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14:02 Uhr - 15.10.2014

Unsicherheit über Chinas Kredite

Nach Jahren von ungezähmtem Kreditwachstum zweifeln Anleger an der Risikovorsorge von Chinas Banken. Ein Bankenkollaps ist aber nicht zu erwarten.

Der Chef der chinesischen Bankenaufsichtsbehörde, Shang Fulin, sieht wegen der sich abkühlenden Konjunktur in der weltweit zweitgrössten Volkswirtschaft und der Liberalisierung des Zinswesens grosse Herausforderungen auf die Geldhäuser seines Landes zukommen. Als grösster Risikofaktor könnten sich für die Banken indes die steigenden Kreditausfälle erweisen, wie das Anfang dieser Woche die sich zuspitzenden Finanzprobleme von Argil, einem der grössten chinesischen Bau- und Immobilienkonzerne, gezeigt haben.

Im Moment ist die Lage noch nicht dramatisch. Die Industrial and Commercial Bank of China (ICBC) etwa, die Bank mit den meisten Aktiva weltweit, konnte den Gewinn im zweiten Quartal im Vergleich zum Vorjahreszeitraum 7% auf 74 Mrd. Yuan (12 Mrd. $) steigern. Im internationalen Vergleich bleibt das Wachstum beachtlich. Aber chinesische Banken sind sich jährliche Steigerungen von über 10% gewohnt.

zoomAuf den ersten Blick scheinen die Bilanzen der zehn grössten chinesischen Banken weiterhin gesund zu sein. Aber das Kreditwachstum von 30% und mehr hinterlässt Spuren. Der Anteil der von der ICBC ausgewiesenen Risikokredite ist im zweiten Quartal 2014 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum 13% gestiegen, doch liegen sie mit einem Anteil von leicht über 1% des gesamten Kreditvolumens weiterhin im grünen Bereich.

Zu wenig Risiko ausgewiesen

Derek Ovington Bild: ZVGDennoch scheint der Markt der Lage nicht zu trauen, denn chinesische Banktitel stehen weiterhin unter erheblichem Abgabedruck. Die an der Hongkonger Börse gehandelten ICBC haben in den vergangenen zwölf Monaten rund 6% verloren. Für Derek Ovington, Bankanalyst des Brokerhauses CLSA, überrascht die schlechte Performance vor allem wegen der steigenden Risiken nicht.

Er zweifelt insbesondere das Volumen der von Banken ausgewiesenen faulen Kredite an, das sich seiner Meinung nach nicht auf 1%, sondern auf 10% und mehr aller ausstehenden Verbindlichkeiten beläuft. Die genaue Zahl ist aber schwer zu bestimmen, denn ein bedeutender Teil der Kredite floss an Staatsunternehmen. Diese Kredite gehen zu einem grossen Teil auf die Antwort der Regierung auf die globale Finanzkrise zurück. Sie forcierte  die Kreditvergabe der Geschäftsbanken, die sich fast ohne Ausnahme in Besitz der öffentlichen Hand befinden. «In den vergangenen Jahren ist wahrscheinlich die grösste Kreditblase entstanden, die die Welt je gesehen hat», sagt Ovington. Seit 2007 seien in China mit über 14 Bio. $ mehr Kredite vergeben worden als in den USA in den Jahren vor dem Ausbruch der globalen Finanzkrise. Die Summe der ausstehenden Kredite beläuft sich auf rund 250% des Bruttoinlandprodukts.

«Die Zahl von 1% kann nicht mit einer solch rasanten Akkumulation von Schulden, einer sich abkühlenden Konjunktur und den wachsenden Überkapazitäten in zahlreichen Sektoren in Einklang gebracht werden», sagt Ovington. In der Interpretation des Ausmasses der Risikokredite hinterfragt er dabei nicht in erster Linie die Integrität des Managements, sondern die Methode, mit der die Kreditqualität gemessen wird.

Restrukturierungspotenzial

Solange die Verbindlichkeiten vom Schuldner bedient werden, stehen sie unabhängig von ihrer Qualität nicht als notleidend in der Bilanz der Bank. Das sei nur möglich, weil dank des enorm schnellen Kreditwachstums der vergangenen Jahre in China weiterhin sehr viel liquide Mittel bereitstehen. So ist es möglich, dass notleidende Kredite meist automatisch verlängert und dank der Gewährung von neuen Krediten auch weiter bedient werden können.

Das zeigt sich unter anderem daran, dass die neu erteilten Kredite jährlich weiterhin 15% wachsen. Diese von der Regierung gewollte Praxis sorgt für eine scheinbare Normalität. Ovington sieht keine Bankenkrise voraus, sondern eher ein langsames Abebben der Flut. Dabei räumt er aber auch ein, dass China sich wegen des weiterhin vom Staat kontrollierten Finanzsektors und strikter Kapitalverkehrskontrollen in einer besonderen Lage befindet. «Im westlichen kapitalistischen System wäre eine Restrukturierung der betroffenen Banken wohl längst nötig geworden», sagt der  Analyst. Den Preis dafür zahlen die Aktionäre und mittelfristig wohl wegen nötig werdender staatlicher Finanzspitzen die Steuerzahler.

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