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07:03 Uhr - 18.05.2015

Rohölrally ist nur ein Strohfeuer

Die Ölnotierungen haben sich seit Jahresbeginn um rund 40% verteuert. Fundamental hat sich jedoch wenig geändert, das Überangebot bleibt bestehen.

zoomDiese Rally kam unerwartet: Seit Jahresbeginn haben die Rohölpreise rund 40% zugelegt. Erdöl der Sorte Brent ist von 45 $ im Januar auf zuletzt knapp über 65 $ pro Fass angestiegen. US-Öl der Sorte West Texas Intermediate (WTI) hat sich neun Wochen in Folge verteuert und ist seit März von 43 auf rund 60 $ gestiegen.

Noch vor kurzem unterboten sich die Auguren mit ihren Prognosen. Angesichts des US-Schieferölbooms und der Weigerung Saudi-Arabiens, seine Förderquote zur Preisstabilisierung zu reduzieren, rechneten viele Marktbeobachter damit, dass sich der Ölpreis bei 50 $ einpendeln würde. Mittlerweile notieren die Preise jedoch wieder deutlich höher. Doch ist der Aufwärtstrend auch nachhaltig?

Weniger aktive Bohrlöcher

zoomEin oft genannter Grund für die jüngste Preisrally ist die Abnahme der Anzahl aktiver Bohrlöcher (Rig Count) in den USA. Die vom US-Ölserviceunternehmen Baker Hughes regelmässig publizierten Daten zeigen, dass die Anzahl aktiver Bohrlöcher seit 22 Wochen in Folge abgenommen hat. Dies hat dazu geführt, dass die Ölfördermenge in den Vereinigten Staaten nicht weiter gestiegen und zuletzt sogar leicht rückläufig war.

zoomSpekulanten sind ebenfalls mit dem Markt mitgelaufen und haben sich entsprechend positioniert: Gemäss Zahlen des US-Börsenbetreibers IntercontinentalExchange (ICE) haben die grossen Marktteilnehmer ihre Kaufpositionen per Ende letzter Woche zum siebten Mal in Folge erhöht, womit diese zuletzt einen neuen Rekordstand erreichten.

zoomZudem verlieh der schwächelnde Dollar dem Ölpreis Auftrieb. Die beiden Preisserien bewegen sich oftmals gegenläufig zueinander – ein schwächerer Dollar geht einher mit höheren Ölnotierungen und umgekehrt. Die jüngsten geopolitischen Spannungen im Nahen Osten haben die Preise für Erdöl ebenfalls gestützt. Das Risiko einer Eskalation in Jemen oder einer möglichen Verknappung von libyschen Exporten hat wieder merklich zugenommen.

Temporäre Unterstützung

Diese Faktoren dürften dem Ölpreis allerdings bloss vorübergehend helfen. Angesichts der rekordhohen offenen spekulativen Kaufpositionen braucht es wahrscheinlich wenig, um Gewinnmitnahmen auszulösen. Dass die Dollarschwäche anhält, ist ebenfalls alles andere als sicher. Hält sich die US-Notenbank (Fed) an ihren Zinserhöhungsfahrplan, während die Europäische Zentralbank, die Bank of Japan und die Bank of China eine expansivere Geldpolitik verfolgen, dürfte der Greenback wieder stärker werden und der Ölpreisrally entgegenwirken.

Auch Michael Peyer von LaSalle Brokerage relativiert den Anstieg: «Die Erholung ist nicht primär durch Fundamentaldaten getrieben.» Nach einer derart starken Korrektur, wie wir sie beim Ölpreis erlebt haben, sei auch eine Gegenbewegung von 40 bis 50% keine allzu grosse Überraschung. «Was wir jetzt sehen, ist ein Normalisierungsprozess. Dieser ist jedoch ausserordentlich schnell gegangen», meint Peyer.

zoomEntscheidend für den weiteren Preisverlauf sind Angebot und Nachfrage. Und hier zeigt sich, dass nach wie vor ein Angebotsüberhang besteht. Der Lagerbestand in den USA steigt unvermindert an, und zwar stärker als in den Vorjahren. Und trotz deutlich weniger aktiver Bohrlöcher hat sich die US-Ölproduktion auf hohem Niveau eingependelt.

Gemäss Goldman Sachs (GS 202.97 0.17%) reicht die Abnahme der US-Bohrlöcher nicht, um einen nachhaltigen Abwärtstrend bei den Preisen auszulösen. Effizientere Technologien hätten dazu geführt, dass die Förderung pro Bohrloch spürbar zugenommen habe, was die Produktionskosten gesenkt habe. Letztlich könnte der Preisanstieg dazu führen, dass Schieferölproduzenten ihre Fördermengen wieder ausweiten.

Überangebot bleibt bestehen

Das kanadische Investment-Research-Unternehmen BCA glaubt, dass viele Ölkonzerne die Gunst der Stunde genutzt haben, um nach der jüngsten Rally über Terminkontrakte attraktive Verkaufspreise für die Jahre 2016 bis 2018 zu fixieren. Die weiterhin vorteilhaften Konditionen  am Kapitalmarkt erlauben es Energieunternehmen zudem, sich günstig zu refinanzieren.

zoomBeides dürfte dazu führen, dass die US-Produktion weit weniger stark zurückgeht als von vielen Marktteilnehmern erwartet. Gleichzeitig weiten wichtige Erdölproduzenten wie Saudi-Arabien, Irak und Russland ihre Fördermengen aus, was den temporären Mengenrückgang in den USA mehr als wettmacht.

Das wachsende Angebot trifft auf eine wenig dynamische globale Nachfrage: Die Internationale Energieagentur (IEA) schätzt sie für das Jahr 2015 auf rund 93,6 Mio. Fass pro Tag, was einer Zunahme von 1,1 Mio. Fass zum Vorjahr entspricht. Die Produktion jedoch dürfte um 3,5 Mio. auf 95,2 Mio. Fass pro Tag anschwellen.

Diese Kombination aus steigender globaler Produktion und flauer Nachfrage dürfte die Notierungen mittelfristig wieder unter Druck setzen. Auch BCA kommt zum Schluss, die jüngste Rally führe dazu, dass die Produktion von US-Schieferöl 2015 weniger abnimmt, als von vielen Marktteilnehmern erwartet wird.

Deshalb rechnen die BCA-Analysten für Rohöl der Sorte Brent mit einem Preis von rund 50 $ im zweiten Halbjahr 2015, für die Sorte WTI mit einem von 45 $. Diese Prognosen liegen mehr als 20% unter den aktuellen Notierungen.

Michael Peyer ist ebenfalls der Ansicht, die Luft nach oben werde dünn: «Um höhere Preise zu rechtfertigen, müssten wir eine deutliche Wachstumsbeschleunigung in den USA oder zunehmende geopolitische Spannungen im Nahen Osten sehen. In den jetzigen Preisen ist bereits viel vorweggenommen.» Die unerwartete Rally könnte deshalb wider Erwarten schnell wieder zu Ende sein.

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