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12:51 Uhr - 09.06.2015

«Im Fed redet man wohl wenig über Blasen»

Der Nobelpreisträger Robert Shiller erklärt, wie Blasen zustande kommen. Er glaubt, dass eine Zinserhöhung in den USA nur wenig Schaden anrichten würde.

Robert Shiller wurde berühmt, als er im Jahr 2000 in seinem Buch «Irrationaler Überschwang» auf die zu hohe Bewertung der Aktien hinwies – kurz darauf platzte die Technologieblase. 2005 hinterfragte er den Immobilienboom in den USA und warnte vor einer weltweiten Rezession, falls die Hauspreise fallen. Für seine Untersuchung von Vermögenspreisen erhielt der Yale-Professor 2013 den Wirtschaftsnobelpreis.

In der neuen Auflage von «Irrationaler Überschwang» erklärt Shiller, dass der Boom bei Aktien und Anleihen seit der Finanzkrise – der sogenannte New-Normal-Boom – mit einem erwarteten, permanenten Rückgang der Erwerbsbevölkerung verbunden ist. Im Buch beschreibt er diese paradoxe Lage: «Wenn die Passagiere auf einem Schiff denken, dass das Schiff sinken könnte, wird ein Rettungsring, ein Tisch oder alles, was schwimmt, plötzlich sehr wertvoll.»

Im Interview mit «Finanz und Wirtschaft», anlässlich der Amundi Investment Conference in Paris, betont Shiller, wie anfällig Menschen für Geschichten sind, die Blasen anheizen. Er erwartet auch, dass eine Zinsanhebung der US-Notenbank Fed gegen den Boom an den Finanzmärkten wohl nur eine «kleine, normale Rezession» auslösen würde.

Zur PersonRobert J. Shiller, Jhg. 1946, war ein Aussenseiter, als er 1981 in einem Aufsatz in der «American Economic Review» das Dogma der effizienten Finanzmärkte infrage stellte. Er ist einer der Vorreiter der Behavioral Finance, einer Disziplin, die mittlerweile breit akzeptiert ist. Seine Bücher «Irrational Exuberance» (2000) und «Animal Spirits» (2009) sind Bestseller.

Nach Studien an der University of Michigan und am MIT – sein Doktorvater war Franco Modigliani – übernahm Shiller 1982 einen Lehrstuhl für Ökonomie an der Yale University, der er seither treu geblieben ist. 2013 wurde er zusammen mit Lars Peter Hansen und seinem ideologischen Kontrahenten Eugene Fama mit dem Nobelpreis geehrt.
Herr Shiller, wie erklären Sie die Entstehung von Blasen?

Mein Ansatz ist eher soziologisch und sozialpsychologisch geprägt als die Konzepte anderer Ökonomen wie Charles P. Kindleberger. Die Menschen sind stark untereinander verbunden und so sozial wie keine andere Spezies. Wir haben sogar ein Modell anderer Gehirne in unserem Gehirn. Wir denken ständig darüber nach, was andere Leute denken. Daher ist es nicht überraschend, dass es Strömungen in unserem Denken gibt. Diese Strömungen sehen wir auch bei den Aktien, da die Zukunft eines Aktienmarktes höchst unklar ist. Es gibt viele Faktoren, die ihn beeinflussen. Es könnte neue Steuern, politische Bewegungen oder technologische Innovationen geben – niemand kann sie vorhersagen.

Warum sind wir so anfällig für gesellschaftliche Trends, wenn das Anlegen auf rationalem Denken beruhen sollte?
Wichtig ist das Konzept der Information Sets. Das ist die Informationsmenge, die man zur unmittelbaren Verwendung verfügbar hat. Man könnte zwar Dinge nachschauen, aber wahrscheinlich wird man das nicht tun. Diese Informationsmenge besteht eher aus Dingen, über die um uns herum geredet wird. Über Zeit und Orte hinweg ändern sich auch die Ansichten. So können Europäer sich nicht vorstellen, warum viele Amerikaner die Kontrolle von Schusswaffen nicht gutheissen. Wenn Sie einen südlichen US-Staat besuchen, werden Sie Dinge gegen die Waffenreglementierung hören, über die Sie noch nie nachgedacht haben. In solch einem Staat wären Sie erst einmal nicht besonders beliebt, wenn Sie die Reglementierung von Waffen forderten. Ausserdem würden Sie ständig hören, wie wichtig es sei, eine Waffe zu besitzen.

War das ähnlich, als Sie 2000 vor der Technologieblase warnten?
Genau. Als ich das versuchte, machte mich das nicht beliebt. Aber die meisten Leute wollen von jedem gemocht werden. Sie sind nicht daran interessiert, einen umstrittenen Standpunkt einzunehmen. Die Leute haben den Eindruck, dass sie die Dinge kühl beurteilen und dabei alle Fakten berücksichtigen. Aber wenn man keine systematische Forschung betreibt, wird man nicht alle Fakten herausfinden. Man wird nur die Fakten bekommen, die gerade in der Luft sind. Das ist, was in einer Blase geschieht. Wichtig sind dabei auch die Medien. Leser reagieren stärker auf Geschichten über Opportunitäten als auf Warnungen.

Ist jede grosse Bewegung im Aktienmarkt von solchen sozialen Phänomenen gestützt?
Nicht jede Bewegung. Auch wenn die Unternehmensgewinne steigen, geht der Markt nach oben. Aber es gibt eine Feedback-Schleife zwischen Aktienkursen und Gewinnen. Auf nationaler Ebene schafft der Anstieg der Aktienkurse einen Vermögenseffekt: Die Leute geben mehr aus, da sie sehen, dass sie über mehr Vermögen verfügen. Das wiederum treibt die Unternehmensgewinne nach oben – besonders weil die Gewinne ja der Rest nach Kosten sind und ein grosser Teil der Kosten fix ist. Geben die Leute also ein bisschen mehr aus, können die Gewinne stark steigen. Solch ein Phänomen ermutigt die Anleger zu sagen: Ja, wir lagen richtig, das ist tatsächlich eine neue Ära. Dadurch gehen die Kurse erneut nach oben. Kurse und Gewinne laufen dann miteinander, und man könnte annehmen, dass die Gewinne ein äusserer Faktor sind, der die Preise treibt. Aber sie sind nicht von aussen gekommen, sondern werden durch den Feedback-Prozess getrieben.

Was sollte die Regierung angesichts solch einer Feedback-Schlaufe tun?
Sie sollte Ausgaben zurückfahren und über eine Geldpolitik nachdenken, die sich darum kümmert. Und es gibt andere mögliche Massnahmen. Traditionellerweise würde man die Margenanforderungen erhöhen und damit die Spekulation auf Kredit beschränken. Das wurde einige Zeit nicht mehr gemacht, könnte aber wieder getan werden. Bei Häusern könnte die nötige Anzahlung für Hypotheken erhöht werden.

Liegt das Problem nicht darin, dass zwar der US-Aktienmarkt gut läuft, aber der durchschnittliche Amerikaner wenig davon profitiert? Das würde es schwierig machen, etwas gegen höhere Aktienkurse zu tun.
So ist es im Moment in den USA. Die Kurse sind ziemlich hoch. Aber zur selben Zeit gibt es Anzeichen einer wirtschaftlichen Schwäche. Die Arbeitslosigkeit ist zwar niedrig, aber das Gleiche gilt für die Erwerbsbeteiligungsquote, also wie viele Prozent der Bevölkerung arbeiten. Die Industrieproduktion fällt seit einigen Monaten. Es gibt Sorgen um die Absicht des Fed, die Zinsen zu erhöhen. Ich frage mich, ob man die Zinsen nicht trotzdem erhöhen sollte, denn die Booms werden exzessiv.

Damit würde das Fed die reale Wirtschaft zum Stillstand bringen.
Es ist ähnlich wie das Problem, mit dem sich Paul Volcker auseinandersetzen musste, als er 1979 Vorsitzender des Fed wurde. Das Problem war damals die Konsumentenpreisinflation statt die hohen Aktienkurse. Volcker riskierte, die Konjunktur durch ein Anheben der Zinsen abzuwürgen. Und dies hat der Wirtschaft tatsächlich geschadet, aber sie hat sich relativ schnell erholt. So könnte es wieder sein. Die Frage ist, ob wir wieder anfällig für eine grosse Krise sind. Die Leute sorgen sich, dass die schrecklichen Dinge der Vergangenheit heute wieder geschehen können. Wahrscheinlich werden sie das aber nicht. Das Fed könnte vermutlich die Zinsen erhöhen und würde damit nur eine kleine, normale Rezession auslösen. Es wäre nicht das Ende der Welt. Aber die Antwort ist schwierig, es ist keine exakte Wissenschaft.

Glauben Sie, dass das Fed zu vorsichtig ist, da es Angst hat, die Zinsen zu früh zu erhöhen?
Ich weiss nicht, wie die Leute im Fed-Offenmarktausschuss denken. Aber es ist wahrscheinlich, dass sie von ihrem dualen Mandat beeinflusst sind: Sie müssen sich um die Inflation und die Arbeitslosigkeit sorgen. Es geht weniger um das Thema der spekulativen Blasen, obwohl das Fed gerade erst gesehen hat, was sie für eine Katastrophe ausgelöst haben. Im Fed redet man wohl wenig über Blasen.

Was halten Sie von der Weiterentwicklung der Finanzindustrie, die ja auch kompliziertere Anlageprodukte hervorbringt?
Das ist positiv, aber es ist ein experimenteller Prozess. Zuletzt war das Ergebnis nicht gut. Aber einige Ideen waren gut, wie etwa die Verbriefung von Hypotheken und sogar das Konzept, sie in verschiedene Tranchen aufzuteilen. Aber Leute machen Fehler. Wir müssen Finanzprodukte so gestalten, dass sie nicht zu Fehlern führen. Es ist keine gute Idee, Leute zu motivieren, mit viel Kredit ein Haus zu kaufen, das sie sich kaum leisten können.

In der Neuauflage Ihres Buches «Irrationaler Überschwang» erklären Sie, wir seien im Boom der neuen Normalität, des New Normal. Was bedeutet das?
Die Auswirkungen der Finanzkrise sind nun schon eine lange Zeit zu spüren. Die Krise begann 2007, und acht Jahre später sehen wir immer noch Zeichen von wirtschaftlicher Schwäche. Das macht manche Leute fatalistisch. Man fühlt sich auch vom Staat allein gelassen. Die Leute denken, dass etwas grundsätzlich falsch mit der Wirtschaft läuft: Als hätte ich gedacht, ich habe Husten, aber vielleicht habe ich Krebs. Diese Angst kommt nicht nur von der Finanzkrise, sondern auch vom Fortschritt in der Informationstechnologie. Diese scheint Arbeitsplätze zu kosten. Das geht tiefer als nur wirtschaftliche Sorgen. Ein grosser Teil unserer Identität basiert auf unserer Arbeit und unseren Fähigkeiten. Der Wert unserer Fähigkeiten wird nun hinterfragt.

Im New Normal seien die Anleihenrenditen vielleicht zu tief und könnten scharf nach oben gehen, schreiben Sie. Wie kann sich der Anleihenmarkt so irren?
Es gibt einen berühmten Spruch: 100 Mio. Amerikaner können nicht falschliegen. Na ja, sie können falschliegen, wie die Geschichte zeigt. Der Grund für niedrige Zinsen könnte das Gleichgewicht am Anleihenmarkt sein. Es gibt zu viele Ersparnisse gegenüber Investitionen. Es ist schwer zu sagen, warum Sparen so beliebt ist. Das kommt auf die Weltsicht an. Momentan sparen die Leute mit Anleihen für ihre Pension. Sie denken, dass dafür eine langfristige Planung wichtig ist. Dass die Leute immer älter werden, wird sich sicherlich nicht ändern. Aber die Angst vor dem Älterwerden respektive vor einer unzureichenden Altersvorsorge könnte sich ändern.

Kann sich so eine Weltsicht schnell ändern?
Ja, sie könnte sich schnell ändern. Sie könnte von Ereignissen beeinflusst werden. Beispielsweise würde eine grosse Invasion durch Russland die Leute schnell von ihren vorherigen Gedanken ablenken.

Investoren sollten also nicht glauben, dass die jetzige Situation bestehen bleibt?
Viele vergleichen ja die derzeitige Situation mit Japan, das 25 Jahre schwaches Wirtschaftswachstum zeigte. Man sollte sich auf dieses Beispiel nicht übermässig konzentrieren. Das ist ein extremer Fall. Es wäre ein Trugschluss zu denken, dass das wieder geschieht, nur weil es einmal geschehen ist. Auf der anderen Seite ist es aber möglich.

Folgt aus Ihrem Ansatz, dass man als Contrarian investieren sollte, also gegen den Trend?
Die Frage ist, was man darunter versteht, Contrarian zu sein. Es braucht dafür eine Messgrösse, um zu beurteilen, ob die Leute auf eine Geschichte hin überreagieren und ob diese Geschichte richtig oder falsch ist. Wenn sie nicht richtig ist, kann man dagegen wetten.

Das ist jedoch schwierig. Die Technologieblase wurde ja gut begründet.
Ja, es ist schwierig, ein Contrarian zu sein. Man kann eine Blase richtig identifizieren und trotzdem jahrelang verlieren. Deswegen ist diese Art von Investment für die meisten Leute nicht attraktiv. Dafür braucht es wohl einen bestimmten Persönlichkeitstyp. Manche Leute sind ja grundsätzlich oppositionell.

Glauben Sie, dass die Rally in China eine Blase ist?
Es ist niemals 100% sicher. Es ist ein Rätsel, warum der chinesische Markt so schnell hochgegangen ist. Ich habe keine Antwort. Für mich ist Feedback ein potenziell chaotischer Prozess, für den wir nie eine Erklärung bekommen werden.

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