Nicola Sturgeon, die Regierungschefin von Schottland, will das Vereinigte Königreich in der EU behalten. Damit besetzt sie eine Schlüsselposition in der britischen Politik.
Unter den Politikern Grossbritanniens ist sie eine der ganz wenigen, die gerade eine gute Figur machen. Premier David Cameron hat den Rücktritt angekündigt. Jeremy Corbyn, Chef der Labour Party, muss einen Aufstand seiner Parteigenossen abwehren. Boris Johnson, womöglich Kandidat für Camerons Nachfolge, macht sich unglaubwürdig, weil er die Folgen des Brexit herunterspielt. Niemand scheint einen Plan zu haben, wie es nun weitergehen soll. Dagegen beeindruckte die Erste Ministerin von Schottland, Nicola Sturgeon, am Tag nach der Brexit-Abstimmung mit einer kraftvollen, staatsmännischen Rede.
«Wir haben gestern abgestimmt, unser Recht zu wahren, frei in andere europäische Länder zu reisen, dort zu leben und zu studieren», kommentierte sie das Abstimmungsergebnis in Schottland. Dort haben 62% der Bürger für den Verbleib in der Europäischen Union votiert. «Wir werden alle möglichen Optionen erkunden, um Schottlands Platz in der EU zu schützen.»
Dafür wird ein neuerliches Referendum über die Abspaltung vom Vereinigten Königreich diskutiert. Um die EU nicht zu verlassen, ist nach einer Umfrage am Wochenende eine Mehrheit von 59% der Schotten für die Abspaltung. Noch 2014 konnte sich Sturgeons Scottish National (NATN 87.8 0.92%) Party (SNP) mit ihrem Unabhängigkeitsvorstoss in einem Referendum nicht durchsetzen. Damals trat Alex Salmond als Regierungschef zurück und übergab Sturgeon das Zepter.
Vor einem Referendum zur Unabhängigkeit will die 45-Jährige prüfen lassen, ob das schottische Parlament den Austritt Grossbritanniens aus der EU blockieren kann. Das ist verfassungsrechtlich umstritten. Zu einer EU-Mitgliedschaft Schottlands ohne das Vereinigte Königreich passt auch nicht, dass Sturgeon «unter keinen Umständen eine Grenze zwischen Schottland und England» einführen will.
In einem Interview beklagt die Anwältin «das vollständige Führungsvakuum in Westminister – es ist eine Schande». Die meisten Briten stimmen ihr dabei wohl zu. Für Nicola Sturgeon ist die jetzige Situation eine Steilvorlage. Die Hoffnung, dass sie mit der Drohung der schottischen Unabhängigkeit noch den Brexit verhindern könnte, macht sie zur Galionsfigur der 48% Stimmbürger in Grossbritannien, die für den Verbleib in der EU gestimmt haben. Damit ist sie zur wahren Oppositionsführerin geworden. Schon die Parlamentswahl im vergangenen Jahr hat die sozialdemokratisch orientierte SNP zu einer grossen Kraft in der britischen Politik gemacht. 56 von 59 Wahlkreisen in Schottland gingen an die Separatisten.
Auch wenn es nicht zum britischen Austritt aus der EU kommen sollte, ist die Unabhängigkeit der 5,3 Mio. Schotten schlagartig wahrscheinlicher geworden. Die Tochter eines Elektrikers und einer Zahnarzthilfe hat echte Chancen, ein zum ersten Mal seit vierhundert Jahren von England getrenntes Schottland zu führen. Eine kleine Kostprobe gab es schon am Freitag: Sich als echte Regierungschefin präsentierend, kündigte Sturgeon einen Gipfel mit diplomatischen Vertretern der Mitgliedländer der Europäischen Union an. Selbst wenn es sich nur um die Vertreter der Konsulate in
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