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12:15 Uhr - 10.02.2015

«US-Aktien sind nicht überbewertet»

Helen Ford, Portfoliospezialistin für US-Aktien bei T. Rowe Price, sieht trotz der gestiegenen Bewertungen Chancen im amerikanischen Aktienmarkt.

Frau Ford (F 14.67 0.76%), wie schätzen Sie die Entwicklung der US-Konjunktur für 2015 ein?
Die amerikanische Wirtschaft dürfte in diesem Jahr stärker expandieren als im vergangenen. Wir erwarten ein Wachstum zwischen 3 und 3,5%. Die Arbeitslosenrate ist deutlich gesunken, dieser Trend wird sich fortsetzen. Zudem zeichnet sich erstmals seit einigen Jahren ein leichtes Wachstum bei den Löhnen ab. Das wird das Wirtschaftswachstum zusätzlich ankurbeln. Auch die Lage am Häusermarkt dürfte sich weiterhin verbessern.

Zur PersonHelen Ford ist Portfoliospezialistin für US-Aktien bei T.Rowe Price.

Im vergangenen Jahr sind die Löhne kaum gestiegen. Wieso wird sich das ändern?
Die Arbeitslosenrate liegt gegenwärtig unter 6%, nachdem sie während der Wirtschaftskrise bis auf 10% geklettert war. Damit steigt auch die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer. Wir sehen erste Anzeichen, dass die durchschnittlichen Stundenlöhne steigen. Allerdings starten sie von sehr niedrigem Niveau.

Auch die Erholung des Immobilienmarktes verlief bislang äusserst schwach.
Wir erwarten keinen schnellen, kräftigen Aufschwung, sondern eine graduelle Erholung über viele Jahre. Die Preise für Wohneigentum steigen immer noch, aber die Wachstumsrate ist geringer. Heute leben viel mehr junge Erwachsene bei ihren Eltern als früher. Das führt zu einer aufgestauten Nachfrage nach Immobilien. Die strengen Kriterien bei der Kreditvergabe für Hypotheken verhindern derzeit aber eine schnelle Belebung. Daran dürfte sich vorerst nichts ändern.

Welchen Effekt hat der fallende Ölpreis auf die US-Wirtschaft?
Insgesamt dürfte sich der Zerfall des Ölpreises positiv auswirken. Es gibt natürlich Verlierer. Zahlreiche Energiekonzerne senken ihre Kapitalausgaben. Öl- und Gasfelddienstleister leiden besonders. Wir haben bereits erste Entlassungen in dieser Branche gesehen. Unternehmen, die Energie nutzen, gehören dagegen zu den Gewinnern, darunter sind Chemiekonzerne und Versorger. Auch die Konsumenten profitieren von niedrigen Benzin- und Heizkosten. Sie sind für die US-Wirtschaft eine der wichtigsten Stützen.

Bislang hat sich der sinkende Ölpreis kaum auf die Konsumausgaben ausgewirkt.
Es braucht etwas Zeit, bis die Konsumenten auf den niedrigeren Ölpreis reagieren. Die Energiepreise sind 2014 zunächst leicht gefallen. Die Talfahrt des Ölpreises hat sich im November beschleunigt, und diese Entwicklung setzt sich bis heute fort. Das Konsumentenvertrauen hat sich in dieser Zeit verbessert. Die Voraussetzung ist, dass die Verbraucher den Eindruck haben, der Ölpreis bleibe für längere Zeit niedrig und erhole sich nicht innerhalb von zwei Monaten.

Wie werden sich die Energiepreise denn entwickeln?
Die Notierungen am Ölmarkt werden für einige Zeit niedrig bleiben. Das Angebot an Schieferöl aus den USA ist in den vergangenen Jahren gewachsen, und dieser Trend wird sich fortsetzen. Viele Produzenten haben eine niedrige Kostenbasis und können trotz der sinkenden Preise weiter produzieren. Es braucht Zeit, bis der Markt wieder im Gleichgewicht ist.

Erwarten Sie für dieses Jahr die erste Zinserhöhung der US-Notenbank?
Das Fed hat sich während der Rezession und der Erholung sehr pragmatisch verhalten. Es will den Aufschwung nicht abwürgen. Dennoch: Mit den anziehenden Löhnen, der stetig sinkenden Arbeitslosigkeit und der generell guten Verfassung der US-Wirtschaft steigt der Druck, die Geldpolitik zu normalisieren. Den ersten Schritt hat das Fed mit dem Ende von Quantitative Easing gemacht. Als Nächstes steht die Erhöhung der Zinsen an. Es ist wahrscheinlich, dass es die Zinsen Mitte Jahr heraufsetzen wird.

Welche Entwicklungen könnten zu einer Verzögerung führen?
Seit der Ölpreis kollabiert ist, hat sich die Bandbreite an Prognosen hinsichtlich der Zinserhöhung vergrössert. Die Zweifel, dass das Fed die Zinsen Mitte Jahr tatsächlich heraufsetzen wird, haben zugenommen. Aber das Fed muss vorausschauend handeln. Die US-Wirtschaft wird stärker. Wenn der Konjunkturzyklus dreht, würde die Notenbank darauf im Normalfall mit einem Zinsschnitt reagieren. Das geht nicht, wenn die Zinsen schon bei null sind. Deshalb muss das Fed aktiv werden.

Wie wird sich der US-Aktienmarkt 2015 entwickeln?
Wir erwarten einen hohen einstelligen bis niedrigen zweistelligen Gewinn. Die globalen makroökonomischen Herausforderungen verhindern höhere Kursgewinne. Zudem sind die Bewertungen höher, als sie es noch vor zwei oder drei Jahren waren. Aber die starken Bilanzen der US-Konzerne und die gute Wirtschaftslage werden sich positiv auswirken.

Könnte die Zinserhöhung für einen Dämpfer sorgen?
Kurzfristig wird die Zinswende Nervosität auslösen. Aber wenn die Zinsen steigen, weil die Wirtschaft robuster ist, ist das grundsätzlich eine positive Entwicklung. Eine stärkere Konjunktur bedeutet eine steigende Profitabilität der Unternehmen. Insgesamt dürfte die Zinserhöhung die Aktienmärkte unterstützen.

Sind US-Aktien nicht bereits zu teuer?
Wir halten den amerikanischen Aktienmarkt gegenwärtig für fair bewertet. Die Bewertungen sind zwar gestiegen, aber das reflektiert das Gewinnwachstum. Der Markt ist sicherlich nicht überbewertet, und im Vergleich zu Obligationen sind Aktien attraktiv.

Die Gewinnmargen sind bereits sehr hoch. Gibt es da noch Luft nach oben?
Für den Markt als Ganzes wird es tatsächlich schwierig sein, die Margen zu steigern. Doch dank der tiefen Rohstoffpreise ist auch kein Einbruch zu erwarten. Es wird darum gehen, die Unternehmen zu identifizieren, die in diesem Umfeld ihren Ertrag steigern oder die Kosten reduzieren können. Es ist ein ideales Umfeld für Stock Pickers.

Welche Sektoren bevorzugen Sie 2015?
Industrie und Konsumgüter sind vielversprechende Branchen. Im Konsumgütersektor gibt es zahlreiche Opportunitäten, dazu gehören etwa Automobilhersteller, Medienkonzerne sowie Online-Händler und traditionelle Einzelhändler. Hotels und Restaurants werden davon profitieren, dass die Konsumenten mehr Geld zur Verfügung haben.

Von welchen Sektoren raten Sie ab?
Wir meiden den Energiesektor. Ausserdem sind wir kaum in Unternehmen der Metall- und der Bergbaubranche investiert. Die sinkenden Ölpreise drücken auch auf andere Rohstoffpreise. Sehr teuer sind zudem regulierte Versorger innerhalb der USA. Sie bieten eine interessante Rendite und sind deshalb gefragt. Entsprechend sind die Bewertungen gestiegen.

Sie bevorzugen grosskapitalisierte Unternehmen gegenüber Small Caps. Warum?
Small Caps haben sich in den vergangenen Jahren besser entwickelt als Large Caps. Der Vergleich des Kurs-Gewinn-Verhältnisses zeigt, dass Investoren für kleine Unternehmen gegenwärtig einen Aufschlag zahlen. Diese Entwicklung ist nicht nachhaltig. Zwar erwarten wir keinen Bärenmarkt in Small Caps, aber der Performanceunterschied wird sich zugunsten der Grosskonzerne auswirken.

Zeichnet sich im Technologiesektor eine neue Blase ab?
Die aufsehenerregenden Börsengänge von IT-Konzernen sorgen für Nervosität unter den Anlegern. Es erinnert sie an die Übertreibungen Ende der Neunzigerjahre.  Aber die Technologieunternehmen sind heute viel profitabler als damals. Sie bewegen sich in einem Markt, der weiter entwickelt ist, es gibt mehr Produkte und Dienstleistungen. Das Gleiche gilt für Biotechnologiekonzerne. 1999 gab es zahlreiche Börsengänge von Unternehmen, die kein Geld verdienten und auch auf absehbare Zeit kein Geld verdienen würden. Die Bewertungen sind heute zudem niedriger als damals. Es gibt nach wie vor attraktive Anlagemöglichkeiten im IT-Sektor. Natürlich muss man die Entwicklung im Auge behalten, aber es handelt sich nicht um eine Wiederholung von 1999.

Wie schätzen Sie die Verfassung des Finanzsektors ein?
Dieser Sektor ist eine wichtige Komponente für Value-Strategien. Wir haben unsere  Position aufgebaut. Das regulatorische Umfeld der Banken ist geprägt von hoher Unsicherheit. In den vergangenen Jahren gab es zahlreiche Gerichtsverfahren, und es sind hohe Bussen gegen führende Finanzinstitute verhängt worden. Das schürt Unsicherheit. Gleichzeitig hat sich das Geschäft vieler Banken erholt, wenn auch nur leicht. Aber sie verdienen wieder mehr Geld, und der Ertrag verbessert sich. Das US-Finanzsystem befindet sich insgesamt in einer relativ guten Verfassung. Wenn die Zinswende kommt, sind viele Institute zudem so positioniert, dass sie davon profitieren werden.

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