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13:55 Uhr - 05.09.2017

«Höhenflug kann sich ein bis zwei Jahre fortsetzen»

Christoph Sax, Chefökonom der Migros Bank, sieht Anlagechancen in der zyklischen Erholung Europas. Attraktiv sind etwa die Sektoren Gesundheit und Industrie.

Herr Sax, die globalen Aktienmärkte eilen von einem Höchst zum nächsten. Wie lange dauert diese Hausse noch?
Uns ist bewusst, dass es gewisse Indikatoren gibt, die auf eine baldige Trendwende hindeuten. Wir gehen aber davon aus, dass sich der Höhenflug der Aktienmärkte durchaus noch ein bis zwei Jahre fortsetzen kann. Auch im Rahmen unserer Anlagepolitik sehen wir zurzeit keine Veranlassung, grosse Umschichtungen weg von Aktien vorzunehmen.

Worin gründet Ihr Optimismus?
Erstens liefert die Realwirtschaft, was der Finanzmarkt hinsichtlich Wachstum der Unternehmensgewinne erwartet. Zweitens dürfte die Geldpolitik der Notenbanken nur zögerlich restriktiver werden. Die solide Konjunktur erlaubt es durchaus, den Fuss langsam vom Gaspedal zu nehmen, ohne dass es zu einem Einbruch kommt.

Wie nachhaltig ist die Erholung der Wirtschaft? Es sind diverse konträre Signale erkennbar, zum Beispiel im Arbeitsmarkt.
Man kann nicht von einer Hochkonjunktur sprechen. Grundlegende Indizien stimmen allerdings positiv – etwa im Industriesektor oder im globalen Warenhandel. Die Stimmung hat sich bei den Unternehmen und den Konsumenten generell verbessert.

Welche Prognose stellen Sie dem europäischen Wirtschaftsraum auf lange Sicht?
Ich bleibe skeptisch, was die langfristige Entwicklung anbelangt. Die Diskrepanzen zwischen den einzelnen Volkswirtschaften werden nicht verschwinden. Die Liquiditätsinfusion der Europäischen Zentralbank hat den Staaten zwar ein Zeitfenster geöffnet, ihre Finanzen ins Lot zu bringen. Doch es sieht so aus, als sei diese Chance verpasst worden. Auch der Schuldenabbau hat nicht stattgefunden.

Haben die Mitgliedstaaten zumindest die nötigen Reformen eingeleitet?
Nur ungenügend. Trotz gewisser Bemühungen leiden viele EU-Mitglieder immer noch unter einer Zweiteilung des Stellenmarktes. Auf der einen Seite sehen wir viele befristete Arbeitskontrakte. Auf der anderen Seite haben wir Arbeitnehmer, die sich mit fixen, langfristigen Verträgen in stark geschützten Strukturen befinden, was wiederum die Produktivität und die Investitionsanreize der Unternehmen hemmt. Hier könnte man definitiv mehr machen.

Zurück zum Aktienmarkt: Welcher Region messen Sie das grösste Kurspotenzial bei?
In Sachen Profitabilität und Effizienz hinkten europäische Konzerne ihren US-Konkurrenten lange Zeit hinterher. Dieses Bild hat sich gewandelt. Wir sehen folglich Opportunitäten in der zyklischen Erholung Europas.

An welche Sektoren denken Sie konkret?
Zum Beispiel an den Gesundheitssektor, die Industrie und an infrastrukturbezogene Unternehmen. Selektiv kann man auch im Konsumbereich investieren.

War die Erholung europäischer Konzerne nicht nur ein Währungseffekt, der mit der jüngsten Eurostärke abebbt?
Der stärkere Euro könnte schon bremsend wirken. Ich denke aber, dass die Verbesserung vor allem einer nachfrageseitigen Aufhellung zu verdanken ist.

Wie geht es auf der anderen Seite des Atlantiks weiter? Kann US-Präsident Trump seine Versprechen – Stichwort Steuerreform – doch noch umsetzen?
Wenn man die Entwicklung der Zinsen und des Dollars betrachtet, scheint der Kapitalmarkt von der Regierung Trump keine Impulse mehr zu erwarten.

Was bedeutet das für Corporate America? Und wie lange nehmen die Aktienmärkte Trumps Unvermögen noch hin?
Für die Unternehmen ändert das wenig. Wenn die versprochenen Reformen nicht umgesetzt werden können, führt das kaum zu einer Verschlechterung des Umfelds. Und gerade für exportorientierte US-Konzerne ist der schwache Dollar ja sogar eher hilfreich. Ich denke also nicht, dass irgendwann die Quittung kommt. Die US-Wirtschaft erträgt einen politischen Stillstand. Ein Abrutschen in eine Rezession ist nicht zu befürchten.

Der Risikofaktor China scheint ein wenig aus dem Fokus der Anleger geraten zu sein. Zu Recht? Wie schätzen Sie die Bedrohung einer Wachstumsverlangsamung respektive einer Kapitalmarktblase ein?
Werde ich gefragt, wo ich die grössten Gefahrenherde orte, erwähne ich China meist als Erstes. Ich habe einigen Respekt vor den Risiken, die hier schlummern. Gewisse Indikatoren notieren – gerade im internationalen Vergleich – im roten Bereich. Viele unprofitable Grosskonzerne können nicht mal ihre Zinskosten bezahlen. Diese Unternehmen werden künstlich am Leben gehalten, um Arbeitsplätze zu sichern. Trotz dieser Faktoren muss man die Positionierung wegen China aber nicht überdenken.

Weshalb nicht?
Es gibt einige Anzeichen, dass die Probleme erkannt wurden. Die Regierung scheint darauf hinzuwirken, die Exzesse einzudämmen. Zudem: Viele Staatskonzerne und Infrastrukturprojekte werden von Staatsbanken finanziert. Der Staat ist also auf der Gläubiger- und auf der Schuldnerseite beteiligt. Ganz grundsätzlich hat China das Pulver noch nicht verschossen, im Bedarfsfall einzugreifen. Das Wirtschaftswachstum wird sich aber sicherlich verlangsamen, denn das exzessive Kreditwachstum wird sich zwangsläufig abschwächen.

Wie stark dürften chinesische Konzerne im Westen weiterhin als Käufer auftreten? Die chinesischen Behörden sind daran, den Kapitalabfluss mit Auflagen zu bremsen.
Wo ein strategischer Bedarf besteht – etwa in der Beschaffung von Know-how oder zur Förderung spezifischer Branchen –, werden die Behörden den Akquisitionen nicht im Weg stehen. Anders sieht es bei den Privatpersonen aus: Der Trend, Geld in sichere Häfen zu bringen, dürfte konsequent unterbunden werden.

Wie sehen Ihre Erwartungen bezüglich Zinserhöhungen in den USA aus?
Der Markt preist zurzeit noch zwei US-Zinserhöhungen in den nächsten eineinhalb Jahren ein. Wir halten mehr Schritte durchaus für plausibel.

Weshalb?
Wir gehen davon aus, dass die Teuerung zurückkehrt – unter anderem, weil hemmende Sonderfaktoren auslaufen. Zu erwähnen sind der Telecom- und der Automobilsektor, wo die Marktsättigung zu schärferer Konkurrenz und tieferen Preisen geführt hat. Kombiniert mit der soliden Konjunktur bleibt der US-Notenbank also der Weg frei, die eine oder andere zusätzliche Zinserhöhung umzusetzen.

Wie geht es in der Eurozone weiter?
Die EZB muss gegen Ende Jahr kommunizieren, wie sie mit der monetären Lockerung fortfährt. Egal, welches Vorgehen sie wählt: Im vierten Quartal 2018 dürfte damit Schluss sein. Die Anhebung des Einlagensatzes aus dem negativen Bereich dürfte Anfang 2019 beginnen. Wir erwarten diesen Schritt also eher ein bisschen später, als der Marktkonsens es andeutet.

Und in der Schweiz?
Die SNB (SNBN 2999 -0.13%) dürfte sich an der EZB orientieren und eins zu eins die Zinsdifferenz aufrechterhalten. Das Zielband dürfte also frühestens 2019 angehoben werden.

Könnte der Franken wegen geopolitischer Spannungen als Fluchtwährung genutzt werden und allein deshalb zulegen?
Wir denken nicht, dass es einen Rückfall in die alten Bandbreiten geben wird, in denen wir uns nach der Aufhebung des Euromindestkurses bewegt haben. Die Wahrnehmung der Eurozone hat sich nachhaltig verbessert, was auch dem Euro gegenüber dem Franken eine fundamentale Stützung verleiht.

Welche Anlagen bergen das attraktivste Verhältnis zwischen Risiko und Rendite?
Wie erwähnt sind wir übergewichtet in Aktien. Hier sehen wir immer noch Potenzial. Im Obligationenbereich ist unsere Quote dagegen sehr tief, weil unter dem Strich nur wenig zu verdienen ist. Erst wenn die zurzeit sehr flache Zinskurve wieder etwas steiler wird, könnte man aufstocken – besonders in den USA.

Wo erkennen Sie weitere Chancen?
Attraktiv sind auch Immobilieninvestments. Dort ist das Potenzial für weitere Aufwertungsgewinne zwar ausgereizt. Die hohen Ausschüttungsrenditen rechtfertigen ein Engagement aber nach wie vor. Dies betrifft sowohl Immobilienfonds als auch Immobilienaktien.

Was stufen Sie als die grössten politischen oder ökonomischen Risiken ein, die in nächster Zeit die Märkte belasten könnten?
Auf der politischen Ebene sehe ich vor allem den Konflikt zwischen den USA und Nordkorea. Der zweite Unsicherheitsfaktor ist Europa: Frankreich war mit der Eindämmung des Populismus Auslöser der Beruhigung. Hier könnte irgendwann die Stimmung kippen und Staatspräsident Macron in grössere Widerstände laufen. Auch in Italien könnte sich die Stimmung im Wahlkampf zuspitzen. Ökonomisch sehe ich aber weder in den USA noch in Europa grössere Probleme.

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