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16:00 Uhr - 09.10.2017

Nobelpreis für Modelle gegen das Fehlverhalten

Der amerikanische Verhaltensökonom Richard H. Thaler erforscht Entscheidungsprozesse jedes Einzelnen und bekommt dafür den 49. Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften.

Mit dem 72-jährigen Richard H. Thaler ehrt die Schwedische Akademie der Wissenschaften dieses Jahr einen Forscher, der die fliessenden Grenzen zwischen wirtschaftlichem Handeln und psychologischen Entscheidungsimpulsen auslotet. «Die meisten Ökonomen betrachten den Menschen als Homo oeconomicus», schreibt er 2016 in einem Essay, «meine Kollegen und ich gehen dagegen von einem Homo sapiens aus.» Thalers Forschungsgebiet sind die Behavorial Economics oder die Verhaltensökonomie.

Wirtschaftliches Handeln lässt sich nicht exakt erklären, solange die Akteure als rein rational handelnde Wesen verstanden werden und in einem Umfeld agieren, das stets zu einem Gleichgewicht tendiert. Thaler sucht nach dem systematischen «Fehlverhalten» jedes Einzelnen und versucht es wissenschaftlich zu modellieren.

Gewinne und Verluste

Wie kommt es zum Beispiel, dass das negative Gefühl, das durch einen Verlust ausgelöst wird, stärker ist als das positive Gefühl im Falle eines Gewinns?  Thaler weist diese asymmetrische Reaktion in zahlreichen Lebenssituationen nach und kommt zu dem Ergebnis, dass hier ein Besitztumseffekt (endowment effect) das menschliche Verhalten prägt.

Der Verlust oder Gewinn hängt in unserer Wahrnehmung allerdings immer von einem Referenzpunkt ab. Er macht ihn erst zu einem positiven oder negativen Erlebnis. Das kann der Aktionspreis im Supermarkt sein, der dazu führt, dass der Konsument den Referenzpreis höher setzt als er andernfalls täte. Auch beim Anlegen spielt der Referenzpunkt die entscheidende Rolle: Erst wenn Anleger eine Aktie verkaufen, realisieren sie das Geschäft als Verlust oder als Gewinn. Folglich neigt man dazu, verlustreiche Aktienbestände nicht abzustossen, in der Hoffnung, es wende sich noch alles zum Besseren.

Planer oder Macher

Thalers Theorie der mentalen Buchführung beschreibt, wie wir komplexe Entscheidungen vereinfachen, indem wir sie gedanklich voneinander trennen. Wir denken in einzelnen Konten und entscheiden in Bezug auf die Folgen für jedes separate Konto. Der Blick auf das Ganze kommt dabei zu kurz.

Ein weiteres Dilemma: Erfahrungen, die zeitlich näher liegen, nehmen wir intensiver wahr als weiter entfernte. Im Entscheidungsprozess entsteht so ein Dilemma zwischen der Person, die handeln muss, und jener, die plant. Macher neigen dazu, kurzfristige Ziele zu erreichen, Planer hingegen orientieren sich mehr an einem langfristigen Gewinn. Thaler  folgert daraus, dass Planung häufig etwas Unterstützung benötigt, um den unmittelbaren Versuchungen zu widerstehen.

«Nudge Units» sollen helfen

In diesem Sinne berät er die Politik. Zusammen mit Cass Sunstein empfiehlt er, dass öffentliche und private Institutionen aktiv versuchen sollten, die Entscheidungen von Einzelpersonen in die richtige Richtung zu stimulieren. In den USA, Grossbritannien und Deutschland schufen die Regierungen eigene Büros, sogenannte Nudge Units, die versuchen, diese wissenschaftlichen Erkenntnisse im politischen Alltag umzusetzen.

Thalers Theorie in der politischen Praxis aktiv anzuwenden, findet nicht nur Zuspruch. Kritiker befürchten, dass so der Bürger gegängelt und durch versteckte Anreize zu regierungskonformem Handeln gesteuert wird. Thaler betont allerdings: Die Entscheidungsfreiheit müsse in jedem Fall gewahrt bleiben.

Nach Kahneman und Shiller

Mit Richard Thaler ehrt das Nobelpreiskomitee ein weiteres Mal einen Exponenten der Verhaltensökonomie. Vor fünfzehn Jahren war die Reihe bereits an Daniel Kahneman gewesen,  den Thaler als seinen Mentor bezeichnet. Beide haben über weite Strecken gemeinsam geforscht und zahlreiche wissenschaftliche Artikel zusammen veröffentlicht. Zusammen mit Robert Shiller, dem Nobelpreisträger von 2013, entwickelte Thaler die Behavorial Finance – jenen Bereich der Verhaltensökonomie, der speziell auf Anlagefragen zugeschnitten ist.

Thaler lehrt seit zwölf Jahren an der Booth School of Business der Universität von Chicago. Er wurde 1946 in New Jersey geboren und promovierte an der Rochester Universität.

 

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