Bob Lutz, Ex-Vizepräsident von General Motors, über die Evolution zum fahrerlosen Auto und die Herausforderungen der Branche.
Noch ist vieles Zukunftsmusik. Für Branchenveteran Bob Lutz steht jedoch fest, dass die Autoindustrie auf einen historischen Umbruch zusteuert. Er glaubt, dass künftig autonome Fahrzeugmodule das Strassenbild prägen und menschlich gelenkte Autos bloss noch als Hobby im Privatbereich benutzt werden. Gemäss dem 84-jährigen Schweizeramerikaner, der im Lauf seiner Karriere für General Motors (GM 43.685 1.59%), Ford (F 12.9 0.78%) und Chrysler in leitender Funktion tätig war, wird diese Evolution in den urbanen Zentren beginnen und dort in zwanzig Jahren weitgehend abgeschlossen sein. Damit kommen auf die Autobranche enorme Herausforderungen zu, wie Lutz im schriftlich geführten Interview mit «Finanz und Wirtschaft» festhält.
Herr Lutz, selbstfahrende Fahrzeuge sind die Zukunft. Was bedeutet das für die Autobranche?
Für etablierte Hersteller besteht die grosse Gefahr, dass der «Massentransport» auf der Strasse künftig mit kurzfristig verfügbaren, anonymen Modulen abgewickelt wird. In einer solchen Welt sind Automarken und das Image eines Herstellers bedeutungslos. Verkaufsargumente wie Motorleistung oder Beschleunigungskapazität werden der Vergangenheit angehören: Niemand überholt mehr, schert aus oder stoppt plötzlich. Der Verkehr ist schnell, fliessend und nahtlos.
Was wird diesen Umbruch auslösen?
Die Evolution zum autonomen Fahrzeug wird in den urbanen Zentren beginnen. Das, weil dort der Verkehr einfach nicht mehr bewältigt werden kann. In einer Übergangsphase wird das Strassenbild gemischt sein: Eine wachsende Zahl autonomer Fahrzeugmodule wird sich mehr oder weniger in Harmonie mit einem schrumpfenden Prozentsatz an herkömmlichen Fahrzeugen bewegen. Eines Tages wird den Behörden dann aber klar, dass die Minderheit der menschengesteuerten Fahrzeuge fast alle Unfälle verursacht. Das wird zu Verboten führen, sodass in den Grossstädten und in ihrem Umkreis nur noch Mietmodule erlaubt sein werden.
Wann wird diese Evolution beginnen?
Der Übergang wird fliessend sein. In zwanzig Jahren wird der Verkehr aber in allen Grossstädten der Welt weitestgehend fahrerlos abgewickelt.
Wie lässt sich das historisch einordnen?
Das Zeitalter des Pferdes dauerte Jahrhunderte. Es endete vor rund 120 Jahren mit der Erfindung des Automobils. Autos waren schneller und bequemer, und die nächtliche Entsorgung des täglichen Bergs von Pferdeäpfeln wurde in den Städten zu einem wachsenden Problem. Pferde wurden zwar weiterhin benutzt, aber meist auf privatem Grund als Hobby und Sport. Genau so wird es dem heutigen Auto ergehen: Besitz und Nutzung werden sich primär auf private Motorsportclubs und Allradabenteuer in der Wüste beschränken.
Welche Anbieter liegen bei diesem technologischen Wandel vorne?
Fast alle Autohersteller arbeiten fieberhaft an der Integrierung von Sensoren und Software. In der Summe aller Faktoren – Partnerschaften, eigene Entwicklung, Einbettung hochpräziser digitaler Landkarten etc. – ist heute ziemlich eindeutig General Motors führend. Das zeigt sich am Beispiel des Cadillac CT6, der im SuperCruise-Modus bereits einen hohen Grad an Autonomie aufweist.
Welche Rolle spielt dabei die Elektrifizierung von Autos?
Die Elektrifizierung und der Trend zum fahrerlosen Auto passen gut zusammen. Für autonome Fahrzeuge spielt es aber keine Rolle, ob sie mit Benzin oder Strom betrieben werden.
Wo wird demnach die grösste Wertschöpfung sein?
Mit dem Verschwinden von Marken und mit der rapiden Abnahme privater Fahrzeuge wird die Wertschöpfung nicht mehr im Verkauf liegen. Grosse Flottenbetreiber wie Uber und Lyft werden autonome Fahrmodule zu Zehntausenden auf einmal kaufen, und das rein auf Basis von Spezifikation und Preis. Der billigste Anbieter erhält dabei den Auftrag. Die grösste Wertschöpfung wird deshalb künftig in der Transportleistung sein, in der die grossen Flottenbetreiber dominieren.
Welche neuen Anbieter könnten demnach in die Autoproduktion vordringen?
Es ist denkbar, aber unwahrscheinlich, dass Unternehmen, die heute keine Fahrzeuge produzieren, in dieses künftig wenig profitable Geschäft einsteigen werden. Es fragt sich, warum sich jemand für einen solchen Schritt entscheiden sollte.
Was bedeutet das für Investoren?
Langfristig geht das heutige Autogeschäft kaputt. Es gibt aber keinen Grund zur Panik, denn der Übergangsprozess wird einige Jahre dauern, und die guten Unternehmen werden diese Evolution meistern. Weitblickende Konzerne wie GM bereiten sich schon auf die Verlagerung in der Wertschöpfung vor, indem sie sich zunehmend an grossen Flottenbetreibern beteiligen. So geht GM beispielsweise Partnerschaften mit Lyft und Maven ein. Investoren müssen sich deshalb die Frage stellen, ob ein Konzern die Zukunft erkennt oder ob er engstirnig weiter an das heutige Umfeld glaubt.
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