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16:00 Uhr - 14.06.2016

Dätwyler wagt den grossen Sprung

Der Industriezulieferer kauft Premier Farnell für 850 Mio. Fr. und verdoppelt den Umsatz. Die Investoren reagieren zunächst mit Skepsis.

Dätwyler-CEO Paul Hälg landet einen Coup, bevor er 2017 das Präsidium des Verwaltungsrats übernimmt. Der Urner Konzern beabsichtigt, die britische Premier Farnell für umgerechnet 850 Mio. Fr. zu übernehmen. Die Gruppe handelt Elektronikteile vor allem für Geschäftskunden und ist mit einem Umsatz von 1,3 Mrd. Fr. fast drei Mal so gross wie Dätwylers Division Technical Components.

Kombiniert wird Dätwyler (DAE 138 -1.43%) im Elektronikhandel auf einen Umsatz von 1,8 Mrd. Fr. kommen. Ergänzt durch den Umsatz der Division Sealing Solutions (Dichtungen für Branchen wie Pharma und Konsumgüter, u.a. Nespressokapseln) werden sich die Konzerneinnahmen auf 2,5 Mrd. Fr. verdoppeln. Die operative Gesamtmarge sinkt, da die industrielle Fertigung höhere Spannen einbringt als der Handel (allerdings auch kapitalintensiver ist).

Strategisch lässt sich die Übernahme begründen. Der Handel mit Elektronikteilen in Europa schwächelt und hat Konsolidierungsbedarf. Mit dem Zusammenschluss kann Dätwyler den Kunden mehr bieten in Sachen Produktpalette, rasche Verfügbarkeit und kurze Lieferzeiten.

Flucht nach vorn?

Geschäftsmodell und Strategie seien ähnlich, betonte Hälg am Dienstag an einer Präsentation. Zudem kennt man sich: Neil Harrison, CEO von Dätwyler Technical Components, war zuvor 20 Jahre lang für Premier Farnell tätig. Geografisch weitet die europaorientierte Handelsdivision von Dätwyler den Radius auf die USA und Asien aus. Auch im Produktangebot ergänzen sich die beiden Unternehmen.

Der Gewinn je Aktie soll schon 2017 steigen, ohne Berücksichtigung von Einsparungen und Integrationskosten. Hälg rechnet ab 2019 mit wiederkehrenden Synergien von 50 bis 70 Mio. auf Stufe Ebitda (Ergebnis vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen und Amortisation). Je die Hälfte entfallen auf Kosteneinsparungen und auf Zusatzumsatz.

Auf Stufe operatives Ergebnis Ebit erwartet Dätwyler 40 bis 60 Mio. Fr. Synergien. Zusätzliche Investitionen in Höhe von 80 Mio. Fr. werden den Abschreibungsbedarf erhöhen. Ausserdem ist in den nächsten zwei Jahren ein Inte­grations- und Akquisitionsaufwand von insgesamt 40 Mio. Fr. budgetiert.

Hausgemachte Probleme

So weit, so gut. Doch die Investoren fanden zunächst wenig Gefallen am Deal. Die Aktien gaben im Eröffnungshandel 5% nach. Die Handelsdivision hat in den vergangenen Jahren enttäuscht. Eine schwache Nachfrage im Markt und hausgemachte Probleme hatten zur Folge, dass der Umsatz erheblich schrumpfte und die operative Marge auf magere 2,5% sank (vgl. Balkengrafik).

Zwar hat Dätwyler das Lagernetz bereinigt, ein einheitliches IT-System und einen modernen Webshop eingeführt. Trotzdem herrscht Ungewissheit, ob die Division schon bereit ist, eine solche Akquisition zu stemmen.

Anleger hätten es wohl lieber gesehen, wenn sich Dätwyler im Industriebereich verstärkt hätte. Mit Dichtungslösungen erwirtschaftet das Unternehmen eine Betriebsmarge von fast 18%.

Zudem: Hat Dätwyler das Pulver nicht für etliche Zeit verschossen? Dirk Lambrecht, Leiter Sealing Solutions und Konzern-CEO ab Januar 2017, verneinte. Es gebe weiterhin Projekte in der Pipeline, mit dem Ziel, sich eine neue Technologie in der Dichtungstechnik anzuschnallen.

Seit Langem auf der Kaufliste

Dätwyler lässt sich den Sprung in eine neue Dimension etwas kosten. Der Preis entspricht einer Prämie von 51% zum Schlusskurs der Premier-Farnell-Aktien vom Montag. Das Angebot relativiert sich in längerfristiger Betrachtung (vgl. Chart).

Der Kurs war unter Druck geraten, durch Managementprobleme und Ängste, dass Grossbritannien aus der EU austritt (Brexit). Für Dätwyler eröffnete gerade das eine Einstiegsgelegenheit. Laut Hälg stand Premier Farnell seit Langem zuoberst auf der Liste der Kaufkandidaten.

Die Akquisition ist mit einem Multiple von 9,5 (Verhältnis Unternehmenswert zu Ebitda) ohne Berücksichtigung der Synergien wohl nicht teuer. Üblich sei in der Branche ein Wert über 10, argumentierte der CEO.

Andere Bilanz, neues Profil

Die Aktionäre werden sich an eine ganz andere Bilanzstruktur gewöhnen müssen. Gut ein Fünftel des Kaufpreises werden bar bestritten. Dazu werden Fremdschulden in der Höhe von 426 Mio. Fr. aufgenommen.

Für 60 Mio. Fr. werden eigene Aktien verkauft. Eine Erhöhung des Aktienkapitals um 9% wird 200 Mio. Fr. einbringen. Der Eigenmittelquote von 63% wird deutlich sinken, weil der Goodwill mit Eigenkapital verrechnet wird. Die Nettoverschuldung wird Dätwyler dank hohem freien Cashflow indes rasch abbauen.

Auch das Unternehmensprofil ändert. Dätwyler wird 60% des Umsatzes im Handel mit Elektronikkomponenten erwirtschaften. Ob das Unternehmen im laufenden Konsolidierungsprozess zu den Gewinnern zählen wird, ist ungewiss.

Zuwarten, bis Dätwyler das Semesterergebnis veröffentlicht und der Turnaround der Handelsdivision beurteilt werden kann, ist vermutlich kein schlechter Rat.

Die komplette Historie zu Dätwyler finden Sie hier. »

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