Die Geldpolitik mit Zinsen von null oder darunter führt zu einer Fehlallokation der Ressourcen. Längerfristig droht hohe Inflation.
Spätestens seit der Krise von 2007/08 verfolgen die führenden Zentralbanken – das Federal Reserve und die Europäische Zentralbank – eine völlig verfehlte Politik mit dem Ziel, den damaligen Einbruch der realen Wirtschaft wettzumachen und die Wiederholung einer solchen Krise zu vermeiden. Diese Politik hat zu einer Senkung der Zinsen bis null oder gar darunter geführt. Gleichzeitig wurde die Geldmenge M0 (Banknoten und fällige Guthaben bei der Zentralbank) auf mehr als das Fünffache des Normalen erhöht, eine Zunahme, die man früher nur vor Hoch- oder Hyperinflationen beobachtet hat.
Zwar hatte das Fed die Zinsen schrittweise auf 2,5% erhöht und damit begonnen, M0 zu reduzieren. Aber im Sommer hat es diese Politik aus Furcht vor einer Abnahme der Wirtschaftstätigkeit aufgegeben und die Zinsen gesenkt.
Produktionsumweg und Zins
Bisher ist es den Zentralbanken gelungen, eine Wiederholung der Krise von 2007 zu verhindern. Worin liegt also die Kritik?
Kritiker weisen darauf hin, dass negative Zinsen Investoren in riskante Anlagen treiben, zu Überhitzung in Aktien und Immobilien führen und die Altersvorsorge gefährden. Auch werden Unternehmen und Banken, die bei positiven Zinsen bankrottgehen würden, am Leben erhalten.
Diese Kritik ist berechtigt, aber keineswegs fundamental genug. Die verfehlte Politik führt zu einer generellen Fehlallokation der Ressourcen in der realen Wirtschaft, nicht nur bei Häusern und Aktien.
Gemäss dem österreichischen Ökonomen Eugen Böhm von Bawerk werden die intertemporale Allokation der Ressourcen und der reale Zins durch zwei Faktoren bestimmt. Erstens durch das Gesetz der Minderschätzung künftiger Bedürfnisse. Wir schätzen gegenwärtig verfügbare Güter höher ein als solche, die uns erst später zur Verfügung stehen. Das wird uns drastisch bewusst, wenn z. B. Nahrungsmittel oder Kleidung zwar künftig reichlich vorhanden sind, wir aber derzeit Mangel leiden. Zweitens durch die Mehrergiebigkeit von Produktionsumwegen. Es lohnt sich etwa, zuerst eine Angel oder ein Netz zum Fischfang herzustellen, statt die Fische mit der Hand zu fangen. Die Produktionsumwege können lang sein. Stahl, den wir zum Hausbau verwenden, wird mithilfe von Kohle (Kohle 70.9 0%) hergestellt, und diese wird mithilfe von Stahlvorrichtungen gefördert.
Beide Gesetzmässigkeiten bedingen einen positiven realen Zins. Die Minderschätzung künftiger Bedürfnisse gilt nur dann, wenn der Zins grösser null ist. Die Mehrergiebigkeit längerer Produktionswege bedeutet: Bei einer effizienten Verwendung von Produktionsfaktoren kann längerfristig mehr von einem Produkt geschaffen werden als über eine kürzere Zeit. In einer schnell errichteten Hütte kann man schlechter und weniger lange wohnen als in einem steinernen Haus, dessen Bestandteile erst gefertigt und dann zusammengebaut werden müssen.
Begrenzt wird die Länge des Produktionsumwegs durch den Zins und Zinseszins. Je grösser der Zins, desto höher muss die Mehrergiebigkeit pro Periode sein, um eine Investition lohnend zu machen.
Betrachten wir als Beispiel den Bau eines Hauses mit fünfzigjähriger Lebensdauer und erwarteten jährlichen Mieteinnahmen von 36 000 €. Damit sich diese Investition lohnt, muss der Verkaufspreis höher sein als der Gegenwartswert der Mieten. Bei einem Zins von 4%, wie er jahrzehntelang währen des Goldstandards vor 1914 bei praktisch fehlender Inflation üblich war, ergibt sich ein Verkaufspreis von gut 770 000 €. Bei einem Zins von 0% ist der Verkaufspreis 1 800 000 €.
Diese Zahlen erklären die Preiserhöhungen für Immobilien seit 2007, nach den drastischen Zinssenkungen der Zentralbanken. Das führte also zu einer erheblichen Fehlallokation der Ressourcen.
Entsprechendes konnte auch für viele Aktienkurse beobachtet werden, da sie ebenfalls meist längerlebige Produktionsmittel wie Maschinen und Anlagen repräsentieren, deren Herstellung ebenfalls Zeit erfordert. Nicht übersehen werden darf, dass die Länge der Produktionsumwege noch durch zirkuläre Produktionsverfahren ausgedehnt wird. So wird Eisen mithilfe von Koks hergestellt, der wiederum mithilfe von Stahlanlagen gefördert wird.
Die steigende Geldmenge
Schliesslich müsste auch Boden ohne Enteignungsrisiko mit einem Zins von null einen sozusagen unendlichen Wert erhalten. Insgesamt können wir also festhalten, dass eine Nullzinspolitik in der realen Wirtschaft zu einer massiven Fehallokation der Ressourcen führt.
Seit 2007/08 ist durch das Vorgehen der führenden Zentralbanken die Geldmenge M0 auf das Sechsfache gestiegen – bei der Bank of England und der Schweizerischen Nationalbank auf mehr als das Neunfache. Allerdings hat die von Unternehmen und Privaten verwendete weitere Geldmenge M2 (Banknoten und jederzeit verfügbare Guthaben des Publikums bei den Banken) bisher nur im Normalbereich zugenommen, weshalb noch keine stärkere Inflation aufgetreten ist. Doch nach allen historischen Erfahrungen muss letztlich mit einer Erhöhung von M2 als Folge der Zunahme von M0 und einer dann folgenden hohen Inflation gerechnet werden.
Eine solche Entwicklung kann sich angesichts der vorherrschenden eher negativen Erwartungen jahrelang verzögern, wie der Vergleich mit der Grossen Depression 1929 und den folgenden Ereignissen bis 1938/40 lehrt. Denn damals begann die zunehmende Inflation in Deutschland erst 1938 und in den USA 1940.
Insgesamt können wir als negative Folgen der verfehlten Geldpolitik festhalten: Zinsen von null oder im negativen Bereich führen zu einer ausserordentlich schädlichen Fehlallokation von Ressourcen in der realen Wirtschaft. Und bei einem Festhalten an der expansiven Geldpolitik muss mit hoher Inflation in einigen Jahren gerechnet werden. Zu erwähnen ist, dass die Zentralbanken kleiner entwickelter Länder wie der Schweiz – angesichts der Politik der führenden Länder – eine sehr starke Erhöhung von M0 und Negativzinsen nicht verhindern können, wenn sie eine Überbewertung ihrer Währung mit negativen Folgen für ihre reale Wirtschaft und die Beschäftigung vermeiden wollen.
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