Frank Härtel, Leiter Asset Allocation bei J. Safra Sarasin, setzt auf Schwellenländer- und Hochzinsanleihen. Der stärkere Dollar und steigende Zinsen seien keine Gefahr.
Herr Härtel, die wichtigsten Börsen treten seit über einem Jahr an Ort und Stelle. Wo drückt der Schuh?
Auf die Finanzmärkte wirken zwei diametrale Kräfte. Einerseits ist die Nachfrage nach Aktien hoch, denn es ist schwieriger denn je, Alternativen zu finden, die mittelfristig eine positive Rendite abwerfen. Andererseits verleiten die wirtschaftlichen Perspektiven kaum zu Euphorie. Die Erholungszeichen mehren sich zwar, wie die Verbesserung der Einkaufsmanagerindizes und anderer vorlaufender Indikatoren zeigt. Auch der monetäre Stimulus ist immer noch enorm, sei es in den USA oder in Japan, wo zehnjährige Staatsanleihen bei 0% fixiert werden. Nur kommt dieser Stimulus nicht in der Realwirtschaft an.
Sie sprechen den von den Zentralbanken verursachten Anlagenotstand an.
Der Seitwärtsmarkt wurde durch das zögerliche Handeln der US-Notenbank Fed ausgelöst. Viele Investoren warten an der Seitenlinie auf einen Entscheid, um sich entsprechend positionieren zu können. Je länger das Fed zuwartet und immer neue Gründe findet, die Zinsen nicht anzuheben, desto unglaubwürdiger wird es. Ein Beispiel dafür ist die vom Fed immer wieder ins Feld geführte Datenabhängigkeit, die niemand mehr ernst nimmt. Ursprünglich zählten lediglich US-Daten, dann plötzlich auch solche aus China und schliesslich aus der ganzen Welt.
Ringt sich das Fed dieses Jahr noch zu einer Zinserhöhung durch?
Im November noch nicht, aber im Dezember kommt der Schritt, der indes eingepreist ist. Deshalb dürften die Märkte nur kurzfristig nervös reagieren, bevor wieder der Courant normal herrschen wird. Die Frage ist, was 2017 passiert.
Was denken Sie?
Das hängt stark von den Wahlen in den USA ab. Dabei ist weniger entscheidend, wer Präsident wird. Wichtig ist, dass es nicht zu einer zu grossen Machtkonzentration kommt, dass also mindestens eine der beiden Kammern nicht von der Präsidentenpartei dominiert wird. Diese Ausgangslage wäre mit der Ära von Barack Obama vergleichbar, der nicht wahnsinnig viel bewegen konnte.
Und falls eine Partei den Präsidenten stellt und über die Mehrheit in beiden Kammern verfügt?
Dann könnten schwache Börsenmonate anstehen, weil dies grössere Änderungen in der Wirtschaftspolitik zur Folge haben dürfte.
Die Märkte haben auf die beiden bisherigen Politikwechsel der US-Notenbank – Drosselung des Kaufs von Anleihen und erster Zinsschritt – jeweils mit deutlichen Einbussen reagiert. Was ist diesmal anders?
Vor einem Jahr waren die Rohstoffpreise eingebrochen, und auch die Wirtschaft schwächte sich ab. Jetzt gehen wir von einer robusten Konjunktur aus, und auch die Rohstoffpreise sind stabil. Trotzdem erwarten wir keinen deutlichen Zinsanstieg, weder vom Fed am kurzen noch am langen Ende der Zinskurve. Zehnjährige US-Treasuries dürften auch Ende 2017 unter 2% rentieren. Ein solcher Anstieg ist verkraftbar.
Ist die Verschuldung kein Problem? Gerade in den USA haben viele Unternehmen Anleihen ausgegeben und mit dem Erlös Aktien zurückgekauft.
Es stimmt, die Verschuldung der Unternehmen ausserhalb des Finanzsektors ist relativ zum Bruttoinlandprodukt seit 2010 angestiegen. Dies war aber bei den sehr tiefen Zinsen auch zu erwarten. Dennoch sind wir derzeit noch einige Prozentpunkte von den Höchstwerten der jüngsten Rezessionen entfernt. Mittelfristig muss die Verschuldungssituation beobachtet werden, aber unter der Erwartung nur langsam steigender Zinsen ist sie für uns derzeit nicht bedrohlich.
Das Börsenumfeld bleibt also freundlich?
Ja, wobei wir für Europa optimistischer sind als für die USA, wo die Bewertung bereits relativ hoch ist. Die europäischen Börsen haben schärfer korrigiert, und gegenwärtig ist das Momentum in Europa besser.
Nur ziehen in Europa die Unternehmensgewinne nicht an.
Es harzt nicht nur beim Gewinn-, sondern auch beim Umsatzwachstum. Inklusive Grossbritannien ist Letzteres sogar negativ. In Europa dominiert der Bankensektor, der hinsichtlich Umsatz und Gewinn unter Druck steht. Wenn sich die Lage bei den Banken stabilisiert und die Konsumenten mehr Vertrauen in die Wirtschaft fassen, sollte sich das Umsatzwachstum erholen. Zudem werden sich einige der gegenwärtigen Probleme klären – wie zuletzt in Spanien, wo nach Monaten ohne Regierung doch eine Lösung gefunden wurde. Die Achillesferse ist Italien wegen der angeschlagenen Banken.
Das italienische Verfassungsreferendum bereitet Ihnen keine Sorgen?
Durch die Verschiebung des Abstimmungstermins in den Dezember wird ein positiver Ausgang wahrscheinlicher, da Premier Matteo Renzi Zeit hat, seine Argumente zu erläutern, und die Bevölkerung darauf anspricht. Wir rechnen mit einer Zustimmung und damit mit einer Verbesserung der Lage.
Trotz avancierendem Dollar halten sich Schwellenländeranlagen gut. Bis vor kurzem hat eine stärkere US-Valuta noch zu massiven Kapitalabflüssen geführt. Was hat sich geändert?
Die Notenbanken in den Schwellenländern haben in den vergangenen Jahren die Zinsen erhöht, um den Kapitalabfluss zu bremsen. Nun sinkt in vielen Ländern die Inflation, während die Zinsen immer noch hoch sind. Das zieht ausländische Investitionen an und lässt Zinssenkungen zu. Deshalb setzen wir auf Anleihen in Lokalwährung.
Gilt das auch für Aktien aus den Schwellenländern?
Ja, wobei wir in Anleihen stärker übergewichtet sind als in Aktien.
Was halten Sie von Hochzinsanleihen?
Unter Berücksichtigung des Risikos sind Hochzinsanleihen immer noch attraktiv. Mit einer Rendite von über 6% machen Dollarpapiere den amerikanischen Aktien Konkurrenz – und dies bei geringeren Kursschwankungen.
Fürchten Sie sich nicht vor steigenden Zinsen?
Dank des anziehenden Wachstums ist das Umfeld für Hochzinsanleihen positiv. Das gilt in einer ersten Phase auch, wenn die Zinsen steigen, weil die Kreditrisikoprämien schrumpfen. Problematisch wäre ein zu starker Zinsanstieg, doch davon gehen wir nicht aus. Weil sich zudem der Ölpreis stabilisiert hat, sind die Probleme vieler Emittenten aus dem Energiebereich nicht mehr so gravierend wie noch vor einem Jahr.
Apropos Öl: Unlängst hiess es, ein haussierender Dollar drücke die Rohstoffpreise. Nun steigen Öl und Dollar gemeinsam. Wie ist das zu erklären?
Bei Öl fand die Erholung von einer tiefen Basis aus statt. Gold (Gold 1292.9 -0.42%) ist vor allem zu Jahresbeginn in der Aktienkorrektur stark gestiegen und hat jüngst wieder korrigiert, während Kupfer vor sich hin dümpelt. Wir haben in den vergangenen Monaten eine kleine, breit diversifizierte Position in Rohstoffen aufgebaut.
Gibt es am Aktienmarkt Sektoren, die Sie präferieren?
Wir bevorzugen Technologie- und Gesundheitswerte. Letztere kamen unter die Räder und sind reif für eine Erholung, wenn die Entscheidung im US-Wahlkampf gefallen ist.
In der letzten Asset-Allocation-Umfrage der FuW war J. Safra Sarasin das einzige Institut mit einer positiven Einschätzung zum Euro. Was trauen Sie der Gemeinschaftswährung zu?
Grosses Aufwärtspotenzial sehen auch wir nicht für den Euro. Wir mögen jedoch alternative Produkte wie Long-Short-Fonds auf europäische Aktien, die in Euro denominiert sind. Dabei verzichten wir bewusst auf die mit der Absicherung des Währungsrisikos verbundenen Kosten, da das Abwärtsrisiko für die Gemeinschaftswährung gering ist. Die Schweizerische Nationalbank hat zwar die Untergrenze aufgegeben, zieht aber dennoch eine Linie in den Sand.
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