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16:23 Uhr - 13.09.2019

Die EZB entlastet die Banken

Martin Lück, Leiter Kapitalmarktstrategie Europa beim Vermögensverwalter BlackRock, über den EZB-Entscheid und seine Auswirkungen.

Herr Lück, die EZB hat am Donnerstag nicht die ganz grosse Bazooka ausgepackt. Sehen Sie das auch so?
Ja, die EZB hat wie erwartet den Leitzins gesenkt und ein Anleihenkaufprogramm beschlossen, allerdings beides in geringerem Umfang als erwartet. Dafür hat sie an anderer Stelle überrascht. So hat sie das Ende der Anleihenkäufe offengelassen, während die Vorläufer alle befristet waren.

Sie hat auch ihre Forward Guidance geändert. Welchen konkreten Effekt hat das?
Neu sagt sie: Wir halten die Zinsen so lange niedrig, bis die Inflationsrate wieder nahe 2% ist. Vorher war der Ausblick immer mit einem Termin versehen, zuletzt bis Mitte 2020. Am Markt rechnet aber niemand damit, dass die Inflationserwartungen rasch auf den Zielwert von knapp 2% steigen. In der Substanz macht die Umstellung daher keinen grossen Unterschied.

Werden die Zinsen künftig noch tiefer sinken?
Die EZB bewahrt sich Spielraum nach unten. Aber sie will dazu noch nichts sagen. Mit –0,5% ist der Leitzins nahe an dem Niveau, das die EZB als «Lower Bound» bezeichnet. Also die unterste Schmerzgrenze, ab der die Geldpolitik nicht expansiver wird, wenn die Zinsen gesenkt werden, sondern kontraktiv. Die Schäden für das Bankensystem sind dann grösser als die positiven Effekte durch die Verbilligung der Kredite.

Wo liegt diese untere Grenze?
Man schätzt sie auf –0,8 bis –1%. Allerdings müssen die Ausnahmeregeln berücksichtigt werden, die die EZB am Donnerstag eingeführt hat, das sogenannte Tiering-System. Dank ihm werden substanzielle Volumen der Überschussreserven von Banken vom Negativzins ausgenommen. Indem die EZB dieses Tiering beschlossen hat, bleibt eine weitere Absenkung des Einlagenzinses auf der Agenda stehen. Sollten die Inflationserwartungen einbrechen und/oder der Euro sich aufwerten und die Inflation abwürgen, dann muss die EZB den Leitzins tiefer senken. Der Markt weiss, dass –0,5% noch nicht das Ende sind.

Halten Sie die Beschlüsse insgesamt für angemessen?
Ja. Es wäre nicht opportun gewesen, jetzt schon alles Pulver zu verschiessen. Die EZB hat gelernt, sehr gut mit den Märkten zu kommunizieren und ein Massnahmenpaket so zu dosieren, dass es genau die richtige Dimension hat.

Zwingt die EZB ihren Willen dem Markt auf, oder verhält es sich nicht doch eher umgekehrt?
Beide befinden sich da in einer Schicksalsgemeinschaft. Die Verbindung zwischen der EZB und dem Markt besteht in den Inflationserwartungen. Gewinnt die EZB den Eindruck, dass der Markt ihr nicht mehr zutraut, dass sie das Inflationsziel mittelfristig erreicht, dann wird sie praktisch dazu gezwungen, zu handeln. Denn dann steht ihre Glaubwürdigkeit auf dem Spiel. Es ist eine Art Automatismus: Sie muss dem Markt zeigen, dass er falschliegt. Das tut sie am besten, indem sie die Realwirtschaft unterstützt und über andere Inflationskanäle wie den Wechselkurs für mehr Inflation sorgt. Letztlich ist die Inflation, die wir heute beobachten, die wichtigste Determinante für die Inflationserwartungen. Wegen dieses Zusammenhangs besteht die wechselseitige Abhängigkeit zwischen Zentralbank und dem Markt.

Was erwarten Sie von der künftigen EZB-Präsidentin?
Sie wird sich an die bisherige Linie halten. Als erfahrene Politikerin hat sie ihre Stärken wahrscheinlich eher in der Kommunikation der Massnahmen der EZB gegenüber Ministern und Regierungschefs. Das ist auf EU-Ebene ein wichtiger Aspekt. Für Kontinuität garantiert auch der neue Chefökonom der EZB, Philip Lane.

Was wird die SNB (SNBN 5730 0.17%) an ihrer Sitzung nächste Woche unternehmen?
Die Schweizerische Nationalbank muss den Schritt der EZB in etwa nachbilden. Sie dürfte den Leitzins etwas tiefer setzen. Das müssen nicht die vollen zehn Basispunkte sein, die die EZB vorgelegt hat. Aber die Aufwertung des Frankens ist nicht erwünscht, deshalb wird sie eine Verkleinerung des Zinsabstands zum Euroraum nicht ohne weiteres zulassen.

Dann werden die Zinsen in der Schweiz sehr nahe am «Lower Bound» sein.
Aber in der Schweiz besteht bereits ein Tiering-System, um die Wirkung der Negativzinsen auf die Banken abzuschwächen. Die SNB verfügt also diesbezüglich über etwas mehr Spielraum, als die EZB es bisher hatte. Sie wird auf jeden Fall versuchen, einer Schwächung des Frankens entgegenzuhalten.

Welche Folgen hat das neue EZB-Kaufprogramm für die Anleihenmärkte?
Die Zinsen sind dieses Jahr schon stark gefallen, die Kurse kräftig gestiegen. Wer Anfang 2019 eine zehnjährige deutsche Bundesanleihe gekauft hat und sie jetzt verkauft, erzielt trotz Nullzinsen einen ordentlichen Gewinn. Die EZB-Beschlüsse bedeuten nicht das Ende der positiven Entwicklung am Rentenmarkt. Die EZB hat Fantasie im Markt belassen. Deshalb halte ich es für wahrscheinlich, dass die Kurse nach oben gehen, der Bund-Futures weiter steigt und die Bondrenditen tiefer sinken.

Wie ändern sich die Aussichten für Aktien?
Aktien profitieren von der expansiven Zentralbankpolitik und den tieferen Kapitalmarktrenditen. Dem stehen die Sorgen über eine Rezession entgegen. Aber im Moment setzen sich eher Entspannungssignale bei den bisherigen Risikofaktoren wie dem Handelsstreit durch. Damit ist der Weg frei für eine höhere Bewertung von Aktien. Wir sind zwar in einem schwächeren Umfeld unterwegs, aber nicht in einem desaströsen. Das sind gute Nachrichten für die Aktienmärkte.

Bankaktien haben nach der EZB-Sitzung allerdings verloren.
Das ist nur die erste Reaktion gewesen. Man muss jetzt mal durchrechnen, ob die Kombination aus extremeren Negativzinsen und Einführung des Tiering-Systems, das Banken teilweise vom Minuszins befreit, eine Mehrbelastung bedeutet oder ob sie einige Institute sogar entlastet.

Ist Europa gegenüber den USA attraktiver geworden?
Die EZB-Beschlüsse sorgen dafür, dass Europa einen finanziellen Stimulus erfährt. Hinzu kommt, dass die Bereitschaft, haushaltspolitisch die Nachfrage anzukurbeln, in Europa zunimmt. Auch Draghi hat ja betont, dass Länder mit fiskalpolitischem Spielraum ihn nutzen sollen. Wenn dann noch eine leichte Erholung in China dazukommt, sind die Aussichten für die Aktienmärkte in Europa gar nicht so schlecht. Wir haben in unserer Asset Allocation Europa von «Untergewichten» auf «Neutral» hochgestuft. Die US-Börsen halten wir zwar immer noch auf «Übergewichten», aber Europa hat dank der EZB an Attraktivität gewonnen.

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