Die eurokritischen Vorschläge der möglichen Regierungspartner sorgen für Nervosität. FuW zeigt die wichtigsten Grafiken zur aktuellen Situation.
Lange nahmen die Finanzmärkte die historische Wahlniederlage der traditionellen Parteien in Italien gelassen. Diese Woche hat sich das geändert. Die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) und die rechtspopulistische Lega haben sich in den Koalitionsverhandlungen auf wesentliche Punkte geeinigt.
Schuldenerlass von der EZB
Italienische Medien veröffentlichten Auszüge aus dem Entwurf des Regierungsprogramms. Besonders ein Vorschlag sorgt für Furore: Die beiden systemkritischen Parteien wollen einen Schuldenerlass von der Europäischen Zentralbank (EZB), die im Rahmen des Wertschriftenkaufprogramms auch italienische Staatsanleihen erworben hat. Die Rede ist von 250 Mrd. $, was rund 10% der gesamten Staatsschulden entspräche.
Zudem fordern Lega und M5S einen geregelten Prozess für den Austritt eines Mitglieds aus der Eurozone, damit ein Land austreten könne, wenn das Volk das wolle.
Auf diese Nachricht hin brachen die italienischen Anleihen- und Aktienkurse ein. Die Renditen zehnjähriger Staatsanleihen kletterten über 2% auf den höchsten Stand seit Oktober. Die Differenz zu deutschen Papieren (Spread) weitete sich auf 1,5 Prozentpunkte aus.
Franken wieder stärker
Eine Spur der Verunsicherung zeigt sich auch am Devisenmarkt: Zum ersten Mal seit Wochen wertet sich der Euro zum Franken wieder ab. Statt 1.20 wie im April kostet der Euro jetzt nur noch 1.18 Fr.
An der Börse Mailand büssten die Kurse am Dienstag 2,3% ein, während der Euro Stoxx 50 (Euro Stoxx 50 3577.17 0.4%) seit Tagen seitwärts tendiert.
Dennoch zählt der italienische FTSE Mib (Mib 23672.97 -0.26%) dieses Jahr immer noch zu den besten Aktienindizes. Trotz Rückschlägen notierte er über 8% im Plus.
Kein Vergleich zu früheren Krisen
Im historischen Kontext ist auch die Bewegung bei den Anleihen nicht dramatisch. Während der Eurokrise stiegen die zehnjährigen Bondrenditen phasenweise über 7%. Die Spreads zu Deutschland betrugen mehr als 5 Prozentpunkte.
Seit Mario Draghis Versprechen im Sommer 2012, alles Nötige zur Rettung des Euros zu tun, gingen die Renditen und Risikoaufschläge jahrelang zurück. Wenige Wochen nach den legendären Worten «whatever it takes» stellte der EZB-Präsident das an Bedingungen geknüpfte Anleihenkaufprogramm OMT vor, welches 2015 durch das Wertschriftenkaufprogramm (APP) nach dem Vorbild der QE-Politik der US-Notenbank abgelöst wurde.
Auch im Vergleich mit der Zinsbewegung im Herbst 2016 fällt der jüngste Rendite- und Spread-Anstieg bisher bescheiden aus. Damals, kurz nach dem Brexit-Schock, stieg die Nervosität rund um das Verfassungsreferendum, das Premierminister Matteo Renzi schliesslich zum Rücktritt bewog und die eurokritischen Kräfte stärkte.
Ein Grund für die relativ gelassenen Märkte im aktuellen Umfeld dürfte die Konjunktur sein. Angekurbelt durch den blühenden Exportsektor befindet sich die Wirtschaft seit 2014 wieder auf Wachstumskurs, und die Arbeitslosenrate beginnt zu sinken.
Teure Steuer- und Sozialreform
Ein weiterer Programmpunkt der Lega und des M5S ist eine Vereinfachung des Steuersystems mit der Einführung einer Flat Tax, eine Art minimales Grundeinkommen, und die Senkung des Rentenalters. In der Krise hat die Technokratenregierung von Mario Monti eine Rentenreform durchgesetzt, bei der das Rentenalter an die Lebenserwartung angepasst wird. 2019 würde das Rentenalter so von heute 66 auf 67 steigen.
Capital Economics schätzt, dass die geplanten Massnahmen den Fiskus 60 Mrd. im Jahr kosten würden, was etwa 3,5% des Bruttoinlandprodukts (BIP) entspricht. Unter der Annahme, dass das Wirtschaftswachstum gleich bleibt und sich auch sonst nichts ändert, würde die Staatsschuldenquote in fünf Jahren auf 150% steigen.
Schon heute ist Italien nach Griechenland das Euroland mit der höchsten Staatsverschuldung.
Doch der hohe Schuldenberg ist nicht Italiens einziges Problem. Viel schlimmer für die Bevölkerung ist der wirtschaftliche Stillstand der letzten zwanzig Jahre.
Italiens zwei verlorene Jahrzehnte
Seit 2000 ist das italienische BIP inflationsbereinigt kaum gewachsen. Selbst Spanien und Frankreich wirken dagegen wie zwei prosperierende Volkswirtschaften.
Da der Beginn der Stagnation mit der Einführung des Euros zusammenfällt, liegt es auf der Hand, dass viele abgehängte Italiener der Gemeinschaftswährung die Schuld für die Misere geben und den Protestparteien wie der Lega und dem M5S die Stimme geben.
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