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16:27 Uhr - 25.08.2015

Kaufen oder abwarten? Das raten Strategen

Der Ausverkauf an den globalen Aktienmärkten verunsichert die Anleger. Marktstrategen erklären, wie sie die Ereignisse einschätzen und welchen Einfluss der Kurseinbruch auf die Zinspolitik der US-Notenbank haben könnte.

Was Investoren wollen: Fünf Fragen an vier verschiedene Profis unterschiedlicher Banken.

 

Philipp Vorndran
Kapitalmarktstratege, Flossbach von Storch

Philipp Vorndran Bild: ZVGWie bedrohlich ist der Ausverkauf an den Börsen? Handelt es sich um eine normale Korrektur, oder erleben wir den Anfang eines Bärenmarktes?
Es handelt sich bei dieser Korrektur nicht um einen Trendwechsel. Das, was im Moment passiert, ist sehr stark eine vom Sentiment getriebene Entwicklung. Unserer Meinung nach ist die Korrektur aber nicht von Dauer. Natürlich kann sie noch ein paar Tage weitergehen, und es kann sein, dass, wer jetzt Aktien kauft, in einigen Tagen temporäre Verluste hinnehmen muss. Aber wir sind an einem Punkt angekommen, wo Dividendenrendite und Bewertung wieder attraktiv sind. Spätestens zum Jahresende dürfte deshalb der Mut zu Käufen in der Schwächephase der letzten Tage belohnt werden. 

Ist China der einzige Risikoherd?
Wir erwarten für die nächsten Jahre ein sehr moderates Wirtschaftswachstum. Es gibt aber das Risiko, dass wir auch mit dieser zurückhaltenden Schätzung noch zu positiv sind. Wenn das Fed trotz der aktuellen Entwicklungen die Zinsen anhebt, wäre es wenig überraschend, wenn wir in den USA im zweiten Halbjahr 2016 über eine zyklische Rezession reden. Der Chinacrash allein wird keine Weltrezession auslösen, aber eine Wachstumsrezession ist wahrscheinlicher geworden.  

Sollen Anleger die Korrektur zum Kauf von Aktien nutzen oder zuwarten?
Wir sind im Moment dabei, unsere Kauflisten aufzustellen, und suchen die Unternehmen heraus, die wir auch bei weiterer Marktschwäche kaufen wollen. In die ersten dieser Titel haben wir bereits am Montag investiert. Es geht bei uns klar um den weiteren Aufbau von Aktienpositionen, nicht um Reduktion. Relativ zu anderen Anlageklassen sind Aktien durch den Kursrückgang noch attraktiver geworden. Dieser Aufbau sollte aber schrittweise geschehen, indem man die geplante Position splittet und einen ersten Teil in den nächsten Tagen investiert.

Wo sehen Sie konkrete Kaufgelegenheiten? Welche Anlageklassen und Sektoren sind interessant, welche meiden Sie?
Wir fokussieren uns auf Unternehmen mit hoher Gewinnstabilität und -qualität, die wenig konjunkturanfällig sind. Wir setzen daher auf Pharmatitel oder Aktien von Konsumgüterproduzenten, dazu zählen Nestlé, Unilever und Novartis. Auch Danaher und MasterCard, aber auch eine BASF stehen auf unserer Liste. Im Energiebereich waren wir bisher kaum investiert, aber beim niedrigen Ölpreis schauen wir uns Konzerne wie Occidental Petroleum und ConocoPhillips wieder genauer an. Es handelt sich also um die allererste Riege der Unternehmen, die selbst bei einer schwachen Realwirtschaft liquide und solvent sind und relativ stabile Gewinnaussichten aufweisen.

Was bedeutet die Korrektur für die Zinspläne der US-Notenbank?
Die US-Notenbank hat sich selbst in eine Ecke gedrängt. In den vergangenen achtzehn Monaten hat sie so oft von der Zinswende gesprochen, dass der Markt langsam eine Aktion erwartet. Aber ein Zinsschritt ist in den letzten Tagen deutlich unwahrscheinlicher geworden. Selbst wenn das Fed den Schritt wagt, wäre das nicht die viel diskutierte Zinswende. Das globale Zinsniveau wird noch für sehr lange Zeit extrem niedrig bleiben. Damit fehlen aber für mittelfristig orientierte Investoren Anlagealternativen zu erstklassigen Aktien.

 

Michael Strobaek
Chief Investment Officer der Credit Suisse Group

Michael Strobaek Bild: ZVGWie bedrohlich ist der Ausverkauf an den Börsen? Handelt es sich um eine normale Korrektur, oder erleben wir den Anfang eines Bärenmarktes? 
Wir gehen im Moment nicht davon aus, dass wir vor einem neuen Bärenmarkt stehen. Die ökonomischen Indikatoren und die geldpolitische Lage weltweit sprechen dagegen. Die meisten Anleger sind aber von der Korrektur überrascht worden, und sie ist noch nicht vorbei. Es dauert voraussichtlich noch einige Wochen, bis die Unsicherheit, und damit die Korrektur, vorüber ist. Der Grund dafür ist die US-Notenbank, die am 16. September ihre nächste Zinssitzung hat und über die erste Zinserhöhung seit mehr als zehn Jahren entscheidet. Zudem sorgen die erneuten Kursverluste an den chinesischen Börsen weiterhin für Unsicherheit an den westlichen Aktienmärkten.

Ist China der einzige Risikoherd?
Wenn sich der Ölpreis nicht stabilisiert oder noch weiter absackt, werden wir womöglich weitere grosse Turbulenzen sehen. Verlangsamt sich gleichzeitig die Konjunktur in China und erhöht die US-Notenbank im September die Zinsen, könnte das die Kombination für eine Emerging-Markets-Krise sein. Das könnte tatsächlich der Auslöser für die Überleitung in einen Bärenmarkt sein. Eine solche Entwicklung dauert aber Monate.

Sollen Anleger die Korrektur zum Kauf von Aktien nutzen oder zuwarten? 
Wir raten davon ab, jetzt schnell zuzuschlagen. Stattdessen sollten Anleger Schwerpunkte innerhalb ihres Aktienportfolios setzen. Wir bevorzugen Titel aus der Schweiz und Europa. Dagegen sollten Positionen in Schwellenländeraktien reduziert werden. Es ist aber zu früh, jetzt aus Aktien auszusteigen. Panikverkäufe sind auf keinen Fall angezeigt. Investoren sollten abwarten, bis sich die Lage in China und am Energiemarkt stabilisiert hat – dann eröffnen sich Kaufgelegenheiten.

Wo sehen Sie konkrete Kaufgelegenheiten? Welche Anlageklassen und Sektoren sind interessant, welche meiden Sie?
Insbesondere Schweizer Titel sind bei den niedrigeren Kursen attraktiver geworden. Wir setzen auf Small und Mid Caps sowie auf qualitativ hochstehende Dividendentitel. Auf Sektorebene empfehlen wir Gesundheitsvaloren und Papiere aus dem Bereich Nicht-Basiskonsumgüter. Dazu zählen etwa Novartis, Roche und Richemont.

Was bedeutet die Korrektur für die Zinspläne der US-Notenbank?
Wir erwarten, dass das Fed die Zinsen im September erhöhen wird. Die Arbeitsmarktdaten und die ökonomischen Indikatoren legen die Basis dafür. Zudem zögert das Fed den Schritt bereits seit geraumer  Zeit hinaus. Die Märkte reagieren extrem empfindlich auf die globalen Wachstumsaussichten, das zeigt die derzeitige Korrektur.  Wenn das Fed mit der Straffung der Geldpolitik wartet, könnte es diese Unsicherheit erhöhen, weil Zweifel am amerikanischen Wirtschaftsaufschwung geschürt werden. Erste Hinweise auf einen Zinsschritt könnten wir bereits am Wochenende am Treffen der Notenbanker in Jackson Hole erhalten. 

 

Harald Preissler
Leiter Anlagemanagement der Bantleon Bank

Harald Preissler Bild: ZVGWie bedrohlich ist der Ausverkauf an den Börsen? Handelt es sich um eine normale Korrektur, oder erleben wir den Anfang eines Bärenmarktes?
Von einer normalen Korrektur zu sprechen, ist angesichts der Dimension des Kurseinbruchs sicherlich verniedlichend. Fakt ist aber auch, dass es ausschliesslich die Faktoren Angst und Verlustbegrenzung sind, die für den Einbruch verantwortlich zeichnen. Die fundamentale Datenlage hat sich hingegen nicht verändert und ist nach wie vor positiv. Das gilt für die USA ebenso wie für Europa. Und selbst in China stehen die Zeichen nicht auf Rezession; der Konjunkturausblick in China ist gerade vor dem Hintergrund immer stärker werdender makroökonomischer Stimuli positiv und steht in keinem Verhältnis zur Panikstimmung an den Märkten.

Ist China der einzige Risikoherd?
China ist nicht der einzige, aber der wesentliche Angstherd. Alle anderen Schwellenländer werden durch die chinesische Brille betrachtet. Eine differenzierte Beurteilung der makroökonomischen Lage der verschiedenen Schwellenländer findet momentan nicht statt. Ausserdem werden viele institutionelle Anleger von ihrem Risikomanagement zum Handeln gezwungen und nicht von einer Neubewertung des fundamentalen Ausblicks.

Sollen Anleger die Korrektur zum Kauf von Aktien nutzen oder zuwarten?
Anleger sollten zunächst eine Beruhigung der Lage abwarten und dann die deutlich niedrigeren Aktienkurse zum Einstieg nutzen. 

Wo sehen Sie konkrete Kaufgelegenheiten? Welche Anlageklassen und Sektoren sind interessant, welche meiden Sie?
Wir sehen vor allem europäische Aktien perspektivisch positiv. Die Konjunktur in Europa läuft derzeit rund, was einer starken Binnennachfrage zu verdanken ist. Das macht die sonst so anfälligen Euromärkte widerstandsfähiger, als es früher der Fall war.

Was bedeutet die Korrektur für die Zinspläne der US-Notenbank?
Wenn die Märkte aus Furcht vor einer globalen Rezession weiter kollabieren, wird die US-Notenbank die Zinsen nicht erhöhen. Wir gehen allerdings davon aus, dass sich die Lage bald beruhigt – und dann steht der Zinswende auch nichts im Wege.

 

Christoph Schenk
Chief Investment Officer der Zürcher Kantonalbank

Christoph Schenk Bild: ZVGWie bedrohlich ist der Ausverkauf an den Börsen? Handelt es sich um eine normale Korrektur, oder erleben wir den Anfang eines Bärenmarktes?
Der Ausverkauf an den Börsen ist völlig übertrieben. Man muss diese Korrektur ernst nehmen, denn wir haben innerhalb kurzer Zeit hohe Abschläge von bis zu 10% gesehen. Aber es handelt sich um Panikmache. Das hat nichts mehr mit den Fundamentalwerten zu tun. In den USA läuft die Wirtschaft gut. Europa erholt sich und ist dank der Entspannung der Griechenlandkrise robuster. Der Aufschwung ist bedeutend stärker als noch vor einem Jahr. Daran werden auch die jüngsten Entwicklungen nichts ändern. Zudem wird die chinesische Regierung einer Abkühlung der Konjunktur nicht tatenlos zuschauen. Sie will an der Macht bleiben, und dafür braucht sie Wirtschaftswachstum. Wir halten die Korrektur daher für vorübergehend.

Ist China der einzige Risikoherd?
Ein grosses Fragezeichen bleibt die mögliche Zinserhöhung des Fed im September. Sie würde viele Anleger auf dem falschen Fuss erwischen. Aber der Markt fokussiert im Moment auf China: Wird China die Weltwirtschaft mit nach unten reissen? Wir glauben, nein. Aber die Krise in den Schwellenländern ist noch nicht ausgestanden. Besonders Länder, die einen hohen Anteil an Rohstoffen nach China exportieren, werden sehr stark leiden. Dazu zählt etwa Brasilien.

Sollen Anleger die Korrektur zum Kauf von Aktien nutzen oder zuwarten?
Wir halten an unserem leichten Übergewicht in Aktien fest. Deshalb eröffnet diese Korrektur Kaufgelegenheiten. Wichtig ist jetzt, ruhig Blut zu bewahren, auf die Fakten zu schauen und nicht in Panik zu verfallen. Ein gutes Beispiel für die gegenwärtigen Übertreibungen ist Swisscom. Es handelt sich um einen reinen Schweizer Titel, der Konzern verdient nichts in China. Dennoch hat die Aktie am Montag mehr als 5% eingebüsst.

Wo sehen Sie konkrete Kaufgelegenheiten? Welche Anlageklassen und Sektoren sind interessant, welche meiden Sie?
Wir setzen nach wie vor auf europäische und amerikanische Titel. Dagegen haben wir unser Übergewicht in japanischen Aktien etwas reduziert. Zwar profitiert das Land vom schwachen Yen, aber China ist ein Hauptexportmarkt. Wir erwarten weiterhin, dass Japan wachsen wird, aber nicht so stark wie bisher angenommen. Unser Engagement in Schwellenländern haben wir bereits vor einigen Monaten auf null reduziert, weil sich zu viele Fragezeichen gestellt haben. In der Schweiz werden derzeit Titel aus dem Luxusgütermarkt oder mit einer hohen Kostenbasis in der Schweiz am härtesten abgestraft. Weniger betroffen sind Pharmawerte oder Aktien aus der nichtzyklischen Konsumgüterindustrie. Das ist aber nicht neu.

Was bedeutet die Korrektur für die Zinspläne der US-Notenbank?
Wenn der Druck auf die Finanzmärkte anhält, wird die US-Notenbank die Zinserhöhung verschieben. Sie ist darauf bedacht, dass die Vermögenswerte erhalten bleiben. Wenn sie jetzt, kurz vor der Ziellinie, unklug handelt, zerstört sie die Arbeit der vergangenen Jahre. Wir erwarten derzeit, dass das Fed die Zinsen im September nicht erhöhen wird. Der Devisenmarkt nimmt das bereits vorweg: Der Dollar hat sich abgeschwächt, im Gegenzug hat sich der Euro verteuert.

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