auf riskante Anlagen, besonders europäische Aktien.

Frau Franceries, von welchem Szenario gehen Sie bei der Zusammensetzung Ihrer Portfolios aus?
Wir haben drei Szenarien, denen wir eine gewisse Wahrscheinlichkeit zuweisen. Wir sagen nicht, dass diese Szenarien eintreten werden. Aber die Märkte werden von diesen Alternativen beeinflusst. Unser Hauptszenario, mit einer Wahrscheinlichkeit von 60%, ist eine moderate wirtschaftliche Erholung. Karin Franceries Bild: ZVGEs gibt zwar einen Abschwung in China, aber er wird von der Regierung stabilisiert. Die Europäische Zentralbank setzt ihre Anleihenkäufe, das Quantitative Easing, fort. Es gibt Zinserhöhungen in den USA, aber keine überraschenden geldpolitischen Schritte. Dieses Szenario würde den jetzigen Erwartungen am Markt entsprechen. Für unser Portfolio heisst das, dass wir riskante Anlagen wie Aktien bevorzugen.

Was sind Ihre Alternativszenarien?
Mit einer Wahrscheinlichkeit von 30% gehen wir davon aus, dass die Märkte durch die Angst vor einer harten Landung der chinesischen Wirtschaft beeinflusst werden. Wir müssen für solch eine negative Überraschung gerüstet sein. Die dritte Alternative, mit der niedrigsten Wahrscheinlichkeit von 10%, besteht darin, dass die Marktakteure die Notenbanken falsch eingeschätzt haben. So könnte die US-Konjunktur besser als gedacht laufen. Dann gäbe es plötzlich ein Inflationsrisiko in den USA. Das würde zu gestiegenen Erwartungen von Zinserhöhungen führen. Die drei Alternativen setzen wir zusammen. Dann versuchen wir für die Positionen in unserem Portfolio abzuschätzen, wie sie sich in den jeweiligen Szenarien entwickeln würden.

Wäre das Szenario einer überraschend gut laufenden US-Konjunktur positiv für den Aktienmarkt?
Nein, das glauben wir nicht. In diesem Szenario geht es uns darum, dass die Märkte mit den bisher eingepreisten graduellen Zinserhöhungen falschliegen. Sie müssten sich kurzfristig anpassen, da die US-Notenbank Fed die Zinsen schneller und vielleicht in grösseren Schritten erhöht, als bisher erwartet wurde. Da dies nicht eingepreist wäre, würde das riskanten Anlageklassen wie Aktien schaden.

zoomWie positionieren Sie sich nun?
In unserem Hauptszenario gibt es moderates Wachstum und keine Gefahr einer Inflation. Wir gehen davon aus, dass die lockere Geldpolitik in Europa und Japan weiterhin die riskanten Anlageklassen unterstützen wird. Daraus folgt, dass wir europäische und japanische Aktien in unserem Portfolio übergewichten.

Wie hat der Entscheid der US-Notenbank, die Leitzinsen nicht zu verändern, Ihre Portfolioausrichtung beeinflusst?
Nach der Sitzung des Fed ist die Suche nach Rendite noch intensivieren wird. Damit verstärkt sich unser Interesse an Unternehmensanleihen in den USA, zu denen wir bisher sehr wenig Exposure hatten. Es steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Europäische Zentralbank, EZB, ihr laufendes Quantitative Easing verlängern wird.

Ist Ihr Hauptszenario nach der Fed-Sitzung wahrscheinlicher geworden?
Ja, die Wahrscheinlichkeit für unser Hauptszenario ist gestiegen. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Fed die Inflation kurzfristig unterschätzt, ist sehr niedrig. Die Teuerung wird wohl nur anziehen, wenn die Rohstoffpreise steigen.

Wie reagieren die Märkte momentan auf die Ankündigungen der Zentralbanken?
In einer Welt mit trägem Wachstum und niedrigen Zinsen sind die Märkte nach Quantitative Easing und anderen stimulierenden Massnahmen süchtig. Normalerweise wird gejubelt, wenn es zur Verschiebung der Zinserhöhung in den USA oder neuen Massnahmen im Euroraum und in Japan kommt. Beim Fed-Entscheid vergangene Woche lag der Fall jedoch anders, da Janet Yellen ihre Besorgnis um die Schwellenländer und, indirekt, um den starken Dollar ausgedrückt hat. Das hinterliess an den Märkten den Eindruck, dass die Risiken für das weltweite Wachstum schwerwiegend sind und das Fed eine Aufwertung des Dollars nicht begrüssen würde. Diese zwei Aspekte haben europäischen Aktien schwer geschadet.

Wie positionieren Sie sich in den Schwellenländern?
Schwellenländeraktien erscheinen zwar sehr günstig. Wir wollen aber nicht in ein fallendes Messer greifen. Unser Hauptszenario würde in einer neutralen Gewichtung für diese Aktien resultieren. Doch die Konsequenzen unserer Alternativszenarien für die Schwellenländer – ob Aktien oder Anleihen – wären so gravierend, dass wir diese Märkte im Moment untergewichten. Aber wir diskutieren ständig, wann wir einzelne Schwellenländer wieder höher gewichten können. Noch ist es jedoch zu riskant, in Schwellenländeraktien zu investieren – es ist kein Impulsgeber sichtbar, der die Kurse antreiben könnte.

Gibt es noch weitere Auswirkungen der lockeren Geldpolitik in Europa?
Es gibt viele Möglichkeiten, vom Quantitative Easing der EZB zu profitieren. So sehen wir deutsche Staatsanleihen als fair bewertet an. Es gibt weiterhin ein wenig Rendite für diese Anleihen und ein nur sehr begrenztes Risiko, dass der Kurs wegen höherer Zinsen sinken wird. Neben Aktien, für die wir in unserem Hauptszenario eine Aufwärtsbewegung von fast 20% erwarten, profitieren andere riskante Anlagen. Dazu gehören Anleihen der Europeripherie. Das Problem ist nur, dass wir für unser Portfolio ein begrenztes Risikobudget haben. Dieses Budget an Portfoliorisiko verteilen wir nicht nur nach statistischen Vergangenheitswerten, sondern auch gemäss unseren drei Szenarien.

Wie können Sie das Portfolio vor einer negativen Überraschung aus China schützen?
In diesem Krisenszenario gibt es in europäischen Anlagen ausser deutschen Staatsanleihen kaum einen Platz, um sich zu schützen. Wichtig ist auch, dass historische Daten auf solch eine Lage nur schwer anzuwenden sind. Ende August hatten wir angenommen, dass der Dollar einen guten Schutz gegen negative Überraschungen aus China und eine schlechte Performance europäischer Aktien bieten sollte. Das hat sich nicht erfüllt. Der Dollar hat sich gegenüber dem Euro infolge der überraschenden Abwertung des Renminbis durch die chinesische Zentralbank abgeschwächt. Die statistischen Zusammenhänge der Vergangenheit hatten sich verändert. Wir mussten unsere Positionierung daher anpassen, um für unsere Szenarien gerüstet zu sein. Als Absicherung nutzen wir nun neben einer Dollarposition auch eine Position in japanischen Yen. Als Hedge haben wir auch die Duration und damit das Zinsänderungsrisiko unserer Anleihenpositionen erhöht.

Aktien haben in den letzten Wochen eine hohe Volatilität – Schwankungsbreite – gezeigt. Sie erwarten, dass die Kurse gut laufen werden. Ein Anleger, der keine Volatilität verträgt, darf nicht auf Rendite hoffen?
Wir sind im Moment vorsichtig Risk on. Wir glauben also, dass es sich am Markt derzeit lohnt, Risiken einzugehen. In der jetzigen Situation, in der viele Dinge am Markt noch unklar sind, wird die Volatilität wohl andauern. Wir sagen unseren Kunden, dass sie mehr Schwankungen erwarten müssen. Wir empfehlen ihnen trotzdem, die Volatilitätswelle mitzureiten. Für Anleger, die keine grossen Schwankungen in ihrem Portfolio sehen wollen, bieten wir etwa Absolute-Return-Produkte an, beispielsweise mit einer Zielvolatilität von 4%. In diesem Fonds halten wir im Moment eine Aktienposition von etwa 14%, da wir dort die höchste Rendite erwarten.

Sie reduzieren also die erwartete Volatilität in Ihren Portfolios nicht?
Falls wir mit einem Krisenszenario rechnen, könnten wir die Ex-ante-Volatilität – also die erwartete Schwankungsbreite – für das Portfolio auch senken. Aber wir wollen ja im Moment die Volatilität für eine höhere Rendite nutzen. Wenn sich aber unsere Alternativszenarien als wahrscheinlicher erweisen würden, müssten wir die Volatilität im Portfolio reduzieren.

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