Die Unternehmensberatung Roland Berger rät Zentralbanken, sie sollten agil sein für Krisensituationen und sich für eine Welt mit digitalen Währungen rüsten.
«Die Reaktion der Schweizerischen Nationalbank bei der Einführung des Mindestkurses zum Euro war eine logistische Meisterleistung», sagt Adrian Weber, Senior Partner und Leiter der globalen Central Banking Practice bei der Beratungsgesellschaft Roland Berger in Zürich. Das betreffe «die technologischen Elemente und die Kapazitäten, die dafür vorgehalten werden mussten – das war ein Kraftakt».
Weber berät Zentralbanken und hat dazu als Beginn einer Studienserie zwei Publikationen verfasst, die diese Woche erscheinen. Themen sind die Betriebsführung und digitale Währungen.
Wie eine ausserordentliche geldpolitische Massnahme umgesetzt werde, sei immer auch ein Signal an den Markt, führt Weber aus. «Man muss glaubhaft machen, dass man in der Lage ist, so etwas durchzuhalten.» Deshalb sollten Zentralbanken nicht ihre Effizienz maximieren. Sie verfolgten ein klares Mandat und müssten für Krisensituationen gerüstet sein. «Statt möglichst effizient muss die Organisation effektiv und agil sein.»
Drei oder 25 Entscheider?
In der Öffentlichkeit bestehe vor allem der Wunsch nach mehr Transparenz, erklärt Weber. Das werde künftig noch wichtiger und betreffe die Governance, also die Führung und die Aufsicht. Jedes Land bevorzuge ein anderes Modell. Der Wunsch in der Öffentlichkeit, für das geldpolitische Entscheidungsgremium eine optimale Anzahl an Mitgliedern zu definieren, sei jedoch nicht erfüllbar. Sie hänge vom Mandat der Notenbank ab.
Ob das SNB-Direktorium mit bloss drei Mitgliedern nicht zu klein sei, wurde nach der Aufhebung des Euromindestkurses im Januar 2015 heftig diskutiert – der EZB-Rat hat 25 Mitglieder. Damals sagte der Genfer Finanzprofessor Charles Wyplosz im FuW-Interview: «Das europäische System ist nicht nachahmenswert.» Der EZB-Rat sei so etwas wie ein kleines Parlament und funktioniere eher schlecht als recht, mit Allianzen und Fraktionen. Nichts spreche gegen eine kleine Führung einer Notenbank, wie auch Neuseeland, Israel oder Chile zeigten. Die Denkfabrik Avenir Suisse schlug damals die Vergrösserung des SNB-Direktoriums auf fünf Mitglieder vor. Das bringe breiter abgestützte Entscheidungen und wirke einer falsch verstandenen Kameraderie entgegen.
Weber setzt den Akzent anders: «Die Frage ist eher: Wie stellt man effiziente und transparente Entscheidungsprozesse sicher?» Dazu gehöre etwa, dass Notenbanken nach einer gewissen Periode die Sitzungsprotokolle und regelmässig einen Rechenschaftsbericht veröffentlichen. «Wichtig ist Verlässlichkeit. Sie ist wesentlich entscheidender als die Anzahl Leute im Entscheidungsgremium.»
Geldpolitik kontra Bankenaufsicht
Ein heikles Thema seien Interessenkonflikte zwischen Geldpolitik und Bankenaufsicht, sagt Weber. Im Unterschied zur Schweiz mit ihrer Aufgabenteilung zwischen der SNB (SNBN 1695 -0.53%) und der Finma nehme die Europäische Zentralbank beide Funktionen wahr. Dazu gebe es innerhalb der EZB strikte Chinese Walls, also Informationsschranken. Die Teams sässen in unterschiedlichen Einheiten.
Dabei hätten die Geldpolitiker derzeit ein Interesse daran, die Kreditvergabe anzukurbeln, um die Wirtschaft in Schwung zu bringen. Im Gegensatz dazu sei die Bankenaufsicht gerade in Märkten mit einem angeschlagenen Finanzsystem darum besorgt, dass Banken nicht übermässig risikobehaftete Kredite herausgeben. Der inhärente Interessenkonflikt sei schwierig aufzulösen, wenn man die beiden Funktionen unter einem Dach habe. Aber: «Der Trend geht zum integrierten Modell.»
Den Interessenkonflikt erachtet auch Wyplosz als kritisch, doch in Europa sei nach der Finanzkrise eines klar geworden: «Die nationalen Aufsichtsbehörden haben versagt.» Die Regierungen wollten meist nicht, dass man ihre nationalen Champions im Finanzsektor zu hart reguliert, und gewährten den Aufsichtsbehörden nicht die nötigen Ressourcen. Zentralbanken hingegen seien ausserordentlich unabhängig und verfügten über weit mehr Ressourcen. Wyplosz: «Die Doppelrolle der EZB ist zwar nicht ideal, aber im Fall des Euroraums ein guter Entscheid.»
«Raus aus der Silowelt»
Damit eine Notenbank auf Änderungen im Umfeld schnell reagieren könne, brauche es Durchlässigkeit, sagt Weber. Man müsse weg vom Fokus auf eine vertikale Organisation, «raus aus der Silowelt». Die Zentralbank in Finnland habe horizontale Kernprozesse eingeführt und damit ein «spannendes Experiment gestartet».
Über einzelne Organisationseinheiten hinweg seien Verantwortlichkeiten für Prozesse gelegt worden. «Das ist eine virtuelle Matrixorganisation – mit allen Vorteilen und Herausforderungen, die eine solche organisatorische Weiterentwicklung mit sich bringt.» Ausschlaggebend sei überdies, ob sich die Führung im Tagesgeschäft mit Blick auf organisationsübergreifende Kontakte als Vorbild verhalte.
Die Kapazität müsse nicht minimal sein und sei generell anders zu betrachten als bei einem Unternehmen. Im Zentrum stehe die Frage nach der Effektivität, erläutert Weber, und sie stelle sich bei der US-Notenbank ganz besonders. Das Fed sei mit seiner Zweistufigkeit auf besondere Weise organisiert. Jede Distriktnotenbank habe ihre Spezialisierung, dadurch werde versucht, das Federal Reserve System effizient funktionieren zu lassen. «Das ist ein spannender Ansatz, den man auch auf der Ebene des Eurosystems durchdenken könnte.» Dort unterhalte man die Notenbanken in den Mitgliedländern in mehr oder weniger voller Ausprägung.
Eine eigene Kryptowährung
Zu den Herausforderungen für die Geldpolitik gehören auch Kryptowährungen. Die grösste ist Bitcoin, sie wird durch ein dezentrales Online-Netzwerk erzeugt und verwaltet. Transaktionen werden in einem digitalen Register, der Blockchain, aufgezeichnet. Weber bemerkt kritisch: «Man vertraut der Mathematik, nicht einer zentralen Stelle.» Als erste staatliche Behörde akzeptiert die Einwohnerkontrolle des Kantons Zug seit 2016 Bitcoin.
Im Unterschied dazu erfordert die digitale Währung einer Notenbank Vertrauen in die Währungshüter als zentrale Instanz. Sie wäre eine Ergänzung zu Noten und Münzen. Eine digitale Währung liegt in einem virtuellen Portemonnaie und ist ebenso wie Bargeld gesetzliches Zahlungsmittel. Im Gegensatz dazu ist Geld auf dem Bankkonto – und damit auch auf der EC-Karte – letztlich bloss eine Forderung gegenüber der Bank. Weber: «Die Idee einer digitalen Währung der Zentralbank gewinnt weltweit an Popularität.»
Bargeld ist teuer
Mit der digitalen Währung einer Notenbank könnte überall bezahlt werden, sagt Weber, ohne dass die Transaktion über eine Bank laufe. Der Vizegouverneur der chinesischen Zentralbank habe gesagt, ein wichtiges Ziel einer solchen digitalen Währung sei es, Bargeld zu ersetzen.
Gegen Bargeld sprächen vor allem die hohen Kosten. Das indische Finanzministerium habe in einer Studie die Gesamtkosten geschätzt, inklusive Produktion, Verteilung, sicheren Aufbewahrens und schliesslich Zerstörung der Noten und Münzen. Die Kosten betragen in Schwellenländern 5 bis 7% und in entwickelten Ländern 1 bis 2% des Bruttoinlandprodukts. Dies umfasst auch die Kosten für die Banken. Weber sagt, allein die Bank of America (BAC 24.605 2.27%) gebe pro Jahr 1 Mrd. $ aus für das Handling von Bargeld.
Mit einer digitalen Währung liessen sich auch grosse Summen problemlos aufbewahren, im virtuellen Portemonnaie. Damit könnten Unternehmen und vermögende Privatpersonen dem Negativzins auf dem Bankkonto ausweichen. Weber wendet ein: «Das wäre natürlich aus Sicht der Notenbank nicht der Sinn der Sache.» Dazu kommt, dass ein solches Ausweichmanöver von den Notenbanken sicherlich verhindert würde.
Weber resümiert: Neue Technologien, ein erweitertes Mandat mit Bankenaufsicht, striktere Regeln für den Finanzsektor und die Interdependenz der Finanzmärkte – das stelle die Notenbanken vor grosse Herausforderungen. «Die Zentralbanken müssen sich schlank und agil organisieren und benötigen genügend Kapazität, um die Anforderungen zu bewältigen und die Zukunft mitzugestalten.»
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