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10:54 Uhr - 22.08.2014

«Die Eurokrise ist so gut wie überwunden»

Für William R. Cline vom Peterson Institute for International Economics sind lediglich Griechenland und Spanien noch mit Restrisiken behaftet. Deutschland werde das Zugpferd der Eurozone bleiben.

Herr Cline, Sie sind, was die Zukunft der Eurozone anbetrifft, ein ausgesprochener Optimist. Die europäische Schuldenkrise halten Sie für effektiv überwunden. Ist das nicht angesichts der noch bestehenden Risiken ein wenig übertrieben?
Ich sehe die Dinge in der Tat positiv, würde aber nicht so weit gehen, zu sagen, dass ich die Krise für überwunden halte. Um wirklich sagen zu können, dass sie der Vergangenheit angehört, müssen wir stärkeres Wachstum in den Ländern der Peripherie sehen. Zur PersonDer amerikanische Nationalökonom William R. Cline arbeitet seit 1981 beim Peterson Institute for International Economics (PIIE) in Washington. Nach seinem Studienabschluss an der renommierten Princeton Universität promovierte Cline an der Yale Universität. Er unterrichtete später in Princeton und diente danach als leitender Ökonom und Berater in der internationalen Abteilung des US-Finanzministeriums. Von 1996 bis 2001 war Cline Chefvolkswirt und stellvertretender Direktor beim Institute of International Finance (IIF) in Washington. Der Ökonom ist der Verfasser zahlreicher Studien über internationale Finanzkrisen. Sein jüngstes Buch, «Managing the Euro Area Debt Crisis», beschreibt die europäische Schuldenkrise als grösstenteils überwunden. Darin wendet Cline sein bewährtes Modell zur akkuraten Prognose der Schuldenentwicklung in Krisenländern an, das Wachstum, die fiskalische Position der Staaten, die Zinsspanne bei Staatsanleihen, die Kapitalausstattung der Banken und Erlöse aus Privatisierungen berücksichtigt. Dauerhafte Stagnation oder niedrige Wachstumsraten bergen die Gefahr, dass die Bereitschaft der Politiker nachlässt, sich an die Sparprogramme zu halten. Vorbei ist die Krise nicht ganz, doch die Probleme werden gut gemeistert, und die Ziellinie ist in Sicht.

Ihrer Zuversicht sind Grenzen gesetzt. Sie meinen, dass sich die Staatsverschuldung in fast allen Ländern der Peripherie auf einem tragfähigen Pfad bewegt, die Lage in Griechenland aber weiterhin prekär ist. Spanien bereitet Ihnen ebenfalls gewisse Sorgen. Können Sie die Unterschiede erläutern?
Der Unterschied besteht darin, dass drei Länder, nämlich Italien, Irland und Portugal, auf Kurs sind, ihre Verschuldungsquoten, die auf bis zu 135% stiegen, bis 2020 auf etwa 110 bis 115% herunterzuschrauben. Spanien hingegen, wo die Quote bei etwa 90% lag, bewegt sich nun auf 100 bis 110 % zu. In den Ländern der Peripherie halte ich eine Veschuldungsquote sebst in dieser Höhe für mittelfristig tragfähig. Langfristig sollte Spanien aber unter Einhaltung der Sparvorgaben versuchen, sich auf die von Maastricht vorgeschriebenen 60% hinzubewegen. Will Spanien etwa ab 2018 wieder beginnen, die Schulden so weit abzubauen, dass dieses Ziel erreicht werden kann, dann müsste allerdings eine Überschussquote von 4% und nicht jene 1,7% realisiert werden, die ich derzeit für wahrscheinlicher halte.

Und Griechenland?
Das ist ein zweischneidiges Schwert. Zum einen übertreibt die schiere Höhe der Schuldenquote die Ernsthaftigkeit des Problems. Das hängt damit zusammen, dass der grösste Teil der bestehenden griechischen Verpflichtungen – diese wurden gegenüber anderen europäischen Staaten und Organisationen wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF) eingegangen – deutlich unter dem Marktzins verzinst werden. Ähnlich wie seinerzeit bei den Highly Indebted Poor Countries (HIPC) Afrikas ist die Schuldenlast deutlich geringer, wenn der Zins fast bei Null liegt. Dann könnte sich ein Staat wie Griechenland praktisch umsonst immer weiter verschulden. Dabei kann ich mir durchaus vorstellen, dass gar keine weitere Hilfe benötigt wird.

Das ist ja ein relativ günstiges Zukunftsszenario. Wo sind denn die Risiken, von denen Sie sprechen?
Das hat alles mit Cash Flow zu tun. Kritisch wird es circa ab 2020, wenn die Rückzahlungen richtig beginnen. Dann wird sich die Frage stellen, ob Griechenland über die liquiden Mittel verfügt, um seine Schulden zu begleichen oder die Gläubiger bereit sind, die Kredite zu strecken. Falls es keine weiteren Umschuldungen gibt und die flüssigen Mittel nicht da sind, dann müsste sich das Land wieder privater Finanzierungsquellen bedienen, und inwieweit Kreditgeber dann schon bereit sein werden, den Geldhahn wieder aufzudrehen, ist fraglich. Ein Dauerrisiko bleiben natürlich soziale Unruhen oder politische Änderungen. Selbst im Falle eines Regierungswechsels wäre aber jede neue Regierung gut beraten, den eingeschlagenen Kurs fortzusetzen und eingegangene Verpflichtungen einzuhalten.

Was geschieht denn, wenn das Wachstum in Europa sehr schwach bleibt und vor allem die Zinsen steigen, verfliegt dann auch Ihr Optimismus?
Ich halte die Wahrscheinlichkeit, dass meine Baseline-Prognosen für die peripheren Länder akkurat sind, für hoch. Von 2015 bis 2018 gehe ich von durchschnittlichen Wachstumsraten von 2,5% für Irland, 1,7% für Portugal, 1,3% in Italien und 0,8 % in Spanien aus. Sollte die Eurozone hingegen deutlich schwächer wachsen, dann wäre auch anzunehmen, dass die Zinsen gar nicht oder zumindest deutlich langsamer steigen. Geringeres Wachstum und ein geringerer Zinsanstieg würden sich also mit Blick die Folgen für Schulden und Haushaltsdefizite teilweise ausgleichen. Fortschritte beim Schuldenabbau wären trotzdem möglich, nur würden sie etwas langsamer erfolgen.

Sie vertreten die Auffassung, dass die Outright Monetary Transactions (OMT) der Europäischen Zentralbank (EZB) der entscheidende Faktor sind, der zur Stabilisierung der Eurozone beigetragen hat. Getätigt wurden ja noch keine Käufe, ist es somit vorwiegend der psychologische Effekt?
Die OMT hätten ja durchaus am Widerstand der Deutschen scheitern können, da man  nachvollziehbarerweise nur ungern bereit war, Haushaltsdefizite durch Geldspritzen der Notenbanken zu finanzieren. Doch die Bedeutung, in der EZB für die hoch verschuldeten Staaten einen «Lender of last resort» zu haben, ist enorm. Schlichtweg die Gewissheit, dass sie im Bedarfsfall einspringen könnte, hat die Krise deutlich entschärft.

Halten Sie die Sparprogramme, die den Schuldnerstaaten vorgeschrieben wurden, für exzessiv?
Cline:
 Speziell für Griechenland, Portugal und Irland waren noch höhere als die bereits bestehenden Defizite keine realistische Alternative. Sie hatten ihren fiskalpolitischen Spielraum restlos erschöpft und hatten sich damit selbst den Zugang zu den Kapitalmärkten und anderen Finanzierungsquellen versperrt. Das galt sowohl für europäische Geberländer als auch den IWF.

Wie sieht es mit Spanien und Italien aus?
Cline:
Auch für sie wäre es keineswegs ratsam gewesen, sich weiter zu verschulden. Früher oder später greifen nämlich negative Multiplikatoren. Dies bedeutet, dass staatliche Ausgabenprogramme nicht mehr die Wirtschaft stimulieren, sondern die immer grössere Wahrscheinlichkeit einer Staatspleite negativ auf die Märkte und später die Gesamtwirtschaft durchschlägt. So gesehen halte ich die Sparprogramme, so streng sie auch sein mögen, für angemessen. Bessere Alternativen gab es keine.

Wird Deutschland der Anker der Eurozone bleiben?
Ja. Die Deutschen haben eindeutig das Richtige getan, indem sie für den Fortbestand der Eurozone kämpften. Sie werden auch weiterhin das Zugpferd sein, wobei ich gern deutlich mehr Konvergenz sehen würde. Ich sehe langfristig eine Situation, in der die angeschlagenen Länder ihre Staatsfinanzen wieder im Griff haben, sich stärker erholen und wieder den Anschluss finden an die wohlhabenderen Länder der Eurozone. Dann werde ich die Krise für vollständig, und nicht wie heute für «fast» überwunden erklären. Deutschland wird der Anker bleiben, aber es sollte nicht auf Dauer auch die Rolle des Roten Kreuzes übernehmen müssen.

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