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10:20 Uhr - 17.07.2018

Frühindikator Baltic Dry führt in die Irre

Der Frachtindex ist klar gestiegen. Die Aussichten für den Welthandel bleiben dennoch getrübt.

Geraume Zeit galt der Baltic Dry (BDI) als zuverlässiger Frühindikator der globalen Konjunktur. Der Index bildet die Frachtraten für Massengüter wie Eisenerz oder Kohle (Kohle 107.05 0%) ab (vgl. Glossar). Weil auf dem Seeweg oft Rohmaterialien verschoben werden, die in die Fertigung von Vor- und Endprodukten eingehen, deute er früh auf Veränderungen in der Entwicklung der Weltwirtschaft hin. So zumindest die Theorie.

Der jüngste Anstieg des BDI wurde deshalb von gewissen Marktakteuren mit Erstaunen aufgenommen. Sind die Auswirkungen des sich verschärfenden Handelskonflikts womöglich weniger schlimm, als gemeinhin befürchtet wird und als dies die jüngste Preisschwäche diverser Industriemetalle suggeriert?

Überkapazitäten abgebaut

Die Entwicklung des BDI wird nicht nur durch die Nachfrageseite – also von den zu transportierenden Gütervolumen – bestimmt. Eine wichtige Rolle spielt auch die Angebotsseite, die von der Verfügbarkeit von Frachtschiffen abhängt. Da es meist zwei bis drei Jahre dauert, bis ein Schiff fertiggestellt wird, bleibt die Kapazität auf kurze Frist jedoch unelastisch.

Dies war besonders deutlich im Nachgang der Finanzkrise 2008/09 zu sehen:  Die in diversen Ländern eingeleiteten Konjunkturprogramme umfassten vielerorts auch die Fertigung von Schiffen. Dies führte zu einem massiven Kapazitätsüberangebot, das die Frachtraten verfallen liess – und die Nachfragesensitivität der Notierungen spürbar verringerte.

In der Zwischenzeit hat die Schiffindustrie allerdings Konsequenzen gezogen, Bauvorhaben sistiert, Schiffe verschrottet und damit das Überangebot reduziert. Das lässt sich unter anderem an den Kapitalinvestitionen (Capex) erkennen, die seit einigen Jahren primär darauf ausgerichtet sind, Kapazitäten zu erhalten denn weiter auszubauen.

Deshalb ist davon auszugehen, dass der BDI wieder stärker auf die Nachfrageentwicklung reagiert. Was also hat die jüngste Avance der Frachtraten ausgelöst? Die Analysten von Capital Economics weisen darauf hin, dass die Indexzunahme praktisch ausschliesslich im Segment Capesize stattgefunden habe. Plausibel sei, dass das Wachstum durch eine hohe Nachfrage Chinas nach Kraftwerkskohle ausgelöst wurde, die schwergewichtig mittels Capesize-Frachtern transportiert werden. Tatsächlich sind die Notierungen von australischer Kraftwerkskohle – gemessen an den Preisen im weltgrössten Exporthafen Newcastle – seit Jahresbeginn klar gestiegen.

Der höhere Bedarf lasse sich wiederum auf den heisser als üblich ausgefallenen Sommer in China zurückführen: Nicht nur treiben hohe Temperaturen den Stromverbrauch nach oben, etwa für den verstärkten Betrieb von Klimaanlagen. Parallel dazu habe die allgemeine Trockenheit die Stromproduktion durch Wasserkraftwerke verringert. Zudem wurde die Binnenproduktion von Kohle über die letzten Jahre zurückgefahren, was die Importabhängigkeit verstärkt habe.

Die Analysten von Capital Economics gehen deshalb schlussfolgernd davon aus, dass sich der BDI wieder zurückbildet, sobald sich die Wetterbedingungen normalisieren. Wer mit Blick auf den BDI hoffe, dass sich die Weltkonjunktur dem verschärften Protektionismus entziehen könne, hoffe wahrscheinlich vergebens.

Bestellungen vorgezogen

Der jüngste Anstieg – so eine andere Erklärung für die gestiegenen Frachtraten – könnte auch damit zusammenhängen, dass in der Erwartung höherer Strafzölle zahlreiche Bestellungen vorgezogen wurden.

Auf dieses Phänomen wiesen jüngst Analysten von LogIndex hin, eine Tochter des Schweizer Frachtlogistikers Kühne + Nagel (KNIN 153.15 1.16%): Einige Abnehmer hätten wahrscheinlich vorsorglich Quantitäten eingeführt. Darauf deuteten etwa die Stahlimporte in die USA hin, die in den Monaten April und Mai ein neues Zwischenhoch erreicht hätten. Dieses Vorziehen der Bestellungen dürfte in den kommenden Monaten zusätzlich eher dämpfend auf den Welthandel wirken.

 

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