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13:20 Uhr - 14.06.2016

«Währungen haben mehr Potenzial als Aktien»

Klaus Wellershoff, VR-Präsident von Wellershoff & Partners, empfiehlt im Interview mit FuW Cash und Gold. Er erwartet keine steigenden Aktien, aber eine höhere US-Inflation.

Herr Wellershoff, wo stehen wir im Börsenzyklus, geht es bald aufwärts, oder sind wir in einer Baisse?
An der Weltleitbörse in New York beobachten wir rekordhohe Unternehmensgewinne, die nicht mehr wachsen, sondern je nach Mass sogar schrumpfen. Und die Bewertungen der Aktien sind hoch. Das über den Zyklus geglättete Shiller-Kurs-Gewinn-Verhältnis beträgt 22, das ist im oberen Bereich. Gleichzeitig müssen wir damit rechnen, dass Inflation und Zinsen steigen. Wenn man da eins und eins zusammenzählt, dann wird die Weltleitbörse in den nächsten anderthalb Jahren nicht viel hergeben. US-Aktien machen je nach Index 55 bis 66% der globalen Marktkapitalisierung aus.

Europäische Aktien sind günstiger.
Das Shiller-KGV ist in Europa ungefähr halb so hoch wie in den USA. Es enthält keine Prognosen, sondern vergangene Gewinne. Diese waren wegen der Eurokrise und zwei Rezessionen nicht gestiegen und sind weit unter dem Allzeithoch. Doch nun wachsen sie, Europa ist die einzige Region auf der Welt, wo die Unternehmensgewinne zunehmen. Und es kann sich niemand vorstellen, dass die Europäische Zentralbank irgendeinen Druck verspürt, die Zinsen anzuheben. Somit sehen die fundamentalen Voraussetzungen für Europa viel besser aus als für die USA.

Bringen steigende Unternehmensgewinne in Europa eine Börsenrally?
Eine Entkopplung Europas von der Weltleitbörse ist nicht so einfach möglich. Die Erfahrung zeigt: Wenn es in den USA rappelt, dann reagieren die europäischen Märkte eher stärker. Anleger müssten darauf hoffen, dass sich die Beurteilung von Unternehmensgewinnen und Bewertung im Zeitablauf durchsetzen wird. Das gab es in der Vergangenheit, Europa schnitt immer mal wieder besser ab als die USA. Ob das aber positive Renditen sein werden, oder ob Europa nicht einfach am wenigsten verliert, das steht in den Sternen.

Wo steuert die Schweizer Börse hin?
Die Bewertung liegt zwischen Europa und den USA, was sinnvoll erscheint. Man darf sich keinen Illusionen hingeben: Die grossen Schweizer Unternehmen haben heute einen Dollar-Preis, keinen Franken-Preis mehr. Investoren vergleichen Nestlé (NESN 70.25 -0.99%) mit Unilever (UNA 38.19 -1.61%). Da hängt viel von der Dollarentwicklung ab, die uns zeitweise Volatilität bringen könnte. Wenn die Weltbörsen nicht vorwärts machen, macht die Schweiz auch nicht vorwärts.

Die Schweizer Wirtschaft scheint den Frankenschock vom Januar 2015 erstaunlich gut zu verkraften. Täuscht der Eindruck?
Wir hatten für das letzte Jahr keine Rezession erwartet und haben immer gesagt, der Effekt kommt 2016. Die Konjunktur in der Schweiz wird nicht durch die Exporte bestimmt, so paradox das klingen mag. Die Exporte sind übrigens real gestiegen im letzten Jahr, weil Europa wächst.

Wenn nicht die Exporte, was bestimmt das hiesige Wirtschaftswachstum?
Die Schweizer Konjunktur wird durch die Unternehmensinvestitionen gemacht. Dieses Jahr investieren viele international tätige Unternehmen vermehrt im Ausland, diese Mittel fehlen in der Schweiz. Zudem läuft der Konsum viel schlechter als alle erwartet hatten, trotz höherer Beschäftigung, wachsender Nominallöhne und negativer Inflationsrate. Die Lohnsumme wuchs real bis zu 3%, der Konsum stieg 2015 nur 0,8%. Mit schwachen Unternehmensinvestitionen und schwachem Konsum wird’s eng für die Konjunktur. Viel enger, als die Leute glauben.

Wenn Aktien stagnieren oder fallen, sehen Sie für Anleger anderswo Chancen?
Es gibt immer Chancen – die Frage ist, ob sie zu positivem Ertrag führen. Viele Anleger betrachten die Performance von Investments relativ statt absolut. Sie werden sich auf Europa stürzen. Sie werden selektiv auch Aktien aus Schwellenländern kaufen. Und sie werden sich – viel interessanter noch – auf die grossen Ungleichgewichte am Devisenmarkt stürzen.

Welche Währungen sind nicht im Gleichgewicht?
Die extreme Geldpolitik hat zu grossen Verschiebungen in den Bewertungen der Währungen geführt. Schwellenländer stechen heraus, dort sind viele Währungen krass unterbewertet. Zudem bieten Schwellenländeranleihen sehr attraktive Zinsen. Da gibt es Chancen.

Welche Schwellenländer bieten sich an?
Ein klassisches Beispiel ist Brasilien. In der Politik herrscht die Mutter aller Stürme, die Lage ist äusserst unklar. Das Land hat enorm unter dem Rohstoffpreisverfall und dem starken Dollar gelitten. Der brasilianische Real ist gegenüber dem Franken abgestürzt. Da muss man nüchtern analysieren und im dunkelsten Moment kaufen. Mittlerweile kommt der Real zurück, und die Zinsen am Anleihenmarkt sind zweistellig und damit hoch attraktiv. Solche Opportunitäten gibt es nicht oft.

Für viele Anleger birgt ein Investment in Brasilien ein allzu hohes Risiko.
Auch unter den Industrienationen gibt es grosse Währungsungleichgewichte. Als die Nationalbank den Euromindestkurs aufhob, empfahlen wir, Euro zu kaufen. Wer damals ein Eurokonto eröffnete, steht heute besser da, als wenn er den Swiss Market Index gekauft hätte. Opportunitäten bieten derzeit die norwegische Krone, die schwedische Krone und der Yen. Die Volatilität ist relativ hoch, aber geschickt kombiniert haben Währungen derzeit ein höheres Ertragspotenzial als Aktien.

Empfehlen Sie – analog zu Schwellenländeranleihen – japanische Wertschriften?
Da ist Vorsicht geboten, das wird oft falsch gemacht. Wenn wir einen stärkeren Yen erwarten, heisst das nicht automatisch, dass wir Assets in Yen empfehlen. Wertet der Yen auf, leiden japanische Aktien. Das ergibt für Anleger ein Nullsummenspiel. Besser sind ein Fremdwährungskonto, Termingeld oder selektiv Obligationen.

Investoren haben viel Cash, was Sicherheit bietet, aber keine oder eine negative Rendite bringt.  Was sind Alternativen dafür?
Der Zins ist der Anker für alle Renditen, auch für Immobilien und Aktien. Wenn der Zins negativ ist, kann man nur über mehr Risiko einen Ertrag von null oder darüber erwirtschaften. Zudem sind dieses Jahr –0,75% auf Liquidität besser als –11% im Swiss Market Index. Es ist sinnvoll, Cash zu halten und kontrolliert selektiv und diversifiziert Risiken einzugehen.

Aktien sind also nicht alternativlos?
Oft wird argumentiert: «Wegen der Negativzinsen muss ich etwas machen, Obligationen bringen nichts und deshalb kaufe ich jetzt nur noch Aktien.» Das ist ein grosser Fehler. Seit zweieinhalb Jahren höre ich den Ausdruck «Tina»: There is no Alternative – es gibt keine Alternative zu Aktien. Das war 2014 falsch, ebenso 2015. In beiden Jahren haben Immobilienfonds besser und Obligationen fast gleich gut abgeschnitten wie Aktien. Tina war der falsche Rat, und er ist auch für die Zukunft falsch.

Wie gewichten Sie ein ausgewogenes Portefeuille?
Da empfehlen wir, Aktien unterzugewichten. Für Obligationen guter Bonität ist strukturell ein Ersatz nötig, das ist das Hauptproblem im Portfolio. Ein guter Ersatz ist eine je hälftige Mischung aus Immobilienfonds und Cash oder Geldmarktpapieren. Wenn die Zinsen steigen, leidet zwar auch diese Mischung, aber weniger als die Obligationen. Zudem ist die Ausschüttungsrendite nicht null, sondern positiv. Wer in Franken rechnet, sollte dabei auf Schweizer Immobilien setzen.

Was kommt sonst noch ins Portefeuille?
Ganz generell gilt: Breite Diversifikation funktioniert gut. Anleger definieren, welche Anlageklassen in Frage kommen, und tun in jeden Topf gleich viel. Solch ein Portfolio hat in den letzten zwanzig Jahren alle Portfolios aus der Finanzindustrie geschlagen. Das ist eigentlich eine Bankrotterklärung für die Finanzbranche.

Gehört auch Gold in einen Topf?
Gold (Gold 1281.4 -0.09%) ist eine Anlageklasse. Die Wahrscheinlichkeit ist ziemlich gross, dass die Inflation in den kommenden zwölf Monaten deutlich steigt. Gold ist derzeit nicht nur zur Diversifikation attraktiv, sondern auch wegen der Gewinnmöglichkeit.

Weshalb nimmt die Inflation zu?
Weil in fast allen Industrienationen die Kernrate – ohne Energie und Nahrungsmittel – deutlich über der Gesamtrate der Inflation liegt. Die Kernrate ist in den letzten zwei Jahren überall leicht gestiegen, in den USA ist sie hartnäckig über 2%. Die Gesamtrate wurde vom fallenden Erdölpreis nach unten gedrückt. Um weiterhin den gleichen inflationsdämpfenden Effekt zu haben, müsste der Ölpreis auf 12 $ fallen. Er hat sich aber seit dem Tief im Januar fast verdoppelt. Falls der Ölpreis dort bleibt, wo er jetzt ist, steigt die Inflation in den USA im ersten Quartal 2017 über 3%.

Die Notenbanken fürchten sich derzeit nicht vor Inflation, sondern vor Deflation.
Das war schon immer falsch. Wir haben stets auf die Kernraten der Inflation verwiesen, sie zeigen an, dass Deflation kein Thema ist.

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